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Verrohung der Sprache: Wenn sprachliche Defizite auf Aggression treffen

DMZ – GESEKLLSCHAFT ¦ Lena Wallner ¦

KOMMENTAR 

 

In einer Zeit, in der Kommunikation schneller und zugänglicher ist als je zuvor, wäre zu erwarten, dass Verständigung, Toleranz und sprachliche Vielfalt gedeihen. Doch das Gegenteil ist der Fall: Die öffentliche Sprache verroht – und mit ihr das gesellschaftliche Miteinander. Besonders bedenklich ist die Schnittmenge aus sprachlicher Unsicherheit und aggressivem Verhalten. Denn wer sich kaum differenziert auszudrücken vermag, scheint paradoxerweise oft besonders laut darin zu sein, andere zu kritisieren.

 

Laut, aber sprachlich limitiert 

Es ist ein bemerkenswertes Phänomen: Gerade jene, die in Grammatik, Ausdruck und Argumentation erkennbar überfordert sind, dominieren nicht selten die Kommentarspalten in sozialen Netzwerken. Dort finden sich Drohungen, Herabwürdigungen und Wut – oft in fehlerhafter, kaum verständlicher Sprache. Inhaltlich fehlt es an Nuancen, rhetorisch an Substanz. Doch das Urteil über andere fällt umso schärfer aus: „Wie dumm kann man sein?“ – ausgerechnet von denen, die kaum einen zusammenhängenden Satz formulieren können.

 

Diese Diskrepanz wirft Fragen auf: Wie kann es sein, dass Menschen mit offenkundig eingeschränkten sprachlichen Ausdrucksmöglichkeiten sich berufen fühlen, mit größter Vehemenz über alles und jeden zu urteilen? Und warum geht damit oft eine übersteigerte Selbstgewissheit einher?

 

Sprachliche Armut als Katalysator von Frust 

Sprache ist weit mehr als ein Kommunikationsmittel – sie ist ein zentrales Werkzeug zur Bewältigung von Emotionen und zur Reflexion der Welt. Wer über keine tragfähige Ausdrucksfähigkeit verfügt, ist im Nachteil: Frustration kann nicht benannt, Enttäuschung nicht verarbeitet, Widerspruch nicht formuliert werden. Stattdessen entlädt sich der innere Druck in impulsiver Aggression.

 

Hinzu kommt: Wer sich gesellschaftlich abgehängt fühlt, aber über keine sprachlichen Ressourcen verfügt, um dies zu artikulieren, greift oft zu verkürzten Parolen. In einer komplexen Welt, die differenzierte Antworten verlangt, kann das ein gefährlicher Nährboden für Radikalisierung sein.

 

Die Plattform der Enthemmten 

Digitale Räume bieten das perfekte Umfeld für solche Dynamiken. Anonymität, geringe Moderation und der algorithmische Belohnungsmechanismus für Provokation wirken wie Katalysatoren. Wer laut, polemisch und rücksichtslos ist, erhält Reichweite – ungeachtet sprachlicher oder argumentativer Qualität. So entsteht eine toxische Sprachkultur, in der nicht mehr Verständigung, sondern Eskalation zählt.

 

Es ist ein Paradox unserer Zeit: Noch nie war der Zugang zu Wissen und Bildung so niedrigschwellig – und dennoch scheint eine wachsende Zahl von Menschen sprachlich zu verarmen, während sie sich zugleich als gesellschaftliche Urteilsinstanz inszeniert.

 

Bildung ist keine Kür – sie ist Voraussetzung 

Die Antwort auf diese Entwicklung darf nicht Zynismus oder Verachtung sein, sondern muss in einer radikalen Aufwertung von Bildung liegen. Sprachliche Kompetenz ist keine Selbstverständlichkeit – sie muss erlernt, gefördert und gepflegt werden. Wer nicht frühzeitig lernt, Gefühle, Gedanken und Kritik in Sprache zu fassen, wird später leichter zur Wut neigen – und andere dafür verantwortlich machen.

 

Der fortschreitende Rückbau sprachlicher Förderung, die Überforderung vieler Schulen und das schwindende gesellschaftliche Ansehen von Sprache, Kultur und Bildung insgesamt fordern nun ihren Preis.

 

Die Verrohung der Sprache ist weit mehr als ein Stilproblem – sie ist Ausdruck tiefgreifender gesellschaftlicher Verwerfungen. Wo sprachliche Unsicherheit auf Aggression trifft, entsteht ein gefährliches Gemisch aus Frust, Desinformation und sozialer Spaltung. Besonders besorgniserregend ist, dass gerade jene mit den geringsten Ausdrucksmöglichkeiten sich oft am lautesten als Richter über andere aufspielen.

 

Wer komplexe Zusammenhänge nicht versteht, urteilt vorschnell. Wer sich nicht ausdrücken kann, greift zur Beschimpfung. Was bleibt, ist eine absurde Umkehrung zivilisierten Diskurses.

 

Dem gilt es entgegenzuwirken – durch klare Grenzen in der öffentlichen Debatte, aber vor allem durch mehr sprachliche Bildung, mehr Förderung von Empathie und eine neue Wertschätzung für Sprache als Fundament einer offenen, demokratischen Gesellschaft.


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