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AT: Volker Türk warnt vor Erosion des Multilateralismus – UN-Menschenrechtschef im Gespräch mit österreichischen Abgeordneten

 (c) Parlamentsdirektion/ Michael Buchner
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DMZ –  POLITIK ¦ MM ¦ Lena Wallner ¦  (c) Parlamentsdirektion/ Michael Buchner 

 

Wien – Mit eindringlichen Worten hat der UN-Hochkommissar für Menschenrechte, Volker Türk, im österreichischen Parlament auf die zunehmende Schwächung internationaler Institutionen hingewiesen. Im Rahmen eines Gesprächs mit Nationalratsabgeordneten zeigte sich Türk besorgt über den Legitimitätsverlust von Organisationen wie den Vereinten Nationen und dem Internationalen Strafgerichtshof. Menschenrechte würden zunehmend als „Ideologie“ diffamiert, multilaterale Strukturen gerieten unter politischen wie finanziellen Druck.

 

„Wenn fundamentale Prinzipien wie die territoriale Integrität verletzt werden, wird damit das Vertrauen in internationale Regeln untergraben – und das hat weitreichende Konsequenzen, auch für Europa“, sagte Türk mit Blick auf Russlands Angriffskrieg gegen die Ukraine. Gerade kleinere Staaten wie Österreich sollten sich nachdrücklich für den Erhalt und die Stärkung des Multilateralismus einsetzen, so der Appell des UNO-Vertreters.

 

Dialog über globale Krisenherde und den Schutz der Menschenrechte

An dem Austausch nahmen unter anderem die Abgeordneten Gudrun Kugler (ÖVP), Petra Bayr (SPÖ), Muna Duzdar (SPÖ), Agnes Sirkka Prammer (Grüne), Andreas Minnich (ÖVP), Dominik Oberhofer (NEOS) sowie Dagmar Belakowitsch und Katayun Pracher-Hilander (beide FPÖ) teil. Diskutiert wurden neben der Lage in der Ukraine und im Gazastreifen auch Fragen zur irregulären Migration und den Herausforderungen durch künstliche Intelligenz.

 

Türk betonte, dass multilaterale Institutionen trotz aller Kritik nicht machtlos seien. Auch wenn die Vereinten Nationen unter finanziellem Druck stünden – etwa durch Beitragskürzungen der USA –, hätten internationale Interventionen in Ländern wie dem Iran, Bangladesch oder Serbien durchaus Wirkung gezeigt. Im Iran sei etwa das umstrittene Kopftuchgesetz durch internationalen Druck gestoppt worden. Und auch in Serbien habe sein Besuch – inklusive Gesprächen mit Regierung, Zivilgesellschaft und Medien – „präventiv“ gewirkt, wie Türk sagte. Eine mögliche Untersuchung zum Einsatz von Schallwaffen gegen Demonstrierende sei derzeit noch offen.

 

Gerichtsbarkeit als Rückgrat der Menschenrechte

Sowohl in Bezug auf die Ukraine als auch auf den Gazastreifen forderte Türk eine konsequente Anwendung des Völkerrechts. Russland habe mit seinem Angriff auf die Ukraine „schwere Verstöße“ gegen das Völkerrecht und die Menschenrechte begangen. Gleichzeitig betonte er, dass auch Verstöße auf ukrainischer Seite dokumentiert und aufgearbeitet werden müssten – ein Punkt, der Teil eines möglichen Friedensprozesses sein müsse.

 

Zur Eskalation im Nahen Osten äußerte sich Türk mit gleicher Deutlichkeit. Der UN-Menschenrechtschef zeigte sich beunruhigt über die humanitäre Lage im Gazastreifen und forderte die sofortige Zulassung von Hilfslieferungen sowie einen dauerhaften Waffenstillstand. Auch die drohende Hungersnot, die eingeschränkte medizinische Versorgung und die wachsende Gefahr der Vertreibung im Westjordanland seien alarmierende Zeichen.

 

Mit Blick auf die jüngste Entscheidung des Internationalen Strafgerichtshofs, sowohl den russischen Präsidenten Wladimir Putin als auch den israelischen Premier Benjamin Netanjahu wegen möglicher Kriegsverbrechen anzuklagen, warnte Türk vor doppelten Standards. „Gerichte dürfen nicht nach politischer Opportunität bewertet werden. Ihre Unabhängigkeit ist ein Grundpfeiler internationaler Stabilität“, so Türk.

 

Migrationspolitik: Menschenwürde kennt keine Ausnahmen

Auch die migrationspolitischen Fragen führten zu intensiven Diskussionen. Türk stellte klar, dass das internationale Menschenrecht unverhandelbar sei – auch gegenüber Straftätern. Niemand dürfe in ein Land abgeschoben werden, in dem ihm Folter drohe. Gleichzeitig sprach er sich für mehr Engagement in den Herkunftsländern sowie für gezielte Integrationsmaßnahmen in den Aufnahmestaaten aus. Eine Aushöhlung der Europäischen Menschenrechtskonvention in diesem Zusammenhang lehnte er entschieden ab.

 

Künstliche Intelligenz und gesellschaftlicher Zusammenhalt

Am Ende des Gesprächs ging Türk auf die Herausforderungen durch künstliche Intelligenz ein. Bei aller technologischen Euphorie warnte er vor den Gefahren für demokratische Diskurse und den sozialen Zusammenhalt. „Wir brauchen klare internationale Regeln, um Desinformation, Diskriminierung und Polarisierung entgegenzuwirken“, sagte er. Der Einsatz digitaler Technologien müsse sich an Menschenrechten orientieren, nicht an wirtschaftlichen Interessen allein.

 

Plädoyer für gemeinsame Verantwortung

Türks zentrale Botschaft war ein eindringlicher Appell: In einer Zeit globaler Unsicherheiten dürften internationale Institutionen nicht geschwächt, sondern müssten gestärkt werden. Gerade Demokratien hätten die Verantwortung, das multilaterale System zu schützen – nicht zuletzt, weil ihr eigener Bestand davon abhängt.

 

„Die Menschenrechte wurden aus den Schrecken des Zweiten Weltkriegs geboren. Sie sind nicht verhandelbar. Und sie müssen in ihrer vollen Breite – politisch, wirtschaftlich und sozial – verstanden und verteidigt werden“, betonte Türk abschließend.

 

 

 

Herausgeber / Quelle: Parlamentskorrespondenz Österreich ¦ 


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