AT: Terroranschlag 2. November: Volksanwaltschaft sieht Versäumnisse im Innenressort

DMZ –  POLITIK ¦ MM ¦ Lena Wallner ¦                                    

 

Der islamistische Terroranschlag vom 2. November 2020 in der Wiener Innenstadt, bei dem mehrere Todesopfer und teils schwer Verletzte zu beklagen waren, hätte aus Sicht der Volksanwaltschaft möglicherweise verhindert werden können. Zumindest habe das Innenministerium bzw. das damalige Bundesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung (BVT) im Vorfeld über ausreichend Hinweise verfügt, dass der spätere Attentäter K.F. einen Anschlag plant. Eine Meldung an die Staatsanwaltschaft, um K.F. habhaft zu werden, erfolgte jedoch nicht.

 

Im diesbezüglichen Sonderbericht der Volksanwaltschaft ( III-807 d.B.) wird der Umstand, dass die Staatsanwaltschaft nicht rechtzeitig in die Ermittlungen eingebunden wurde, als schwerwiegender Fehler hervorgehoben. Die Frage der individuellen versus institutionellen Verantwortung sei in einem ausgeweiteten Disziplinarverfahren lückenlos aufzuklären, empfiehlt die Volksanwaltschaft Innenminister Gerhard Karner. Als Gründe für die Unterlassung der Berichterstattung an die Staatsanwaltschaft (StA) führe das BMI ausschließlich rechtliche Argumente an und ergehe sich in Relativierungen, wird im Bericht bemerkt. Kommunikations- oder sonstige organisatorische Probleme zwischen den beteiligten Stellen, COVID-19-bedingte Schwierigkeiten, Arbeitsüberlastung oder Unerfahrenheit von Bediensteten fehlten in den Stellungnahmen des Innenressorts hingegen.

 

Einen Verwaltungsmissstand sieht die Volksanwaltschaft in der unzureichenden Aktenübermittlung des BMI zur Gebarungsprüfung, wobei man sich auf die verfassungsrechtliche Verpflichtung von Bundesorganen, die Volksanwaltschaft in ihrer Arbeit zu unterstützen, beruft. Die Kooperation mit dem Justizministerium (BMJ) hingegen sei durchwegs korrekt und effizient verlaufen.

 

Alarmzeichen Munitionskauf: BMI unterließ Meldung an die StA

In ihrem Bericht geht die Volksanwaltschaft zentralen Fragen zum Kenntnisstand der Sicherheitsbehörden über die Gefährlichkeit von K.F. nach, bevor dieser den Terroranschlag verübte. Konkret betrifft dies die Kaufabsicht von Munition für das Attentat mit dem bei Terroristen beliebten Sturmgewehr AK-47. Beleuchtet werden weiters die darauf erfolgten bzw. unterbliebenen Reaktionen des damaligen Bundesamts für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung (BVT), das nunmehr als Direktion Staatsschutz und Nachrichtendienst (DNS) im Innenministerium (BMI) firmiert.

 

Harsche Kritik übt die Volksanwaltschaft am Informationsfluss zwischen den Sicherheitsbehörden im Vorfeld des Attentats. So sei von Europol am 27. Juli 2020 ein Bericht samt Aufnahmen einer Überwachungskamera über den in der Slowakei versuchten Munitionskauf des späteren Attentäters, der an mangelnden waffenrechtlichen Dokumenten scheiterte, beim BMI eingegangen aber erst knapp einen Monat später an das organisatorisch zuständige Landesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung (LVT) Wien weitergeleitet worden. Eine Meldung an die Justiz unterblieb völlig. Die BMI-Argumentation, die beigelegten Fotos des Kaufinteressenten wären für einen konkreten Gefahrenverdacht zu unscharf gewesen, ist für die Volksanwaltschaft nicht haltbar. Immerhin seien von österreichischer Seite der Europol Slowakei im Sommer 2020 zwecks Identifizierung des späteren Täters detaillierte Informationen über Identität und kriminelle Vorgeschichte von K.F. übermittelt worden. LVT Wien bzw. BVT hätten daher wohl mehr als nur eine "vage Vermutung", wie vom BMI vorgebracht, gehegt.

 

Sicherheitspolizeiliche Maßnahmen waren unzureichend

Trotz zusätzlicher Hinweise, dass K.F. Munition für seine Waffe erwerben wollte, wurden von den Sicherheitskräften im Spätsommer und Herbst 2020 keine sofortigen Schritte zur Eindämmung der Gefahr gesetzt. Stattdessen habe der Verfassungsschutz sicherheitspolizeiliche Vorkehrungen getroffen, nennt die Volksanwaltschaft die Aufnahme des beabsichtigten Munitionskaufs durch K.F. in das elektronische Risikobewertungssystem des BVT und den LVT-Beschluss einer "Gefährderansprache" von K.F. Als Missstand kritisiert wird im Prüfbericht das Ausbleiben einer kriminalpolizeilichen Meldung an die Staatsanwaltschaft auch zu jenem Zeitpunkt, als die Indizienlage sich schon verdichtet hatte. Vom BMI habe man die Säumigkeit mit dem noch bestehenden Anfangsverdacht in Bezug auf ein potentielles Attentat erklärt und auf die damalige Rechtslage hingewiesen, die nach Auffassung des Ministeriums keine Berichterstattung an die Justiz erforderlich machte. Dieser Rechtsansicht widerspricht die Volksanwaltschaft wiederum in ihrer Erläuterung des maßgeblichen §100 Abs. 2 Z1 Strafprozessordnung aus dem Jahr 2020 und folgert: da bereits im Spätsommer 2020 ausreichend Verdacht auf eine geplante Terrortat vorlag, habe dringender Bedarf einer Berichterstattung an die Justiz bestanden. 

 

Mit Verweis auf die Anfang November 2022 eingestellten strafrechtlichen Ermittlungen sowie auf dienstrechtliche Maßnahmen gegen involvierte Bedienstete der Sicherheitsbehörden hält die Volksanwaltschaft zwar fest, keine individuellen Schuldzuweisungen an einzelne Bedienstete vornehmen zu wollen. Allerdings stellt sie die Frage in den Raum, ob die unterlassene Berichterstattung seitens des Innenressorts an das BMJ im Vorfeld des Attentats nicht einer disziplinarrechtlich relevanten Pflichtverletzung gleichkomme. Im Bewusstsein über den wichtigen Dienst der heimischen Terrorabwehr am Gemeinwohl, der auch unter "lebensgefährlichen Rahmenbedingungen" erbracht werde, fordert die Volksanwaltschaft daher vom Innenminister, das disziplinarrechtliche Verfahren zur Aufklärung der Gründe für die unterlassene Berichterstattung an die StA auf alle involvierten Bedienstete – insbesondere auch des damaligen BVT – auszudehnen.

 

Vorgeschichte des Attentäters war bekannt

Der Terrorist K.F. war für die Sicherheitsbehörden kein Unbekannter. 2019 wegen Beteiligung an einer terroristischen Vereinigung verurteilt und im selben Jahr bedingt entlassen, sind ihm laut Volksanwaltschaftsbericht IS-Unterstützung und geplante Reisen in diesem Zusammenhang sowie die Teilnahme an einem Islamistentreffen kurz vor dem Anschlag nachgewiesen worden. Aus Sicht der Volksanwaltschaft hätten daher konkrete Maßnahmen wie die Observation des späteren Anschlagstäters erfolgen müssen. Überdies hätten BVT und LVT Wien schon im August 2020 gewusst, dass das Auto, das K.F. für die Fahrt zum Munitionskauf für die AK-47 nutzte, auf die Mutter eines islamistischen Bekannten von ihm zugelassen war.

 

DNS soll Fehler nicht wiederholen

Mit einer Kultur der "Abschottung" im BVT und LVT erklärt die Volksanwaltschaft die "beharrliche Weigerung, der StA über den versuchten Waffenkauf durch K.F. zu berichten". Empfohlen wird daher dem DNS sowie den für Staatsschutz zuständigen Organisationseinheiten der Landespolizeidirektionen, mittels Schulungen zu Fragen der StPO den Bediensteten ihre Berichts- und Kooperationspflichten besonders hinsichtlich der Justiz zu verdeutlichen. Aus Sicht der Volksanwaltschaft kommt hier auch der Gesetzgebung eine entscheidende Rolle zu, da das nunmehr geltende Recht für Staatsschutz und Nachrichtendienst weiterhin Unklarheiten bei der verpflichtenden Berichterstattung an die Staatsanwaltschaft enthalte, selbst bei Verdacht auf schwerwiegende Straftaten.

 

 

 

Herausgeber / Quelle: Parlamentskorrespondenz Österreich ¦ 

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