DMZ – BLICKWINKEL ¦ Patricia Jungo ¦
Die Begriffe „introvertiert und extravertiert“ begegnen uns immer wieder in Gesellschaft und Zusammenleben und dies oft nicht ohne „Wertung“. „Introversion und Extraversion“ wurden als Begriffe von C.G. Jung Anfang des 20. Jahrhunderts in die Persönlichkeitspsychologie eingeführt.
Danach bedeutet introvertiert nach innen gewandt, extravertiert nach außen gewandt. Es versteht sich von selbst, dass die Modelle der Persönlichkeitspsychologie komplexer sind und mehr als diese zwei Faktoren beinhalten. Dennoch gelten sie nach wie vor als wesentliche Eigenschaften von Menschen, welche sich im Verlauf des Lebens nicht wesentlich verändern. So sollen Unterschiede im Gehirn nachgewiesen werden können. Demnach sind extravertierte Menschen stärker vom Sympathikus, introvertierte aber stärker vom Parasympathikus geprägt. Dies erklärt teilweise auch, wieso Extravertierte tendenziell mehr aktives Handeln und Anregung brauchen, Intravertierte dagegen Reflexion und Ruhe.
Extravertierten Menschen sagt man nach, sie würden mehr Risiken eingehen, sich schneller begeistern lassen, sich rascher auf Neues einstellen, ihre Kraft nach außen richten, spontaner reagieren und lieber mündlich kommunizieren und Probleme ansprechen. Auf der anderen Seite sind sie scheinbar auch etwas leichtsinniger, langweilen sich schneller, sind impulsiver und haben mehr Mühe sich zu konzentrieren und alleine zu sein. Demgegenüber sollen Introvertierte vorsichtiger sein, länger an einer Sache bleiben, besser zuhören, mehr Ruhe brauchen, analytischer im Denken sein, besser schriftlich kommunizieren können. Ihnen wird aber auch übertriebene Vorsicht nachgesagt sowie das Vermeiden von Kontakten, das Scheuen von Konflikten. Das sind nur einige Punkte, in denen Unterschiede zwischen extra- und intravertierten Menschen bestehen. Viele haben natürlich Anteile beider Prägungen und vor allem bei Kindern können verschiedene Phasen auftreten.
Meist ist die eigene Persönlichkeit zwischen diesen zwei Polen verortet und einige Menschen sind je nach Situation zur einen oder anderen Seite gewandt. So kommt es häufig vor, dass Menschen, die privat extravertiert sind, bei der Arbeit eher introvertiert sind oder umgekehrt. Es ist also kein Geheimnis, dass Menschen unterschiedliche Persönlichkeiten haben. Unsere Gesellschaft besteht etwa zur Hälfte aus extravertierten Menschen und zur Hälfte aus intravertierten, aber es besteht neben der „Kategorisierung“ klar die Tendenz zur Wertung und so wird oft Intraversion eher als Schwäche dargestellt. Ein Großteil der Menschen lebt nach außen, sucht Reize, Geselligkeit, Abwechslung, Aktivitäten. Viele angestrebte Werte wie Kleidung, Haus, Ferien oder Auto dienen der Wirkung nach außen; das Motto ist oft konsumieren und genießen. Gefordert wird immer öfter ein ständiges Miteinander, im Großraumbüro, in der Vernetzung und der Gesellschaft allgemein. Wer gerne in Ruhe arbeitet, wird beinahe schief angesehen. Viele introvertierte Kinder sind in der Schule „zu still“ und werden deswegen unterschätzt und von den „Lauten“ übertönt.
Häufig werden einfach die Bedürfnisse von Introvertierten übergangen und sie gelten vor allem im Kindesalter als Außenseiter und werden als schüchtern oder gar asozial gewertet. Man hört nur auf die, die laut und schnell genug schreien. Dabei bleiben möglicherweise wunderbare Ideen und Lösungsvorschläge gar nicht erst gehört. Es existieren sogar auch schon Ratgeber für Introvertierte, die ihnen zeigen sollen, wie sie sich anpassen müssen, um etwas zu erreichen. Dabei liegt gerade in der Ruhe und im Schweigen sehr viel Potenzial. Anstatt Introversion als Schwäche zu sehen und Extraversion in den Himmel zu loben, wären wie so oft gegenseitige Bereicherung und Ergänzung der wertvolle Weg für alle. Weder Extravertierte noch Introvertierte sind „besser“. Die Gesellschaft könnte die Vorteile von beiden sinnvoll nutzen und bestrebt sein, die Menschen weniger in Schubladen zu stecken.
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