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AT: "Ursprung allen Übels": Volksanwaltschaft warnt vor Menschenrechtsrisiken durch Personalmangel

DMZ –  POLITIK ¦ MM ¦ Lena Wallner ¦ 

 

Verzögerungen, Überlastung, fehlende Hilfe: Ausschuss berät dramatischen Bericht der Volksanwaltschaft über strukturelle Defizite in Österreichs Verwaltungssystem

 

Wien – Der Ausschuss für Menschenrechte und Volksanwaltschaft des Nationalrats befasste sich in seiner jüngsten Sitzung mit dem aktuellen Tätigkeitsbericht der Volksanwaltschaft für das Jahr 2024. Die Analyse ist alarmierend: Massive Personalengpässe und strukturelle Mängel gefährden laut den Volksanwält:innen Elisabeth Schwetz, Gabriela Schwarz und Bernhard Achitz nicht nur die Effizienz der öffentlichen Verwaltung, sondern zunehmend auch die Einhaltung grundlegender Menschenrechte. Die Abgeordneten nahmen den Bericht einstimmig zur Kenntnis – die Forderungen nach Reformen und politischem Handlungswillen stehen nun im Raum.

 

Verwaltung am Limit: 24.000 Beschwerden, 20 % mit Missständen

Rund 24.000 Beschwerden erreichten im Jahr 2024 die Volksanwaltschaft – ein Anstieg, den Schwetz teils auf das gestiegene Vertrauen in die Institution zurückführt. In etwa jedem fünften abgeschlossenen Fall bestätigte sich ein Missstand. Besonders betroffen: das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA), die Wiener Magistratsabteilung 35 (MA 35), das Gesundheitssystem sowie der Justizvollzug. Die Liste der Problemfelder ist lang – und verbindet sich laut Volksanwaltschaft durch ein zentrales Thema: Personalmangel.

 

„Die Verfahren dauern zu lange, die Betroffenen bleiben in Unsicherheit – das ist menschenrechtlich hochproblematisch“, mahnte Schwetz. Auch die psychosozialen Auswirkungen, etwa im Asylbereich oder bei postviralen Erkrankungen wie ME/CFS, seien nicht zu unterschätzen. Allein im Gesundheitsbereich zählen unzureichende Kostenersatzzahlungen und fehlende Erklärungen von Verwaltungsakten zu den häufigsten Beschwerden.

 

Justizvollzug überfüllt – Suizide nehmen zu

Gabriela Schwarz beschrieb eindrücklich die Zustände in österreichischen Justizanstalten. Der chronische Personalmangel führe nicht nur zu einem „drückenden Überbelag“, sondern zunehmend zu psychosozialen Krisen. Die Anzahl an Suiziden unter Inhaftierten nehme laut Schwarz stetig zu – eine Konsequenz der Überforderung des Personals und unzureichender Betreuung.

 

Ein Hoffnungsschimmer sei die jüngste Ausweitung der Möglichkeiten für den elektronisch überwachten Hausarrest. Doch auch dies könne das Grundproblem nicht lösen: „Wenn alle Planstellen nur auf dem Papier besetzt sind, hilft das niemandem“, so Schwarz.

 

Missstände bei Kinderbetreuungsgeld und ME/CFS: Kritik am Familienministerium

Besonders scharf fiel die Kritik von Bernhard Achitz am Familienministerium aus. Dieses verweigere seit Jahren eine konstruktive Zusammenarbeit, insbesondere im Zusammenhang mit dem Kinderbetreuungsgeld. Beschwerden über monatelange Verzögerungen bei der Auszahlung und fehlende Kommunikation sind laut Achitz keine Einzelfälle. „Die Betroffenen werden im bürokratischen Dschungel alleine gelassen“, so seine ernüchternde Bilanz.

 

Zudem warnte Achitz vor systematischer Diskriminierung von Menschen mit Myalgischer Enzephalomyelitis/Chronischem Fatigue-Syndrom (ME/CFS). Die Betroffenen würden bei der Beantragung von Rehabilitationsgeld oft auf Gutachter:innen verwiesen, die die Krankheit nicht anerkennen oder fälschlich als psychisch einstufen. Der Leidensweg werde dadurch verlängert – mit schwerwiegenden gesundheitlichen Folgen.

 

Pflegenotstand, Digitalisierungslücke, Kinderschutz

Insgesamt führten die Volksanwält:innen 458 präventive Menschenrechtskontrollen durch. In zwei Dritteln der Fälle wurden Mängel festgestellt – häufig in Pflegeheimen und Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe. Dort sei der Fachkräftemangel besonders dramatisch. Auch im Bereich der Digitalisierung sieht die Volksanwaltschaft eine wachsende soziale Spaltung: Viele Behördenangebote seien nur noch online verfügbar, wodurch insbesondere ältere oder sozial benachteiligte Menschen ausgeschlossen würden.

 

Die psychiatrische Versorgung von Kindern und Jugendlichen sei laut Achitz ebenfalls „im Argen“. Das beginne bereits in der medizinischen Ausbildung. Die Politik müsse dringend handeln, um langfristig Versorgungsstrukturen zu sichern und Fachkräfte zu gewinnen.

 

Appell an Politik: Kommunikation auf Augenhöhe, Ressourcen sichern

Ein zentrales Anliegen der Volksanwaltschaft bleibt die Kommunikation zwischen Verwaltung und Bürger:innen. Oft entstünden Beschwerden, weil Behörden ihre Entscheidungen nicht ausreichend erklärten. „Auf Augenhöhe zu kommunizieren, bedeutet auch, Verantwortung ernst zu nehmen“, so Schwetz.

 

Angesichts der Bandbreite an Problemlagen – vom Papamonat bei Adoptionen über Kinderschutzkonzepte bis hin zu Beschwerden über Botschaften in Teheran und Islamabad – zeigt der Bericht deutlich: Es geht nicht nur um Bürokratie. Es geht um Vertrauen, Gerechtigkeit – und letztlich um den Schutz der Grundrechte in Österreich.

 

Fazit: Der Bericht der Volksanwaltschaft offenbart ein erschreckendes Bild: Wo Personal fehlt, geraten Rechte ins Wanken. Die einstimmige Kenntnisnahme im Ausschuss ist ein erster Schritt – doch ohne politische Konsequenzen droht das Vertrauen in Staat und Verwaltung weiter zu erodieren.

 

Hinweis: Die Volksanwaltschaft ist ein unabhängiges Kontrollorgan des Nationalrats zur Wahrung der Menschenrechte und zur Überprüfung der öffentlichen Verwaltung in Österreich.

 

 

Herausgeber / Quelle: Parlamentskorrespondenz Österreich ¦ 


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