DMZ – WIRTSCHAFT ¦ Oliver Stock ¦
Der Kanzler will die Menschen in Deutschland angesichts steigender Energiepreise und einer anziehenden Inflation finanziell entlasten. Er setzt dazu auf Vorschläge, die in der SPD nicht erst seit Ukraine-Krieg und den Folgen der Sanktionen kursieren. Die Sozialdemokraten sehen die Chance gekommen, für alte Vorschläge endlich eine Mehrheit zu finden.
Während die Ampelregierung noch über die Inhalte eines möglichen dritten Entlastungspakets für die Bürger diskutiert, wird bereits deutlich, dass es der SPD dabei vor allem um soziale Wohltaten für Ärmere geht, die sie schon länger auf dem Zettel hat: Ein höheres Bürgergeld, wie Hartz IV demnächst genannt wird, eine Wohngeldreform – beides sind Punkte, die SPD-Kanzler Olaf Scholz jetzt im Rahmen des Entlastungspakets angekündigt hat, die aber bereits schon im Wahlkampf der SPD eine Rolle gespielt haben. Damlas war von Ukrainekrieg, Gasmangel, Verstaatlichung der Versorgungsunternehmen und einer galoppierenden Inflation noch nicht die Rede.
Scholz und sein Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) streben eine Erhöhung der Regelsätze des neuen sogenannten Bürgergelds, das Hartz IV vom nächsten Jahr an ablöst, um 40 bis 50 Euro an, was den Staat bei derzeit rund 3,6 Millionen Hartz IV-Empfängern vergleichsweise bescheidene knapp 200 Millionen Euro mehr kostet. Darüber hinaus, soll das Bürgergeld automatisch der Preisentwicklung angepasst werden. Das passiert derzeit auch schon bei Hartz IV, allerdings mit zeitlichem Verzug, so dass die Betroffenen nicht rechtzeitig davon profitieren. Die FDP ist von dem Vorhaben noch nicht überzeugt, der Bundesrat muss zustimmen. Es sieht also danach aus, als könnte sich der Kanzlervorschlag noch entwickeln.
Eine „große Wohngeldreform" hat Scholz ebenfalls angekündigt und damit ein altes SPD-Thema auf die Agenda gesetzt. Wohngeld erhalten Haushalte, die vom Einkommen her soviel Geld zur Verfügung haben, dass sie kein Bürgergeld brauchen, aber dennoch nicht in der Lages sind, die Kosten für ihr Dach über dem Kopf voll bezahlen zu können. 2020 waren das knapp 620000 Haushalte. Bund und Länder zahlten dafür 1,3 Milliarden Euro. Wegen stark steigender Mieten in den Großstädte war die Zahl der Wohngeldempfänger zuletzt deutlich um 22 Prozent angezogen. Scholz möchte, dass eine dynamische Heizkostenpauschale dieses Wohngeld aufbessert.
Ein dritter Punkt, der im nächsten Entlastungspaket eine Rolle spielen soll, ist eine Idee der Grünen. Verbraucherschutzministerin Steffi Lemke hat eine Art Moratorium für diejenigen Schuldner angekündigt, die ihre Strom- und Gasrechnung nicht mehr bezahlen können. Ihnen soll nicht sofort der Hahn abgedreht werden. Energiekunden und Mieter sollen davon profitieren. Scholz will das prüfen. Eventuell könnten betroffene Vermieter, die ihr Geld nicht bekommen, ein zinsloses Darlehen der KfW erhalten. Wie allerdings ein solcher Zustand beendet und eine Rückzahlung organsiert werden kann, steht bislang in den Sternen.
Ein weiterer Punkt im Entlastungspaket III ist die Zukunft des Neun-Euro-Tickets. Hier gibt es Streit. Finanzminister Christian Lindner hat darauf verwiesen, dass es als befristete Maßnahme gedacht sei und im Bundeshaushalt keine weiteren Mittel dafür daseien. SPD-Co-Chefin Saskia Esken forderte Verkehrsminister Volker Wissing (FDP) dennoch auf, zügig „einen geeigneten Vorschlag für die Weiterentwicklung des Neun-Euro-Tickets“ vorzulegen. Wissing verweist dafür auf die Länder, die zusammen mit den Kommunen zuständig sind für Nahverkehrsangebote. Das Neun-Euro-Ticket war allerdings eine Bundesinitiative, die die Länder dann umsetzten.
Per Tweet hat Lindner eine höhere Pendlerpauschale ins Spiel gebracht, und damit sowie mit einem Schutzschirm für energieintensive Unternehmen FDP-Akzente in die Diskussion ums Entlastungspaket eingebracht. Wieviel das kostet und für wer profitiert, ist noch völlig unbestimmt. Die Grünen lehnen die Pendlerpauschale als „unökologisch“ ab. Lindner könnte seine Idee aber im Rahmen eines Kuhhandels durchsetzen – etwa, wenn er einer Verlängerung des Neun-Euro-Tickets zustimmt.
Klar ist: Zu allen Vorschlägen des Kanzlers gibt es noch Diskussionsbedarf, fertig ist nichts. Dass Scholz bereits aus der Deckung gekommen ist, dürfte damit zusammenhängen, dass der Staat den strauchelnden Energiekonzern Uniper retten muss. Der Versorger wird jetzt trotz anderslautender Verträge mit seinen Kunden, die Gaspreise für die Verbraucher erhöhen. Das trifft viele, und Scholz muss deswegen auf der anderen Seite für Entlastung sorgen. Er hat außerdem eine Wahl in Niedersachsen im Oktober vor sich, bei der der populäre Ministerpräsident Stephan Weil für die SPD wieder antritt. Dass gewählt werden könnte, während die Entlastungspaket auslaufen, ist für die Regierungsparteien eine ungemütliche Vorstellung. Für ein zügiges drittes Entlastungspaket spricht auch ein Bundesetat, der noch dank sprudelnder Steuereinnahmen, hoher Kreditermächtigung und der Neigung, Sonderausgaben in Schattenhaushalten unterzubringen, gut gefüllt ist. Im nächsten Jahr will Finanzminister Christian Lindner die Schuldenbremse wieder einsetzen, dann sinken die Spielräume für Sonderausgaben.
So kommt es, dass Teile der ersten beiden Entlastungspakete noch nicht spürbar sind, aber schon die dritte Auflage diskutiert wird, womit sich die Regierung den Vorwurf der Opposition einhandelt, den zweiten Schritt vor dem ersten zu machen, oder eigentlich: den dritten vor dem ersten und zweiten. Die Energiepreispauschale etwa wird erst im Herbst ausgezahlt, Tankrabatt und Neun-Euro-Ticket laufen noch bis Ende August. Der höhere Arbeitnehmer-Pauschbetrag (1200 statt 1000 Euro), die Heraufsetzung des Grundfreibetrags (10374 statt 9744 Euro) und die bereits gestiegene Pendlerpauschale ab dem 21. Kilometer – alles Maßnahmen aus dem ersten Entlastungspaket – kommen erst mit der Steuerrückzahlung bei den Bürgerinnen und Bürgern frühestens nächstes Jahr an.
Herausgeber: WirtschaftsKurier
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