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Wer ist hier nicht normal, Herr Nehammer?

Bildquelle: Wikipedia / Lizenz via Creative Commons
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DMZ –  POLITIK ¦ Christian Klosz ¦                                             

KOMMENTAR

 

Österreichs überfordertester Kanzlerdarsteller der 2. Republik machte sich zuletzt mehrfach zum Gespött: Neben souverän unsouveränen Auftritten in der ZIB2, die vermuten lassen, dass es Karl Nehammer mit seinem vor einem Jahr ausgegebenen Motto "Alkohol oder Psychopharmaka" selbst etwas zu genau nimmt, sorgte zuletzt sein "Normalitäts"-Fetisch für Stirnrunzeln.

 

Vorausgegangen war dem politischen Trauerspiel ein "Gastbeitrag", den irgendjemand im Namen der niederösterreichischen Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner in der Tageszeitung Der Standard veröffentlichen ließ, in dem dieser Ghostwriter bemüht das Unentschuldbare zu entschuldigen und das schlechte Gewissen der Frau Landeshauptmann zu beruhigen versuchte, die bekanntlich seit einigen Monaten mit der rechtsradikalen FPÖ NÖ koaliert, was sie knapp davor noch dezidiert ausgeschlossen hatte.

 

Ob Mikl-Leitner wirklich das schlechte Gewissen gepackt hat, ob ihr Alt-ÖVPler ins Gewissen geredet haben, denen es den Magen umgedreht hat, nachdem sie das Regierungsprogramm gelesen hatten, oder ob es sich nur um eine verzweifelte PR-Maßnahme handelte, ist nicht völlig klar. Erklärungsbedarf hatte die ÖVP jedenfalls: Denn während man im Bund nicht müde wird, "die FPÖ" zu verteufeln und deren Parteichef Herbert Kickl als "Sicherheitsrisiko" und Leibhaftigen an die Wand zu malen, koaliert man in inzwischen mehreren Bundesländern mit dieser Partei, mit Vertrauten von Kickl, die exakt dieselbe Politik vertreten wie deren Chef.

 

Des unbekannten Ghostwriters Standard-Beitrag mit Mikl-Signatur kam nicht gut an: Dort wurde erstmals über "die Normalen" und "Normalität" schwadroniert, was der ÖVP harsche Kritik einbrachte, auch vom grünen Koalitionspartner im Bund, als Parteichef und Vizekanzler Werner Kogler von "präfaschistischer" Agitation sprach. Spätestens dann wurde Kanzler Nehammer aktiv, der als Abkömmling der niederösterreichischen ÖVP zur Verteidigung seiner Landeshauptfrau ausrückte.

 

Seine Äußerungen wurden seitdem immer abstruser. Und unglaubwürdiger. Denn während Nehammer gegen die "nicht Normalen" agitiert, die für ihn Links- wie Rechtsextreme sind, trifft er selbst sich am liebsten mit autoritäten rechten Politikern wie Viktor Orban und Alexandar Vucic, seine Frau (die heimliche Kanzlerin der Republik) lässt sich bester Laune beim Herumtollen mit Italiens postfaschistischer Regierungschefin abbilden, in der sie offenbar eine gute persönliche Freundin sieht. Ist Kathi Nehammer in den Augen ihres Gatten nun auch "nicht normal"?

 

All das zeigt jedenfalls, dass die ÖVP, allen voran Kanzler Nehammer, das Problem intellektuell nicht verstanden haben: Niemand hat etwas gegen den Gebrauch der Wortes "normal" oder dagegen, dass gewisse Gegebenheiten, soziale Übereinkünfte und Verhaltensweisen als "normal" bezeichnet werden. Was die Norm in einer Gesellschaft ist, wird idealerweise demokratisch bestimmt. Die Norm sollte aber nicht normativ werden und sollte dem von dieser Norm Abweichenden gleichermaßen Raum und Existenzmöglichkeit geben. Vor allem aber kann nicht von einer Partei, von einer Person bestimmt werden, was "normal" ist und was nicht. Das "Normale" unterliegt einer ständigen Entwicklung und ändert sich mit dem Zeitverlauf in die eine oder andere Richtung.

 

Wird dieses Wort als politischer Kampfbegriff verwendet, wird es gefährlich.

 

Und was Nehammer derzeit aufführt, ist wirklich nicht mehr normal. Normal wäre es, wenn die Regierung und der Kanzler die Sorgen der Bevölkerung bezüglich Teuerung ernst nehmen und aktiv Maßnahmen dagegen ergreifen würde. Normal wäre es, wenn die Politik an nachhaltigen Lösungen für den erodierenden Arbeitsmarkt arbeiten würde. Normal wäre es, wenn die gesamte Regierung die Menschen über die immer sichtbarer werdenden Folgen des Klimawandels aufklären würde, Lösungen anbieten und umsetzen würde, Unterstützung für Betroffene sicherstellen und jedem klar machen würde, dass wir so nicht mehr weitermachen können, wenn wir als Menschheit überleben wollen. Normal wäre es, wenn eine staatstragende Partei wie die ÖVP nicht mit Post- oder Präfaschisten koalieren würde oder sich aus Machtgeilheit deren Agenden unterwerfen würde. Normal wäre es, wenn die Verantwortlichen endlich Maßnahmen gegen das implodierende Gesundheits- und Spitalssystem ergreifen würden. Normal wäre es, wenn eine Regierung die weiterhin drastischen Folgen der Corona-Pandemie ernst nehmen würde, die Bevölkerung darüber aufklären und Betroffenen unter die Arme greifen würde. Normal wäre es, wenn sich Machthaber den Problemen unserer Zeit widmen würden, sich Krisen aktiv stellen und unermüdlich an Lösungen arbeiten würden, die nach vorne und nicht nach hinten schauen und auf Fortschritt, Innovation und Veränderung setzen, anstatt der Bevölkerung Sand in die Augen zu streuen, abzuwiegeln und zu lügen.

 

Normal ist es schlussendlich, dies alles selbstverständlich von seiner Regierung und dem dafür Verantwortlichen zu erwarten.

 

Nichts davon geschieht. Insofern sind Sie, Herr Nehammer, als politisch Letztverantwortlicher derjenige, der hier absolut nicht mehr normal agiert.

 

Zuschriften, Feedback, Lob, Kritik gerne via Mail an: christian.klosz@gmx.net 

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