
DMZ – GLOBAL ¦ Lena Wallner ¦
Von der Peripherie ins Zentrum: Das Pontifikat Jorge Mario Bergoglios hinterlässt Spuren – in der Kirche wie in der Weltpolitik.
Am Ostermontag 2025, um 7.35 Uhr, ist Papst Franziskus im Alter von 88 Jahren in seiner Residenz im Vatikan verstorben. Damit endet ein Pontifikat, das von Anfang an anders war. Der erste Papst aus Lateinamerika, der erste Jesuit auf dem Stuhl Petri, der erste, der sich Franziskus nannte – und einer, der stets den Anspruch erhob, Kirche und Welt näher zusammenzubringen.
Ein Bruch mit Traditionen
Als Jorge Mario Bergoglio am 13. März 2013 auf die Loggia des Petersdoms trat, überraschte er die Welt mit einer schlichten Geste: kein Prunk, keine Stola – nur ein leiser, freundlicher Gruß: „Fratelli e sorelle, buonasera“. Damit setzte er ein Zeichen für sein gesamtes Pontifikat. Wo viele seiner Vorgänger auf symbolische Distanz setzten, suchte Franziskus Nähe.
Sein Kontrast zu Benedikt XVI. war nicht nur ästhetisch, sondern auch in der Haltung spürbar. Der argentinische Jesuit sprach in einfacher Sprache, setzte sich für soziale Gerechtigkeit ein und sah sich selbst als Anwalt derer, die sonst keine Stimme haben. Dass er nur durch den überraschenden Rücktritt Benedikts 2013 überhaupt ins Amt kam, blieb eine historische Ironie.
Ein Leben an den Rändern der Macht
Geboren am 17. Dezember 1936 in Buenos Aires als Sohn italienischer Einwanderer, war Bergoglio kein kirchlicher Karrierist. Nach einer Ausbildung zum Chemietechniker entschied er sich spät für das Priesteramt. Seine Weihe erfolgte mit 32 Jahren – mitten in den düsteren Jahren der argentinischen Militärdiktatur. Rückblickend wurde ihm von Kritikern Nähe zum Regime vorgeworfen, die er stets zurückwies.
Auch seine Zeit in Deutschland verlief wenig glücklich. In den 1980er Jahren lebte er einige Monate am Rhein, lernte Deutsch, forschte an einer Dissertation – die er nie abschloss. Er selbst beschrieb diese Phase später als isoliert und desorientiert. Eine Rückkehr nach Deutschland während seines Pontifikats blieb aus.
Grenzgänger im doppelten Sinn
Franziskus verstand seine Rolle nicht nur spirituell, sondern auch zutiefst politisch. Seine erste Reise als Papst führte ihn nach Lampedusa – zu den Geflüchteten, zu den Ertrunkenen. Immer wieder betonte er das Leid der Menschen auf der Flucht, nannte das Mittelmeer einen „Friedhof Europas“. Er sprach über Armut, Klimakrise, Ungleichheit – Themen, die vorher selten so zentral in päpstlichen Reden vorkamen.
Seine Enzyklika Laudato Si wurde zum ökologischen Weckruf, der auch weit über kirchliche Kreise hinaus Wirkung entfaltete. Franziskus kritisierte den globalen Kapitalismus, sprach sich für ein gerechteres Wirtschaftssystem aus und betonte: „Es wird keinen Frieden geben ohne soziale Gerechtigkeit.“
Zwischen Hoffnung und Widerstand
Im Vatikan selbst stieß sein Reformwille auf erbitterten Widerstand. Er strukturierte die Kurie um, bemühte sich um mehr Transparenz in Finanzfragen, holte erstmals Frauen in leitende Positionen. Seine kritische Haltung gegenüber innerkirchlicher Machtpolitik brachte ihm auch Feinde ein. Innerhalb konservativer Kreise wurde sein Pontifikat als „chaotisch“ oder gar „desaströs“ beschrieben.
Die Aufarbeitung des sexuellen Missbrauchs innerhalb der Kirche beschäftigte ihn intensiv. Immer wieder forderte er ein radikales Umdenken und klagte offen über die Widerstände, die er selbst in höchsten vatikanischen Kreisen erlebte.
Ein Abschied ohne Heimkehr
Obwohl Franziskus seine Herkunft nie verleugnete, reiste er nie zurück nach Argentinien – auch nicht in seinen letzten Monaten, in denen sein Gesundheitszustand zunehmend fragiler wurde. Ein geplanter Besuch blieb aus. Auf seinem letzten öffentlichen Auftritt am Ostersonntag 2025, sichtlich geschwächt, spendete er noch einmal den Segen „Urbi et Orbi“. Es sollte sein Abschied sein.
Was bleibt
Franziskus wird als Papst in Erinnerung bleiben, der Grenzen überschritt – geografisch, institutionell und ideologisch. Einer, der versuchte, die Kirche zu öffnen, ohne sie zu zerreißen. Einer, der nicht auf eine perfekte Amtsführung setzte, sondern auf eine glaubwürdige Botschaft.
Sein Tod markiert das Ende einer Ära – und stellt die Kirche vor eine ungewisse Zukunft. Wer ihm folgt, wird sich unweigerlich an ihm messen lassen müssen. Denn eines hat Franziskus gezeigt: Dass es auch anders geht.
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