
DMZ – POLITIK ¦ MM ¦ Lena Wallner ¦
Wien – In einer kurzen, aber intensiven Debatte im österreichischen Nationalrat haben die Grünen scharfe Kritik an der Bestellung des ehemaligen Bundeskanzlers Karl Nehammer (ÖVP) in das Direktorium der Europäischen Investitionsbank (EIB) geübt. Sie sehen darin ein Paradebeispiel für mangelnde Transparenz bei der Vergabe hochrangiger Posten. Ein von den Grünen eingebrachter Fristsetzungsantrag für ein umfassendes Maßnahmenpaket zur Transparenz blieb jedoch in der Minderheit.
Grünen-Antrag: Online-Register und mehr Kontrolle
Die Grünen forderten ein ganzes Bündel an Maßnahmen: ein öffentlich zugängliches Transparenzregister für Spitzenfunktionen, die Ausweitung des Hinweisgeberschutzes auf Postenschacher, eine verpflichtende Begründung für hochrangige Besetzungen sowie strengere Ausschreibungspflichten. Ziel sei es, das Vertrauen in die demokratischen Institutionen zu stärken und parteipolitisch motivierte Personalentscheidungen zu verhindern. Die Behandlung des Antrags im Verfassungsausschuss bis spätestens 12. Mai wurde jedoch von der Mehrheit des Parlaments abgelehnt.
Tomaselli (Grüne): Nehammer-Besetzung erinnert an alten Proporz
Nina Tomaselli, Abgeordnete der Grünen, übte scharfe Kritik an der Bestellung Nehammers: „Das ist kein Ergebnis eines transparenten Auswahlverfahrens, sondern ein klassischer Fall parteipolitischer Absicherung.“ Der frühere Kanzler werde nicht aufgrund fachlicher Qualifikation, sondern zum Zwecke eines „weichen Falls“ versorgt. Zugleich räumte Tomaselli ein, dass auch die Grünen während ihrer Regierungsbeteiligung in einen umstrittenen „Sideletter“ eingebunden waren – ein Fehler, wie sie betonte. Dennoch sei Postenbesetzung nicht per se problematisch, solange sie nachvollziehbar und qualifikationsbasiert erfolge.
FPÖ: „Belohnung für politisches Versagen“
Auch aus den Reihen der FPÖ kam deutliche Kritik. Dagmar Belakowitsch sprach von einer „Belohnung“ für Nehammers politisches Scheitern, sowohl als Innenminister während der Corona-Pandemie und des Terroranschlags in Wien als auch als Kanzler. Die Ernennung sei ein weiteres Beispiel für den aus ihrer Sicht ungebremsten „Postenschacher“ im politischen Wien – ebenso wie die nominelle Bestellung des ehemaligen Finanzministers Magnus Brunner zum EU-Kommissar.
ÖVP verteidigt Vorgehen: Keine geheimen Absprachen
Dem hielt Wolfgang Gerstl (ÖVP) entgegen, dass die aktuelle Bundesregierung erstmals keine geheimen Absprachen mehr getroffen habe. Postenbesetzungen seien klar im Regierungsprogramm verankert, etwa bei der anstehenden Bestellung von Verfassungsrichter:innen. Die Grünen hätten während ihrer Regierungszeit selbst Positionen – etwa im Aufsichtsrat der ASFINAG – besetzt. Die Vorwürfe der FPÖ wies Gerstl als unbegründet zurück.
SPÖ: Grüne haben ihre Chance verpasst
Für die SPÖ stellte Muna Duzdar fest, dass die Grünen selbst fünf Jahre lang Gelegenheit gehabt hätten, mehr Transparenz umzusetzen. Jetzt, in der Opposition, hätten sie offenbar das moralische Sendungsbewusstsein wiederentdeckt. Sie sprach von einer Regierung, die transparenter sei als jede zuvor – eine Einschätzung, die sie mit Blick auf die Offenlegung der Posten im Regierungsprogramm untermauerte.
NEOS erinnern an Grünen-Sideletter
Auch die NEOS, vertreten durch Markus Hofer, verwiesen auf die Verantwortung der Grünen für frühere intransparente Vereinbarungen. Das Regierungsprogramm enthalte nunmehr alle gemeinsam zu besetzenden Positionen. Die Ernennung Nehammers sei jedoch nicht Teil dieses Programms, sondern liege in der Zuständigkeit des Finanzministeriums.
Grüne kontern: Transparenz muss mehr als ein Lippenbekenntnis sein
Sigrid Maurer (Grüne) konterte: Gerade der Umstand, dass selbst Koalitionspartner wie die NEOS von Nehammers Ernennung erst aus der Presse erfahren hätten, belege die Schwächen des aktuellen Systems. Sie forderte „echte Anstrengungen“ für mehr Transparenz: „Wenn man es ernst meint, darf man nicht bei halben Listen stehenbleiben.“ Die Kritik richte sich nicht persönlich gegen Nehammer, sondern gegen die Art und Weise, wie politische Posten vergeben werden.
Fazit: Fristsetzungsantrag abgelehnt, Debatte angestoßen
Obwohl der Antrag der Grünen letztlich scheiterte, hat die Debatte ein grundsätzliches Problem sichtbar gemacht: die mangelnde institutionelle Verankerung klarer Regeln für Postenbesetzungen. Die Frage, wie hochdotierte Positionen in der öffentlichen Verwaltung und in europäischen Institutionen besetzt werden, bleibt eine politische Baustelle – und ein Prüfstein für das demokratische Selbstverständnis der Republik.
Herausgeber / Quelle: Parlamentskorrespondenz Österreich ¦
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