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CH: Verdichtung verändert die Städte – und verdrängt die Schwächsten

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Neue ETH-Studie zeigt soziale Folgen des Bau-Booms in den fünf grössten Schweizer Agglomerationen

 

Bern – Die bauliche Verdichtung in den Schweizer Städten schreitet voran – und verändert nicht nur das Stadtbild, sondern auch die soziale Zusammensetzung der Bevölkerung. Eine neue Studie der ETH Zürich im Auftrag des Bundesamts für Wohnungswesen (BWO) analysiert erstmals umfassend die Auswirkungen der inneren Siedlungsentwicklung in den fünf grössten Agglomerationen – Basel, Bern, Genf, Lausanne und Zürich. Der Befund ist eindeutig: Während auf der einen Seite dringend benötigter Wohnraum geschaffen wird, geraten auf der anderen Seite besonders einkommensschwache und vulnerable Bevölkerungsgruppen zunehmend unter Druck.

 

Mehr Wohnungen trotz weniger Neubauten 

In den letzten zwei Jahrzehnten haben die Städte der Schweiz vermehrt auf Verdichtung gesetzt. Neue Wohnungen entstehen heute seltener auf der grünen Wiese, sondern durch Ersatzneubauten, Aufstockungen oder Umnutzungen ehemaliger Industrie- und Gewerbeflächen. Besonders auffällig ist diese Entwicklung in Basel: Zwischen 2020 und 2023 entstanden dort 15 Prozent aller Neubauten auf früheren Industriearealen – in diesen Gebäuden befinden sich gar 24 Prozent aller neuen Wohnungen.

 

Trotz eines Rückgangs der Neubautätigkeit stieg die Netto-Wohnungszahl in den meisten Agglomerationen an. Die Gründe: Alte Gebäude werden abgerissen und durch mehrgeschossige Neubauten ersetzt, wodurch pro abgebrochener Wohnung teils doppelt so viele neue entstehen – etwa in Basel, Lausanne und Genf. Zürich und Bern verdichten hingegen vergleichsweise weniger effizient.

 

Wer verliert beim Umbau der Städte? 

So sehr die Verdichtung wohnungspolitisch notwendig erscheint, so deutlich zeigen sich deren soziale Schattenseiten. In Zürich mussten zwischen 2015 und 2020 über ein Prozent der Wohnbevölkerung ihre Wohnung aufgrund eines Abrisses oder einer Totalsanierung verlassen – in Genf war dieser Anteil mit 0,08 Prozent deutlich geringer. Besonders oft betroffen: Menschen mit tiefem Einkommen, Asylsuchende, anerkannte Flüchtlinge und Personen afrikanischer Herkunft.

 

Der soziale Unterschied ist frappant: Während Haushalte, die ihre Wohnung infolge von Abbrüchen oder Sanierungen aufgeben mussten, ein um bis zu 40 Prozent tieferes mittleres Einkommen aufwiesen als der Durchschnitt, zogen in die Ersatzneubauten überdurchschnittlich einkommensstarke Haushalte. Die Studie spricht von einem Anstieg des mittleren Einkommens um bis zu 38,7 Prozent gegenüber der Gesamtbevölkerung.

 

Kaum Chancen auf Rückkehr 

Zwar gelingt es vielen Verdrängten, innerhalb der gleichen Gemeinde wieder eine Wohnung zu finden – doch fast die Hälfte muss ihre Nachbarschaft aufgeben. „Die Verdrängung betrifft nicht nur das Dach über dem Kopf, sondern auch soziale Netzwerke, Schulwege und Arbeitswege“, sagt Studienleiter David Kaufmann von der ETH Zürich. „Das verändert die Lebensrealität vieler Menschen dauerhaft.“

 

Herausforderung für die Wohnungspolitik 

Die Resultate der Studie werfen ein Schlaglicht auf eine zentrale Herausforderung der Schweizer Stadtentwicklung: Wie kann Verdichtung sozialverträglich gestaltet werden? Der Wohnungsbau in den Städten muss nicht nur ökologischen und ökonomischen Zielen folgen, sondern auch dem sozialen Zusammenhalt Rechnung tragen. Besonders in angespannten Wohnungsmärkten wie Zürich oder Genf stellt sich die Frage, wie einkommensschwache Haushalte vor Verdrängung geschützt werden können – etwa durch eine aktive Bodenpolitik, gemeinnützigen Wohnungsbau oder Auflagen bei Umnutzungen.

 

Die Studie «Bautätigkeit und Verdrängung» der ETH Zürich liefert hierzu fundierte Daten und Analysen. Sie zeigt, dass Verdichtung nicht automatisch zu Verdrängung führen muss – wohl aber, dass ohne sozialpolitische Flankierung die Schwächsten unter dem Wandel leiden.

 

 

 

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