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F-35-Debakel: Wie ein Milliardenprojekt der Schweiz aus dem Ruder lief

DMZ – POLITIK ¦ Sarah Koller ¦                

 

Die Schweiz investiert über sechs Milliarden Franken in 36 US-Kampfjets vom Typ F-35A. Der Beschaffungsvertrag galt lange als politischer und wirtschaftlicher Erfolg. Doch nun mehren sich Hinweise, dass zentrale Vertragsbestandteile missverstanden oder falsch kommuniziert wurden. Die Folge: Nachforderungen in Milliardenhöhe, politische Rücktritte – und eine Vertrauenskrise.

 

Ein vermeintlicher Festpreis – mit weitreichenden Folgen 

Bundesrat und Armasuisse hatten stets betont, ein verbindlicher Festpreis sei Teil des Vertrags. Damit, so die damalige Argumentation, sei das Risiko für die Steuerzahler ausgeschlossen. Doch inzwischen zeigt sich: Der sogenannte „Festpreis“ bezog sich lediglich auf den Zeitpunkt der Bestellung – spätere Preisnachforderungen durch den Hersteller blieben vertraglich möglich.

 

Die USA fordern nun zusätzliche Zahlungen zwischen 650 Millionen und 1,3 Milliarden US-Dollar. Eine Warnung vor genau diesem Szenario hatte bereits 2022 die Eidgenössische Finanzkontrolle (EFK) ausgesprochen: Ein echter Festpreis sei rechtlich nicht durchsetzbar, da Preisanpassungsklauseln in den US-Verträgen üblich seien.

 

Politisches Versagen – und der Rückzug der Verantwortlichen 

Die damalige Verteidigungsministerin Viola Amherd verließ sich bei der Vertragsbewertung auf interne juristische Gutachten, die eine feste Preisbindung nahelegten. Kritische Stimmen – auch aus dem Parlament – wurden ignoriert. Im März 2025 trat Amherd überraschend zurück – kurz bevor die Details des Vertrags öffentlich infrage gestellt wurden. Auch führende Köpfe des Verteidigungsdepartements zogen sich zurück.

 

Der Zeitpunkt dieser Rücktritte lässt politischen Raum für Spekulationen: Wollte man sich rechtzeitig der Verantwortung entziehen?

 

Scharfe Kritik aus dem Parlament 

Die Reaktionen auf die Enthüllungen sind deutlich. FDP-Ständerat Josef Dittli spricht von einem „Staatsversagen“, das auf gravierende Mängel im Risikomanagement hinweise. SP-Nationalrat Fabian Molina geht noch weiter: Die Bevölkerung sei „systematisch in die Irre geführt worden“. Grundlage der Zustimmung zum F-35-Kauf sei eine irreführende Darstellung der Fakten gewesen.

 

Zusatzkosten weit über den ursprünglichen Planungen 

Neben den Nachforderungen für die Flugzeuge selbst steigen auch die Kosten für Infrastruktur und begleitende Rüstungsgüter massiv:

  • Rund 60 Millionen Franken für zusätzliche Bauten, Hangars und Simulatoren
  • Die Ausgaben für Patriot-Raketen steigen von 120 auf 180 Millionen Franken
  • Die Bewaffnung der Jets ist im ursprünglichen Vertrag nicht enthalten
  • Triebwerks-Upgrades nach 2027 muss die Schweiz selbst finanzieren

Zudem deuten internationale Erfahrungswerte darauf hin, dass die langfristigen Betriebskosten das Gesamtbudget auf bis zu 20 Milliarden Franken treiben könnten.

 

Sicherheits- und Umweltbedenken 

Die sicherheitspolitische Abhängigkeit von den USA wächst: Ersatzteile, Software, Wartung – alles liegt in amerikanischer Hand. Das birgt nicht nur strategische Risiken, sondern erschwert auch parlamentarische Kontrolle.

 

Auch ökologische Fragen bleiben unbeantwortet: Der F-35 verbraucht über 5’500 Liter Kerosin pro Flugstunde. In Zeiten der Klimakrise ist das schwer vermittelbar – zumal die Betriebskosten pro Flugstunde auf über 40'000 Franken geschätzt werden.

 

Ein strukturelles Problem staatlicher Beschaffung 

Das F-35-Projekt steht exemplarisch für strukturelle Mängel in der öffentlichen Beschaffung:

  • Problemfeld Auswirkung
  • Fehlende Vertragsklarheit Rechtsunsicherheit zulasten der Steuerzahler
  • Ignorierte Risikohinweise Missachtung der Warnungen der EFK
  • Vertrauensverlust Glaubwürdigkeit der Politik leidet nachhaltig
  • Kostenverschleierung Wesentliche Folgeausgaben wurden nicht beziffert

 

Handlungsbedarf: Was nun zu tun ist 

Um das Vertrauen in staatliche Prozesse wiederherzustellen, braucht es konkrete Maßnahmen:

  • Transparente Aufarbeitung: Ein unabhängiges Gremium sollte die Vorgänge lückenlos untersuchen und öffentlich Bericht erstatten.
  • Vertragsprüfung und Rückverhandlung: Die Schweiz sollte Nachverhandlungen mit der US-Seite führen – notfalls unter Einbindung internationaler Schiedsstellen.
  • Parlamentarische Untersuchung: Ein parlamentarischer Untersuchungsausschuss (PUK) muss politische Verantwortlichkeiten klären.
  • Langfristiges Kostenmonitoring: Eine öffentliche, fortlaufende Erfassung aller Ausgaben – inklusive Betriebskosten und Umweltauswirkungen – ist unerlässlich.

 

Schlussbetrachtung 

Der Fall F-35 zeigt, wie schnell Großprojekte politischer Symbolik über Sachverstand stellen. Wenn zentrale Vertragsbedingungen unklar bleiben, parlamentarische Kontrolle ausgesetzt wird und Warnungen ignoriert werden, verliert nicht nur ein Projekt, sondern die Demokratie selbst an Glaubwürdigkeit.

 

Die Schweiz braucht dringend eine neue Kultur der Transparenz, der vertraglichen Sorgfalt und der politischen Verantwortung. Nur so lassen sich ähnliche Fehlentwicklungen bei künftigen Vorhaben – ob im Bereich Rüstung, Digitalisierung oder Energie – verhindern.


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