
DMZ – GESELLSCHAFT ¦ Sarah Koller
KOMMENTAR
Dieter „Didi“ Hallervorden, einst enfant terrible des deutschen Fernsehens, versucht sich seit geraumer Zeit an einer neuen Rolle – der des tragischen Helden im Kampf gegen eine angeblich allgegenwärtige Cancel Culture. „Man darf ja nichts mehr sagen“, klagt er, während er es in der nächsten Talkshow genüsslich tut. Und auch in Interviews, Bühnenprogrammen und Medienauftritten spart Hallervorden nicht mit Worten – ganz gleich, ob sie aus der Zeit gefallen, politisch schief oder schlicht respektlos sind.
Der Maulkorb, den er beklagt, sitzt jedenfalls auffallend locker. Oder anders gesagt: Wer sich derart lautstark über seine angebliche Sprachlosigkeit beklagt, hat offenbar kein ernsthaftes Problem mit Schweigen.
Vom Austeilen und Einstecken – ein einseitiges Spiel
Aktuell zeigt sich die Ironie seines Freiheitsverständnisses in einem Vorgang, der für Kabarettisten eigentlich Stoff für eine Pointe liefern müsste: CDU-Chef Friedrich Merz, selbst nicht gerade für diplomatische Feinsinnigkeit bekannt, hat Hallervorden öffentlich erwähnt – in eher wenig schmeichelhaftem Ton. Prompt kündigte der Altmeister der Satire an, juristische Schritte zu prüfen – wegen Ehrverletzung.
Man muss die Szene zweimal lesen, um die Schieflage zu erfassen: Ausgerechnet Hallervorden, der seit Jahren mit Verve gegen Gendergerechtigkeit, Sprachsensibilität und „übertriebene Rücksichtnahme“ zu Felde zieht, beansprucht für sich nun den Schutz der persönlichen Ehre – gegen ein bisschen verbales Muskelspiel von Merz? Wer so gerne austeilt, sollte sich beim Einstecken nicht gleich auf die Richterbank flüchten.
Die alte Leier von der „verbotenen Meinung“
Es ist ein altbekanntes Refrainstück in der Partitur rechter und rechtskonservativer Rhetorik: Man dürfe dieses und jenes „nicht mehr sagen“. Dabei ist die Realität eine andere – und Hallervorden ihr sprechendes Beispiel. Seine Meinung ist weder unterdrückt noch überhört. Sie ist präsent, mitunter penetrant, manchmal peinlich. Was ihn stört, ist weniger ein Verbot als der Widerspruch.
Doch Meinungsfreiheit bedeutet nicht Freiheit von Reaktion. Kritik ist keine Zensur. Sie gehört zur öffentlichen Debatte wie der Zwischenruf zum Kabarett. Wer das Spiel mit der Provokation liebt, sollte den Applaus nicht nur bei Zustimmung erwarten.
Freiheit als Einbahnstraße?
Es ist kein Zufall, dass gerade jene, die sich auf die Meinungsfreiheit berufen, oft wenig Begeisterung zeigen, wenn andere von ihr Gebrauch machen. Hallervorden steht hier beispielhaft für eine Haltung, die Freiheit nur als eigenen Spielraum versteht – und nicht als gemeinsamen Raum, in dem auch andere mitreden, widersprechen, ja: widersprechen dürfen.
Wenn Merz also auf Hallervorden zielt – und sei es polemisch –, dann nimmt er lediglich das Recht in Anspruch, das dieser selbst mit Pathos verteidigt: das Recht, sich zu äußern. Dass Hallervorden nun ausgerechnet hierin eine Grenzüberschreitung sieht, wirkt wie ein Missverständnis der eigenen Rolle. Oder wie eine Karikatur dessen, was er einmal satirisch entlarven wollte.
Was bleibt, ist das Echo
Wer im Theater der Öffentlichkeit die Bühne betritt, muss mit Reaktionen rechnen – auch mit Buh-Rufen. Hallervorden scheint dieses Prinzip vergessen zu haben. Oder schlimmer: Er spielt absichtlich damit, um den Mythos vom sprachlich geknebelten alten weißen Mann weiterzuerzählen. Es ist ein Narrativ, das verlässlich Empörung generiert, besonders in den Echokammern jener, die gesellschaftlichen Wandel als Bedrohung empfinden.
Dabei ist Hallervorden kein Opfer – er ist Akteur, Wortführer, Grenzgänger. Dass er sich nun in die Pose des Verletzten begibt, erscheint vor allem als strategisches Spiel mit Empfindlichkeit. Ironie der Geschichte: Ausgerechnet der Kabarettist hat seine eigene Satire nicht verstanden.
Didi Hallervorden kämpft nicht für die Meinungsfreiheit – er ringt um die Deutungshoheit. Wer Widerspruch als Angriff und Kritik als Maulkorb empfindet, hat das Prinzip der offenen Gesellschaft nicht verinnerlicht. Freiheit endet nicht dort, wo das eigene Ego gekratzt wird. Sie beginnt genau dort: im Aushalten anderer Stimmen.
Und so steht am Ende nicht die Frage, ob man noch alles sagen darf – sondern ob man auch hören kann, was andere darauf erwidern.
Foto © Superbass / CC-BY-SA-4.0 (via Wikimedia Commons) - Link auf das Originalfoto: https://commons.wikimedia.org/wiki/File:2022-06-22-Dieter_Hallervorden_LEA_Live_Entertainment_Award_15_-0298_(cropped).jpg
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