Vom Untergang des Westens bis zu dem Chinas – eine polarisierte Debatte mehr

DMZ –  POLITIK ¦ Dirk Specht ¦                                 

KOMMENTAR 

 

Als ich vor drei Tagen über die fehlende Strukturpolitik in Europa berichtete, kam es zu zwei interessanten Diskussionen: Die einen antworteten auf meinen Hinweis zu den Erfolgen der chinesischen Fünfjahrespläne mit der dort gerade platzenden Immobilienblase, der Jugendarbeitslosigkeit sowie der generell falschen Daten aus dem Land, von geschönten E-Auto-Verkäufen bis zu gelogenen Umweltmaßnahmen.

 

China als Land der tönernen Lügen und Betrügereien, ein Kommentator hatte mich sogar gesperrt, weil es ihm nicht reichte, hier bei einer Meinungsverschiedenheit zu verbleiben. Die andere Seite ist oft nicht milder, hier gilt man als „Transatlantiker“, wenn man die „Achse Moskau-Peking“ nicht erkennen mag und den Untergang des Westens gegen die viel mächtigere BRICS-Allianz nicht kommen sieht. Auch hier wird schnell gesperrt, zumal dann, wenn man die prechtigen „Analysen“ als eher etwas oberflächlich ablehnt.

 

Zunächst stehen diese Hinweise in keinem Widerspruch zur Kritik an der mangelhaften Strukturpolitik in Europa. Chinas Pläne, bestimmte Schlüsselindustrien bis zu einer global führenden Rolle auszubauen, sind unstrittig gelungen und die USA reagieren nun mit dem Inflation Reduction Act sowohl strategisch/strukturiert als auch sehr umfassend. Das hat mit der Frage, ob diese beiden Systeme insgesamt erfolgreich sind oder gar deren politisch/gesellschaftlicher Bewertung nichts zu tun.

 

Es ist gewissermaßen „beeindruckend“, dass viele sich mit solchen Bewertungen offensichtlich sehr leicht tun. Ich finde es eher „unübersichtlich“ und lese Nachrichten, die zu einer differenzierteren und viel vorsichtigeren Bewertung führen. Vor allem sehe ich beide Lager kaum bestätigt. Es ist zweifellos richtig, dass China nun eine ganze Reihe an Schwierigkeiten bekommt. Die Immobilienblase und die schwächelnde Wirtschaft, vor allem aber die nationalistische Geopolitik sowie der Führerkult erzeugen erkennbare Schäden. Analysen arbeiten sehr klar heraus, dass die bisherigen Erfolge des Landes auf einem stetigen Fluss an Investitionen basierten und genau das kommt nun durch Xi ins Stocken.

 

Die derzeitige Inszenierung der BRICS-Staaten und davon abgeleitete Erwartungen einer komplett neuen Weltordnung sind daher nicht nachvollziehbar. Russland hängt unmittelbar an der Versorgung durch China, Putin ist zum Bittsteller geworden. Die Idee einer neuen, goldgedeckten Währung, wird von vielen mit großem Gerede begleitet, während diese Länder untereinander ihren Handel immer noch in Dollar abwickeln, weil man den Währungen der jeweils anderen keine Stabilität zutraut und die woanders in der Welt auch nicht funktioniert. Selbst zwischen Russland und China ist der Dollar dominant. Das gilt auch für den Privatsektor in all diesen Ländern, wer zu Geld kommt, legt seine Reserven in Dollar an – das tun diese Staaten, deren Unternehmen und die Vermögenden. Das Gerede vom Niedergang des Dollars erfolgt komplett ohne jeden realen Hintergrund.

 

Während der Untergang des Abendlandes also immer noch nicht erkennbar ist, sollte aber zugleich nicht verkannt werden, dass „im Westen“ niemand ein Interesse an einer größeren Krise Chinas hat. Die Rolle dieser inzwischen mindestens zweitgrößten Volkswirtschaft für die Weltwirtschaft, aber auch die operative Rolle als Lieferant für günstige Vorprodukte in den wichtigsten Lieferketten sind viel zu wichtig und übrigens rentierlich geworden. Weder wollen die westlichen Unternehmen diese Absatzmärkte verlieren, noch sind die vom Westen ja massiv betriebenen Produktionsverlagerungen plötzlich unwirtschaftlich.

 

Schaut man insbesondere auf die Politik der USA, so beobachte ich schon länger die Absicht einer Begrenzung der Entwicklung Chinas, aber nicht mehr. Die Amerikaner wollen die Dominanz Chinas in bestimmten Schlüsselindustrien durchbrechen und sie vor allem bei der eigenen Domäne in bestimmten Hochtechnologiesegmenten auf Distanz halten. Darüber hinaus will man aber nach meinem Eindruck weiter gute Geschäfte miteinander machen, was bedeutet, sowohl die chinesischen Absatzmärkte zu beliefern als auch die Produktionskosten der eigenen Industrie weiter im Griff zu halten.

 

Daher hatte ich schon vor Monaten spekuliert, Europa solle nicht den Irrtum begehen, sich für die eine oder andere Seite zu entscheiden, was leider genau diese polarisierte Debatte zum Ausdruck bringt, sondern insbesondere die Gefahr erkennen, bei diesem Wettbewerb selbst überflüssig zu werden. Das große Risiko ist aus meiner Sicht nicht die Frage, ob „der Westen“ gegen BRICS untergeht oder weiter dominiert, sondern die Marginalisierung Europas.

 

Eine neue Weltordnung, wie es so oft genannt wird, entwickelt sich erkennbar. Insbesondere die großen asiatischen Nationen, China, Indien, aber viele mehr, sind so dynamisch und überwiegend auch erfolgreich unterwegs, dass sich die früheren Gewichte in Weltwirtschaft und Geopolitik ändern müssen. Das Bild, dabei werde das, was wir bisher „Westen“ nennen, entweder siegen oder untergehen, ist bisher gar nicht erkennbar. Es dürfte eher zu vollkommen neuen Strukturen kommen, vielleicht gibt es „den Westen“ so bereits heute gar nicht mehr, vielleicht entstehen zwei große und ein paar kleinere Lager. In dieser neuen Weltkarte muss Europa dringend eine Position finden, denn viele übersehen immer noch, dass die EU über sehr lange Zeit der größte Wirtschaftsraum der Erde war. Eine Marginalisierung können wir uns gar nicht leisten!

 

Das sind aber nur einige Gedanken in einer schwer zu bewertenden Entwicklung, die durch den Ukraine-Krieg und den Politikwechsel von Xi sehr dynamisch geworden ist. Ich empfehle dazu eine ganze Reihe von aktuellen Beiträgen, die ich inhaltlich teilweise so nicht teile, aber alle für lesenswert halte, um zu einem eigenen Eindruck in der Sache zu kommen.

 

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