
DMZ – POLITIK ¦ Anton Aeberhard ¦
Eine Studie zeigt, wie Populismus und gezielte Desinformation die Energiewende behindern
Berlin – Die Auseinandersetzungen um das deutsche Gebäudeenergiegesetz (GEG), im Volksmund als „Heizungsgesetz“ bekannt, haben nicht nur politische Debatten geprägt, sondern auch die Umsetzung der Klimaziele spürbar erschwert. Eine aktuelle Studie, veröffentlicht im Fachjournal Energy Research & Social Science (DOI: 10.1016/j.erss.2025.104034), analysiert nun erstmals systematisch die Diskurse und Strategien hinter der Kampagne gegen das GEG. Die Autoren Tobias Haas, Hendrik Sander, Anna Fünfgeld und Franziska Mey kommen zu einem beunruhigenden Ergebnis: Rechtspopulistische Narrative und mediale Kampagnen haben die Gesetzgebung substanziell beeinflusst – und damit die Energiewende gezielt ausgebremst.
Vom Klimaschutzgesetz zur Kulturkampffront
Mit dem Ziel, den Gebäudesektor auf Klimakurs zu bringen, legten die federführenden Ministerien BMWK (unter Robert Habeck, Grüne) und BMWSB (unter Klara Geywitz, SPD) Anfang 2023 einen Gesetzentwurf vor, der neue Standards für Heizsysteme vorsah. Angesichts der hohen CO₂-Emissionen des Sektors – allein 102 Millionen Tonnen im Jahr 2023, rund 15 % der gesamten Treibhausgasemissionen Deutschlands – war Handlungsbedarf unstrittig.
Doch statt einer sachlichen Debatte folgte ein politischer Kulturkampf. Bereits vor der offiziellen Veröffentlichung gelangte der Entwurf an die Boulevardzeitung Bild, die mit Schlagzeilen wie „Habeck will Öl und Gas verbieten“ und der Prägung des Begriffs „Heizhammer“ eine emotional aufgeladene und verzerrte Debatte entfachte.
Fünf Narrative der Obstruktion
Die Studie identifiziert fünf zentrale rechtspopulistische Diskursstränge, die maßgeblich zur Delegitimierung des GEG beitrugen:
Enteignung: Politiker wie Jens Spahn (CDU) und rechtspopulistische Akteure wie die AfD warnten vor angeblicher „Zwangssanierung“ und „Enteignung durch die Hintertür“. Eigentumsrechte wurden gegen Klimaschutz ausgespielt.
Bevormundung: Die CSU fabulierte von einer „staatlichen Heizungsspionage“, CDU-Politiker aus Thüringen verglichen das Gesetz mit der Überwachungspraxis der DDR. Das GEG wurde als Ausdruck einer entmündigenden Öko-Bürokratie inszeniert.
Ideologische Verblendung: Kritiker unterstellten den Grünen eine „dogmatische Heizwende“, die technologische Offenheit und soziale Gerechtigkeit missachte. Besonders die AfD sprach von einem ideologischen „Angriff auf den Wohlstand“.
Grüner Filz: Der Vorwurf, das Gesetz diene in erster Linie grünen Netzwerken zur Selbstbereicherung, wurde durch gezielte Personalisierung – etwa die Rolle von Staatssekretär Patrick Graichen – geschürt.
Scheinsolidarität: Unter dem Deckmantel der sozialen Gerechtigkeit wurde suggeriert, das GEG schade vor allem den „kleinen Leuten“. Die CDU etwa propagierte „Klimaschutz mit dem Volk, nicht gegen das Volk“.
Diese Argumentationslinien folgen laut den Forschenden einem klassischen populistischen Muster: Die Interessen einer vermeintlichen „normalen Bevölkerung“ werden gegen eine elitäre, klimabezogene „Machtclique“ in Stellung gebracht. Expliziter Klimawandelskeptizismus tritt dabei in den Hintergrund – die Obstruktion erfolgt subtiler, über Narrative des Alltags und vermeintlicher Ungerechtigkeit.
Polarisierung statt Problemlösung
Die Auswirkungen dieser Diskurse waren tiefgreifend. Teile des Gesetzes wurden verwässert, Übergangsfristen verlängert. Noch gravierender: Die mediale Debatte verunsicherte Millionen Haushalte. Viele glaubten fälschlich, sie müssten ihre Heizsysteme sofort ersetzen – was zu einem Ansturm auf neue Öl- und Gasheizungen führte, die eigentlich aus dem Markt gedrängt werden sollten.
„Was wir beobachten, ist ein Lehrstück für die politische Wirksamkeit rechtspopulistischer Diskurse im Kontext der sozial-ökologischen Transformation“, sagt Mitautor Tobias Haas. Die Studie fordert deshalb eine Neubewertung politischer Transformationsprozesse: Weg von der technokratischen Fokussierung auf „grüne Nischen“, hin zu einer politikwissenschaftlich fundierten Auseinandersetzung mit gesellschaftlichen Machtkämpfen und Obstruktionsstrategien.
Zwischen Widerstand und Verantwortung
Der Fall des GEG offenbart exemplarisch, wie anfällig Klimapolitik für ideologische Instrumentalisierung ist. Dabei zeigen Umfragen regelmäßig eine breite Zustimmung der Bevölkerung zu mehr Klimaschutz – solange es nicht konkret wird. Genau hier setzt die rechtspopulistische Strategie an: Sie verwandelt technische Maßnahmen in identitätspolitische Bedrohungsszenarien.
Die Konsequenz ist dramatisch: Wo Klimapolitik zur Projektionsfläche von Angst und Ressentiment wird, verlieren faktenbasierte Argumente an Boden. Die Verantwortung liegt nun bei Politik, Wissenschaft und Medien gleichermaßen, dieser Entwicklung entgegenzutreten – mit Transparenz, Kommunikation und politischer Standhaftigkeit.
Fazit: Die Studie zeigt eindrücklich, dass der Erfolg von Klimapolitik nicht allein von technologischen Innovationen oder ökonomischen Anreizen abhängt – sondern ebenso von der Fähigkeit, politische Narrative zu gestalten und populistischer Vereinnahmung standzuhalten. Die Wärmewende ist ein gesellschaftliches Projekt – und sie braucht politischen Mut, nicht Populismus.
Fehler- und Korrekturhinweise
Wenn Sie einen Fehler entdecken, der Ihrer Meinung nach korrigiert werden sollte, teilen Sie ihn uns bitte mit, indem Sie an intern@mittellaendische.ch schreiben. Wir sind bestrebt, eventuelle Fehler zeitnah zu korrigieren, und Ihre Mitarbeit erleichtert uns diesen Prozess erheblich. Bitte geben Sie in Ihrer E-Mail die folgenden Informationen sachlich an:
- Ort des Fehlers: Geben Sie uns die genaue URL/Webadresse an, unter der Sie den Fehler gefunden haben.
- Beschreibung des Fehlers: Teilen Sie uns bitte präzise mit, welche Angaben oder Textpassagen Ihrer Meinung nach korrigiert werden sollten und auf welche Weise. Wir sind offen für Ihre sinnvollen Vorschläge.
- Belege: Idealerweise fügen Sie Ihrer Nachricht Belege für Ihre Aussagen hinzu, wie beispielsweise Webadressen. Das erleichtert es uns, Ihre Fehler- oder Korrekturhinweise zu überprüfen und die Korrektur möglichst schnell durchzuführen.
Wir prüfen eingegangene Fehler- und Korrekturhinweise so schnell wie möglich. Vielen Dank für Ihr konstruktives Feedback!
Unterstützen Sie uns jetzt!
Seit unserer Gründung steht die DMZ für freien Zugang zu Informationen für alle – das ist unser Alleinstellungsmerkmal. Wir möchten, dass jeder Mensch kostenlos faktenbasierte Nachrichten erhält, und zwar wertfrei und ohne störende Unterbrechungen.
Unser Ziel ist es, engagierten und qualitativ hochwertigen Journalismus anzubieten, der für alle frei zugänglich ist, ohne Paywall. Gerade in dieser Zeit der Desinformation und sozialen Medien ist es entscheidend, dass seriöse, faktenbasierte und wissenschaftliche Informationen und Analysen für jedermann verfügbar sind.
Unsere Leserinnen und Leser machen uns besonders. Nur dank Ihnen, unserer Leserschaft, existiert die DMZ. Sie sind unser größter Schatz.
Sie wissen, dass guter Journalismus nicht von selbst entsteht, und dafür sind wir sehr dankbar. Um auch in Zukunft unabhängigen Journalismus anbieten zu können, sind wir auf Ihre Unterstützung angewiesen.
Setzen Sie ein starkes Zeichen für die DMZ und die Zukunft unseres Journalismus. Schon mit einem Beitrag von 5 Euro können Sie einen Unterschied machen und dazu beitragen, dass wir weiterhin frei berichten können.
Jeder Beitrag zählt. Vielen Dank für Ihre Unterstützung!