
DMZ – POLITIK ¦ MM ¦ AA ¦
Bern – Der Bundesrat hat neue Massnahmen zur Steuerung der Zuwanderung in den Arbeitsmarkt beschlossen. Ziel sei es, das inländische Arbeitskräftepotenzial besser auszuschöpfen – insbesondere bei Personen, die im Rahmen des Familiennachzugs in die Schweiz kommen. Neben einer neuen Meldepflicht an die Berufsberatung soll auch die Bewilligungspraxis für EU-/EFTA-Bürger im Personalverleih verschärft werden. Die Massnahmen stehen im Kontext der Umsetzung der umstrittenen Volksinitiative «Keine 10-Millionen-Schweiz» – und werfen sozial- wie integrationspolitische Fragen auf.
Fördern oder kontrollieren? Meldepflicht für Zugewanderte im Familiennachzug
Rund die Hälfte der 2024 im Familiennachzug eingewanderten Personen waren erwachsen – für den Bundesrat offenbar ein ungenutztes Arbeitskräftepotenzial. Künftig sollen Einwohnerdienste und Migrationsämter nicht nur den Bildungshintergrund dieser Personen erfassen, sondern bei «Beratungsbedarf» auch eine verbindliche Meldung an die kantonale Berufs-, Studien- und Laufbahnberatung (BSLB) auslösen. Die BSLB wiederum sollen verpflichtet werden, die Betroffenen zu einem Gespräch über ihre beruflichen Integrationsmöglichkeiten einzuladen.
Auf den ersten Blick klingt die Massnahme integrativ. Kritiker*innen warnen jedoch vor einem Technokratisieren menschlicher Biografien, bei dem «Beratungsbedarf» zum stigmatisierenden Kriterium werden könnte – gerade für Zugewanderte mit nicht formalisierten Qualifikationen, Sprachbarrieren oder Care-Verantwortung. Unklar bleibt auch, wer über den Bedarf entscheidet – und ob Betroffene zur Mitwirkung verpflichtet wären.
Verhinderung unberechtigter Ansprüche – oder Ausgrenzung prekärer Beschäftigter?
Ebenfalls neu geregelt werden soll die Bewilligungspraxis für EU-/EFTA-Bürger*innen im Personalverleih. Der Bundesrat will sicherstellen, dass für unterjährige Anstellungen keine regulären Aufenthaltsbewilligungen (B-Ausweis) mehr erteilt werden, sondern nur noch Kurzaufenthaltsbewilligungen (L-Ausweis). Damit will man laut Bundesrat unberechtigte Aufenthaltsansprüche und Sozialleistungsbezüge unterbinden.
Hintergrund ist eine Umfrage bei den Kantonen, die teils großzügigere Erteilungen bei prekären Arbeitsverhältnissen im Personalverleih offenlegte. Der geplante Schritt ist rechtlich nachvollziehbar, trifft jedoch ausgerechnet jene Arbeitsmigrant*innen, die in Branchen mit strukturell unsicheren Verträgen tätig sind – etwa in der Gastronomie, Reinigung oder Logistik. Anstatt diese Arbeitsverhältnisse zu verbessern, droht ihre Legitimierung durch restriktivere Bewilligungen.
Reaktion auf eine problematische Volksinitiative
Die beschlossenen Massnahmen sind Teil der Umsetzung der Volksinitiative «Keine 10-Millionen-Schweiz», die im März 2025 eine knappe Mehrheit fand. Die Initiative zielt darauf ab, das Bevölkerungswachstum zu begrenzen – mit klaren Signalen gegen eine vermeintlich «unkontrollierte Zuwanderung». Kritiker*innen werfen dem Bundesrat vor, nun symbolpolitisch zu handeln, statt strukturelle Fragen zu adressieren: Etwa, warum so viele Branchen ohne Arbeitskräfte aus dem Ausland nicht mehr funktionieren, oder weshalb Integration nicht mit mehr, sondern mit weniger Vertrauen und Freiwilligkeit organisiert wird.
Integrationschance oder bürokratische Gängelung?
Was als Förderung der Integration verkauft wird, könnte sich in der Praxis als bürokratische Selektion entpuppen: Wer Hilfe braucht, wird gemeldet. Wer nur kurz arbeitet, verliert Rechte. Zwar mag die Zielrichtung – bessere Integration, weniger Missbrauch – nachvollziehbar sein. Doch der Preis scheint hoch: Die Massnahmen drohen, Menschen auf ihren Nutzen für den Arbeitsmarkt zu reduzieren. Eine nachhaltige Integrationspolitik braucht mehr als Verwaltung und Kontrolle – sie braucht Vertrauen, Teilhabe und Chancengleichheit.
Herausgeber
admin.ch
Fehler- und Korrekturhinweise
Wenn Sie einen Fehler entdecken, der Ihrer Meinung nach korrigiert werden sollte, teilen Sie ihn uns bitte mit, indem Sie an intern@mittellaendische.ch schreiben. Wir sind bestrebt, eventuelle Fehler zeitnah zu korrigieren, und Ihre Mitarbeit erleichtert uns diesen Prozess erheblich. Bitte geben Sie in Ihrer E-Mail die folgenden Informationen sachlich an:
- Ort des Fehlers: Geben Sie uns die genaue URL/Webadresse an, unter der Sie den Fehler gefunden haben.
- Beschreibung des Fehlers: Teilen Sie uns bitte präzise mit, welche Angaben oder Textpassagen Ihrer Meinung nach korrigiert werden sollten und auf welche Weise. Wir sind offen für Ihre sinnvollen Vorschläge.
- Belege: Idealerweise fügen Sie Ihrer Nachricht Belege für Ihre Aussagen hinzu, wie beispielsweise Webadressen. Das erleichtert es uns, Ihre Fehler- oder Korrekturhinweise zu überprüfen und die Korrektur möglichst schnell durchzuführen.
Wir prüfen eingegangene Fehler- und Korrekturhinweise so schnell wie möglich. Vielen Dank für Ihr konstruktives Feedback!
Unterstützen Sie uns jetzt!
Seit unserer Gründung steht die DMZ für freien Zugang zu Informationen für alle – das ist unser Alleinstellungsmerkmal. Wir möchten, dass jeder Mensch kostenlos faktenbasierte Nachrichten erhält, und zwar wertfrei und ohne störende Unterbrechungen.
Unser Ziel ist es, engagierten und qualitativ hochwertigen Journalismus anzubieten, der für alle frei zugänglich ist, ohne Paywall. Gerade in dieser Zeit der Desinformation und sozialen Medien ist es entscheidend, dass seriöse, faktenbasierte und wissenschaftliche Informationen und Analysen für jedermann verfügbar sind.
Unsere Leserinnen und Leser machen uns besonders. Nur dank Ihnen, unserer Leserschaft, existiert die DMZ. Sie sind unser größter Schatz.
Sie wissen, dass guter Journalismus nicht von selbst entsteht, und dafür sind wir sehr dankbar. Um auch in Zukunft unabhängigen Journalismus anbieten zu können, sind wir auf Ihre Unterstützung angewiesen.
Setzen Sie ein starkes Zeichen für die DMZ und die Zukunft unseres Journalismus. Schon mit einem Beitrag von 5 Euro können Sie einen Unterschied machen und dazu beitragen, dass wir weiterhin frei berichten können.
Jeder Beitrag zählt. Vielen Dank für Ihre Unterstützung!
Kommentar schreiben