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Die Radsport-Welt im Schock: Der Tod Gino Mäders - Eine Spurensuche

Foto: Buchli Fotografie | Sam Buchli
Foto: Buchli Fotografie | Sam Buchli

DMZ –  POLITIK ¦ Christian Klosz ¦                                             

KOMMENTAR

 

Die Radsport-Welt steht wieder im Mittelpunkt des öffentlichen Interesses: Zuletzt hatte das Corona-Chaos beim Giro d'Italia für Aufsehen gesorgt, das erst nach Masken-Rückkehr und strengeren Schutzmaßnahmen in den Griff gebracht werden konnte, eine Entscheidung, die Nachwirkungen auch für die Tour de France hat: Dort gelten heuer etwa gleich strenge Regeln wie 2021. Auch die Netflix-Doku "Tour de France: Im Hauptfeld" sorgte die letzte Woche für Gesprächsstoff, immerhin bietet sie vor allem für bisher nicht mit diesem Sport Vertraute interessante Einblicke.

 

Doch nun sind es keine Diskussionen um den Umgang mit Corona oder die Freude über gesteigertes Publikumsinteresse, auch keine wieder aufpoppenden Doping-Gerüchte, sondern ein Schock, der die Radwelt gefangen hält: Der Tod des erst 26-jährigen Schweizer Radprofis Gino Mäder bei der Tour de Suisse.

Er war am Donnerstag bei der gefährlichen Zielabfahrt schwer gestürzt, musste am Unfallort reanimiert werden. Und verstarb gestern im Krankenhaus. Die gestrige Etappe der 1-Wochen-Rundfahrt in der Schweiz wurde neutralisiert, das Peloton fuhr stattdessen 30 km zu Mäders Gedenken. Sein Team Bahrain Victorious stieg aus der Tour aus. Die Tour selbst wurde aber - in Rücksprache mit der Familie, wie es heißt - bisher nicht abgesagt, wenngleich viele Fahrer dies fordern, die unter diesen Bedingungen kaum in der Lage sind, sich auf den sportlichen Wettkampf zu konzentrieren, verständlicherweise.

 

Erneut poppt nun eine Diskussion auf, ob dieser Sport zu gefährlich sei, ob und wie man solche tragischen Unfälle verhindern könne, ob Abfahrten vor dem Ziel nötig seien, et cetera. Radsporter üben ihren Beruf unter höchster Anstrengung aus, am Limit ihrer Kräfte, trotzdem ist gerade bei Abfahrten, nicht selten mit bis zu 100 km/h, volle Konzentration nötig. Der kleinste Fehler, nur ein fehlendes Prozent können darüber entscheiden, ob man man heil ins Ziel kommt, entscheiden über Sturz oder sicherer Fahrt. Und über Tod oder Leben, wie dieser tragische Fall illustriert.

 

Es ist dies natürlich nicht der erste, tödliche Radunfall. Jedes Jahr gibt es im Profi-Geschäft Unmengen an Stürzen, zahlreiche schwere Unfälle, und alle paar Jahre kommt es zur Katastrophe, wie nun wieder. Vor rund 20 Jahren konnte man sich zumindest dazu durchringen, Helme verpflichtend zu machen, davor hatte niemand daran gedacht und nicht wenige Profis wehrten sich anfänglich dagegen, der Auslöser war ein tödlicher Sturz gewesen. Inzwischen stellt das vernünftigerweise keiner mehr in Frage. Doch wie man solche schweren Stürze und Verletzungen, wenn sie auch glücklicherweise nicht immer enden wie jener Mäders, verhindern soll, bleibt eine schwer zu beantwortende Frage. Das Tragen von Schutzausrüstung wie etwa bei Motorradfahrern ist wegen dessen Gewicht und Unhandlichkeit kaum möglich. Eine bessere Absperrung der Strecken, gerade bei gefährlichen Abfahrten, wäre wünschenswert, ist flächendeckend aber vermutlich schwer realisierbar, da es sich dabei bei jeder Etappe um dutzende, bei jeder Rundfahrt um viele hundert Kilomter handeln würde, die präpariert werden müssten. Und Abfahrten generell aus Rennen zu streichen ist nicht möglich. "Langsamer Fahren" wohl auch nicht. Das Risiko gehört zu diesem Extremsport, es lässt sich minimieren und reduzieren, doch nie komplett eliminieren.

 

Am Ende bleibt ein Gutteil der Verantwortung bei den Fahrern, ihrem Talent, ihre Maschine zu steuern und ihrer Risikoeinschätzung hängen. Diese ist nur möglich, wenn der Fahrer zu 100% fit ins Rennen geht und bei voller Konzentration und physischer wie kognitiver Leistungsfähigkeit ist. Stutzig macht der Fall Mäders nun auch deshalb, da der Sturz zwar auf einer Abfahrt vor dem Ziel passierte, es für ihn aber um "nichts mehr" ging: Weder um den Tagessieg, noch um die Gesamtwertung. Es macht keinen Sinn, dass er übermäßiges Risiko genommen hätte. Fahrfehler können immer wieder passieren, und gerade bei 100 km/h bergab können sie fatal enden. Und doch begünstigt fehlende Fitness, Konzentration oder das "fehlende Prozent" solche Fehler.

 

Da sollte man vielleicht den Blick auf einen Aspekt werfen, der bisher noch gar nicht betrachtet wurde: Mäder litt erst vor kurzem an einer Corona-Infektion, den bis vor 2 Wochen stattfindende Giro musste es deshalb absagen. Nun stand er kurz danach wieder auf dem Rad, war Teilnehmer einer schwierigen Rundfahrt, die durch hohe Berge und tiefe Täler führte. Es ist reine Spekulation, aber auszuschließen ist eben nicht, dass eine nicht vollständig auskurierte Erkrankung zu diesem tragischen Schicksal beigetragen hat.

 

Wird man solche Tragödien in Zukunft komplett verhindern können? Nein. Sollte es eine breite Diskussion im Radsport - mit allen Beteiligten, Fahrern, Teams, Veranstaltern - darüber geben, wie man Radrennen sicherer machen kann? Ja. Aber dann sollte man bitte auch andere Aspekte wie den oben erwähnten in den Fokus nehmen und sich fragen, wie sinnvoll es ist, Sportler kurz nach schweren Erkrankungen mit bisher nicht vollständig erforschten Folgen und ohne Therapie wieder auf die Strecke und in die Extremüberlastung zu schicken. Immerhin raten Experten zu komplettem Verzicht von Sport bis 6 Wochen nach (auch "milder") Corona-Infektion. Man hat eine Vorbildwirkung. Und die langfristige Gesundheit sollte das höchste Gut und Ziel aller Sportler sein.

 

(Anm.: Der oben hergestellte Zusammenhang ist rein spekulativ. Ebenso sind aber auch alle anderen, vorgebrachten Argumente, die versuchen, diese Tragödie rational fassbar zu machen und zu erklären, zu einem gewissen Ausmaß spekulativ. Der tödliche Sturz muss nicht daran gelegen haben, dass die Abfahrt zu steil oder knapp vor dem Ziel war, es kann aber der ausschlaggebende oder ein bedeutender Faktor gewesen sein. Ebenso wie der oben hergestellte Zusammenhang.)

 

 

Zuschriften gerne an: christian.klosz@gmx.net

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