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Kritische Analyse des Artikels des Bayerischen Ärzteblattes: Fehlende Evidenz und unscharfe Begriffe im Umgang mit dem sogenannten Post-Vac-Syndrom

DMZ – WISSENSCHAFT ¦ A. Aeberhard 

 

Der im Bayerischen Ärzteblatt veröffentlichte Artikel über das sogenannte Post-Vac-Syndrom (PVS) wirft mehr Fragen auf, als er Antworten bietet. Während der Beitrag den Versuch unternimmt, einen Überblick über vermeintliche Impfkomplikationen nach COVID-19-Impfungen zu geben, bleibt die wissenschaftliche Basis dieser Ausführungen weit hinter den Anforderungen zurück, die an seriöse medizinische Berichterstattung gestellt werden. Dieser Artikel beleuchtet die wesentlichen Schwachpunkte des Beitrags, insbesondere in Bezug auf die fehlende Evidenz und die unscharfe Verwendung von Begrifflichkeiten.

 

Mangel an belastbaren Studien

Ein zentrales Problem des Artikels ist die Betonung auf das Post-Vac-Syndrom, ohne dass hierfür stichhaltige wissenschaftliche Studien herangezogen werden. Während zahlreiche Symptome und Therapieansätze genannt werden, fehlen groß angelegte, peer-reviewte Studien, die diese Theorien stützen.

Selbst die Autoren des Beitrags geben zu, dass zur Inzidenz des PVS keine belastbaren Daten vorliegen. Dies ist ein schwerwiegender Mangel, der in einem wissenschaftlich orientierten Artikel nicht ignoriert werden darf. Der Verweis auf eine "Kurzanalyse" des Paul-Ehrlich-Instituts (PEI) sowie auf Datenbanken der European Medicines Agency (EMA) stellt keine ausreichende Grundlage dar, um das Post-Vac-Syndrom als klinisch relevantes Phänomen zu etablieren.

 

Das PEI selbst hat deutlich gemacht, dass Spontanmeldesysteme, wie sie für die Analyse von Impfnebenwirkungen genutzt werden, methodische Einschränkungen haben und keine gesicherten epidemiologischen Daten liefern können. Hier fehlen präzise Studien, die Kausalzusammenhänge bestätigen könnten.

 

Vermischung von Long-COVID und Post-Vac-Syndrom

Ein weiterer Schwachpunkt des Artikels liegt in der unscharfen Unterscheidung zwischen Long-COVID und dem postulierten Post-Vac-Syndrom. Es wird suggeriert, dass beide Phänomene ähnliche Pathomechanismen aufweisen könnten, was auf den ersten Blick plausibel erscheinen mag. Doch hier handelt es sich um reine Hypothesen, die nicht durch klinische Studien belegt sind.

 

Die Pathogenese von Long-COVID ist Gegenstand intensiver Forschung, aber bisher gibt es keine überzeugenden Beweise dafür, dass das Post-Vac-Syndrom dieselben Mechanismen teilt. Die Verwendung unscharfer Begriffe und Hypothesen führt dazu, dass eine unklare Vermengung von Krankheitsbildern entsteht, was in der wissenschaftlichen Diskussion dringend vermieden werden sollte. In einem wissenschaftlich fundierten Artikel wäre es erforderlich, die Unterscheidung klarer zu fassen und die fehlende Evidenz für einen kausalen Zusammenhang zwischen Impfungen und den beschriebenen Symptomen deutlich hervorzuheben.

 

Fehlende wissenschaftliche Strenge bei der Interpretation von Daten

Die zitierte Zahl von 424.177 Fällen von Fatigue nach Impfungen, die in der EMA-Datenbank erfasst wurden, wird im Artikel ohne jede kritische Analyse dargestellt. Eine derartige Zahl erweckt den Eindruck, dass das Post-Vac-Syndrom weit verbreitet sei, doch dies lässt die grundlegenden methodischen Herausforderungen außer Acht. Spontanmeldesysteme wie die der EMA sind darauf angewiesen, dass Personen selbst Nebenwirkungen melden, was zu einer Überrepräsentation bestimmter Symptome führen kann.

 

Zudem werden in diesen Datenbanken häufig unspezifische Symptome erfasst, die nicht zwingend kausal mit der Impfung in Verbindung stehen. Statt diese methodischen Einschränkungen klar zu benennen, stützt sich der Artikel auf eine selektive Interpretation der verfügbaren Daten, die den Eindruck erwecken könnte, dass das Post-Vac-Syndrom eine größere Bedrohung darstellt, als es tatsächlich der Fall ist. Wissenschaftlich korrekte Berichterstattung würde erfordern, diese Limitierungen transparent darzulegen und keine voreiligen Schlussfolgerungen zu ziehen.

 

Therapien ohne ausreichende Evidenz

Ein besonders problematischer Aspekt des Artikels sind die genannten Therapieansätze, die angeblich gegen das Post-Vac-Syndrom eingesetzt werden. Hier werden unter anderem Statine, Triple-Antikoagulation und sogar Ivermectin als potenzielle Behandlungsmethoden genannt. Es fehlt jedoch der Verweis auf belastbare, placebokontrollierte Studien, die die Wirksamkeit dieser Therapien bestätigen würden.

 

Einige der genannten Substanzen, wie Ivermectin, wurden bereits in anderen Kontexten widerlegt oder zumindest stark infrage gestellt. Für eine seriöse, wissenschaftliche Berichterstattung wäre es unerlässlich, klar zu betonen, dass derzeit keine evidenzbasierten, standardisierten Behandlungsmethoden für das Post-Vac-Syndrom existieren. Es ist gefährlich, potenziell fragwürdige oder unwirksame Therapien zu propagieren, ohne auf die fehlende wissenschaftliche Grundlage hinzuweisen.

 

Fehlende wissenschaftliche Kritik

Ein weiterer zentraler Kritikpunkt ist der Mangel an wissenschaftlicher Kritik im Artikel. Der Beitrag zitiert zwar eine Vielzahl von Autoren und Studien, jedoch wird nicht ausreichend auf potenzielle methodische Schwächen oder alternative Interpretationen der Daten eingegangen. Wissenschaft lebt von der kritischen Diskussion und der Falsifizierbarkeit von Hypothesen. Der Artikel des Bayerischen Ärzteblattes jedoch geht kaum auf die kontroverse Debatte um das Post-Vac-Syndrom ein, sondern stellt es fast als gesicherte Tatsache dar.

 

Fazit

Insgesamt ist der Artikel des Bayerischen Ärzteblattes ein Beispiel für eine Berichterstattung, die mehr Fragen aufwirft, als sie beantwortet. Die fehlende wissenschaftliche Evidenz, die unscharfe Verwendung von Begriffen und die spekulativen Therapieansätze untergraben die Glaubwürdigkeit des Beitrags.

 

Eine seriöse, wissenschaftlich fundierte Berichterstattung erfordert mehr Zurückhaltung, präzisere Definitionen und vor allem den Verweis auf methodisch belastbare Studien. Wissenschaftliche Erkenntnisse sollten auf fundierter Forschung basieren, und gerade in sensiblen Bereichen wie Impfungen darf es keinen Raum für Spekulationen und unkritische Darstellungen geben.


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