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AT: 30 Jahre Budgetpolitik im Schatten der EU – Österreichs Weg von der Euro-Krise zur Fiskalreform

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DMZ –  POLITIK ¦ MM ¦ Lena Wallner ¦(c) Parlamentsdirektion/ Bildagentur Zolles KG/ Leo Hagen

 

Wien. Drei Jahrzehnte nach dem EU-Beitritt steht Österreichs Budgetpolitik vor einer erneuten Weichenstellung. Mit der Reform des Stabilitäts- und Wachstumspakts im April 2024 setzt die Europäische Union auf flexiblere, aber auch verbindlichere Regeln. Für Österreich bedeutet das: Die fiskalische Selbstverantwortung steigt – ebenso wie der Druck aus Brüssel. Während die Schuldenquote steigt und ein EU-Defizitverfahren droht, muss die Regierung ihre finanzpolitische Linie justieren. Und das in einem politisch sensiblen Wahljahr.

 

Vom Maastricht-Vertrag zur Corona-Krise

Österreich trat 1995 der Europäischen Union bei, drei Jahre später wurden die sogenannten Maastricht-Kriterien verbindlich. Diese schreiben unter anderem eine jährliche Neuverschuldung von maximal 3 % des Bruttoinlandsprodukts (BIP) und eine Schuldenquote unter 60 % vor. Österreich bekannte sich früh zu diesem fiskalischen Regelwerk – auch als Voraussetzung für die Teilnahme an der gemeinsamen Währung.

 

Zwischen 2002 und 2013 rang Österreichs Finanzpolitik mit den Folgen der Euro-Krise. Die Bankenrettungen nach dem Hypo-Alpe-Adria-Debakel, Konjunkturpakete und geringes Wachstum sorgten für steigende Schulden. Erst unter Finanzminister Hartwig Löger (ÖVP) erreichte Österreich 2018 und 2019 erstmals wieder Budgetüberschüsse von 0,2 bzw. 0,7 % des BIP. Die Schuldenquote sank auf rund 70 % – ein relativer Erfolg im europäischen Vergleich.

 

Pandemie und Energiekrise: Rückfall in die Defizitspirale

Mit Beginn der Corona-Pandemie im Jahr 2020 kehrte sich das Bild dramatisch. Um wirtschaftliche und soziale Verwerfungen abzufedern, verabschiedete die türkis-grüne Bundesregierung mehrere Hilfspakete. Die öffentlichen Ausgaben explodierten: Allein 2020 betrug das Defizit 8,1 % des BIP, 2021 waren es 5,9 %. Gleichzeitig wurde die Maastricht-Schranke im Rahmen der EU-Ausnahmeregelung („General Escape Clause“) temporär außer Kraft gesetzt.

 

Nach dem Abklingen der Pandemie verschärfte die Energiekrise infolge des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine erneut die fiskalische Lage. Inflationsausgleichszahlungen, Preisbremsen und Unternehmenshilfen trugen dazu bei, dass Österreichs Schuldenquote 2023 bei rund 78,4 % lag – Tendenz steigend. Die Maastricht-Grenze bleibt damit dauerhaft überschritten.

 

Reform der EU-Fiskalregeln: Mehr Flexibilität, mehr Verantwortung

Im April 2024 einigten sich Rat und Parlament der EU auf eine Reform der bisherigen Fiskalregeln. Im Mittelpunkt steht nicht mehr die kurzfristige Einhaltung fixer Schwellenwerte, sondern ein mittelfristiger Anpassungspfad. Mitgliedstaaten müssen künftig sogenannte „national strukturierte Pläne“ vorlegen, die darlegen, wie Schulden abgebaut und wachstumsfördernde Reformen umgesetzt werden sollen. Österreich muss seine Pläne bis Frühjahr 2025 der EU-Kommission vorlegen.

 

Besonders brisant: Länder mit einem übermäßigen Defizit – wie Österreich – könnten mit einem neuen EU-Defizitverfahren konfrontiert werden. Laut Finanzministerium wurde ein solches Verfahren „noch nicht eröffnet“, aber die Gefahr bestehe, sollte das strukturelle Defizit nicht verringert werden. 2023 betrug dieses laut WIFO-Prognose 1,8 % des BIP, bei einer Gesamtverschuldung von knapp 350 Milliarden Euro.

 

Budget 2025/2026 als finanzpolitische Bewährungsprobe

Die große finanzpolitische Nagelprobe folgt mit dem Doppelbudget 2025/2026. Es muss nicht nur den Vorgaben der EU genügen, sondern wird gleichzeitig zum Lackmustest innenpolitischer Glaubwürdigkeit. Denn 2024 ist Wahljahr. Der Fiskalspielraum ist eng, und die politischen Konfliktlinien sind klar erkennbar:

  • Die ÖVP pocht auf „klares Bekenntnis zu Konsolidierung und Schuldenbremse“.

  • Die Grünen betonen die Notwendigkeit „klimafreundlicher Investitionen“.

  • Die SPÖ fordert eine gerechte Steuerstruktur und Vermögensabgaben.

  • Die FPÖ lehnt weitere „EU-Einmischung“ kategorisch ab.

Ob der Budgetentwurf den Spagat zwischen Brüssel und den heimischen Parteiprofilen schafft, ist offen. Klar ist: Die EU wird den Druck erhöhen. Auch der Rechnungshof mahnt bereits: Ohne strukturelle Reformen bei Pensionen, Förderungen und Bürokratie sei der Konsolidierungspfad „nicht nachhaltig“.

 

Fazit: Österreichs Haushaltspolitik zwischen Integration und Eigenverantwortung

Österreich hat sich in den letzten 30 Jahren stark an den Vorgaben der EU orientiert – teils aus Überzeugung, teils aus Notwendigkeit. Die Reform des Stabilitätspakts eröffnet nun neue Spielräume, verlangt aber auch mehr Transparenz und Umsetzungswillen. In einer Zeit multipler Krisen wird sich zeigen, ob die politische Führung den Mut zu Reformen aufbringt – oder ob parteipolitisches Kalkül über fiskalische Vernunft siegt.

  

 

 

 

 

Herausgeber / Quelle: Parlamentskorrespondenz Österreich ¦ 


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