Von Fehlern, die nicht klug machen

DMZ – BILDUNG ¦ Patricia Jungo ¦                 

KOMMENTAR

 

Hast du sie auch gekannt, die Angst vor dem Moment, wo das Prüfungsblatt (oft unsanft) auf deinem Pult gelandet ist und sich deine Augen wie auf Befehl nach „Rotstift-Passagen“ auf die Suche gemacht haben und du dann verstohlen die Hand übers Blatt gelegt hast, um dem Pultnachbarn jeden Blick auf dieses zu verwehren. Oder hast du zu den „Glücklichen“ gehört, die sehr rasch erleichtert durchatmen durften? Falls nicht, hast du bestimmt deine Tränen in die hinterste Ecke deines Herzens verbannt.

 

An solchen Tagen haben das feine Znüni und das Pausenspiel kurz ihren Zauber verloren. Meist hast du erst daheim einen längeren Blick auf dieses üble Blatt gewagt, um festzustellen, dass wieder eine stolze Anzahl roter Markierungen das Blatt übersäte. Sie waren ja auch kaum zu übersehen und der dicke rote Stift hat sich stolz auf auf dem Papier verewigt. Natürlich hast du dir selber zugeredet und versprochen, beim nächsten Mal alles zu tun, um nicht wieder so viele Fehler zu machen. Die Frage, warum immer die Fehler in rot angestrichen sind und nicht das Verstandene in grüner Farbe leuchtet, hast du natürlich nie zu stellen gewagt. Aber irgendwie ist sie dir nicht mehr aus dem Kopf gegangen.

 

Auch das Sprichwort „Aus Fehlern wird man klug“ hat bei dir nur Kopfschütteln ausgelöst. Das schien echt nicht bei allen zu funktionieren, denn es war nicht etwa Klugheit, welche dir deine Fehler beschert haben, nein, es war eine Mischung aus Scham, Schuld und Angst. Ja, die Angst. Sie hat an deine Tür geklopft und ist auch ungebeten eingetreten, um dich beharrlich daran zu erinnern, dass immer und überall Fehler lauerten, vor allem deine eigenen. Bis zu dem Tag, wo auf einmal das Blatt mit den roten Markierungen die Macht über dich verloren hat und du dich entschieden hast, Fehler zu dem zu machen, was sie wirklich sind: eine Einladung, zu reflektieren, nachzuforschen, die Perspektive zu wechseln, Verantwortung zu übernehmen, Sachen neu anzugehen und ohne Scham und Schuld dazu zu stehen, dass einige Entscheidungen nicht tragend waren und gewisse Erfahrungen noch auf andere Weise wiederholt werden durften. Vor deinem inneren Auge ist das Bild eines Prüfungsblattes erschienen, auf dem die grüne Farbe leuchtete, du voller Stolz all das Gelernte begutachten konntest und ganz frei von Angst, Scham und Schuld „die farblosen“ Passagen unter die Lupe nahmst, denen du dich nochmals widmen wolltest.

 

Vielleicht hatte es ja endlich auch bei dir geklappt und deine Fehler machten dich nun wirklich klug. Klug genug jedenfalls, um zu spüren, dass Fehler weder Scham noch Schuld bedurften und es keinen Rotstift brauchte, um sie als Erfahrungen auf deinem Lebensweg anzunehmen und dankbar daraus zu lernen. Du hast verstanden, dass sie die Macht besitzen, die du ihnen gibst und du in jedem Augenblick frei bist, deine Kraft aus dem „Grünbereich“ zu schöpfen. Ich weiß, genau wie ich, wünschst du sie dir, die Welt, die dem Guten die Kraft verleiht und auch aus den Fehlern endlich klug oder zumindest klüger wird.  


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