
DMZ – POLITIK ¦ Anton Aeberhard ¦
Ein internationales Forschungsteam hat in der Antarktis Signale gemessen, die nicht mit etablierten physikalischen Modellen erklärbar sind. Könnten sie ein Hinweis auf bislang unbekannte Teilchen sein – oder steckt ein simpler Fehler dahinter?
Antarktis / Washington – In der Weite der antarktischen Eiswüste, unter einem scheinbar endlosen Himmel, registrierte das ballongetragene Observatorium ANITA (Antarctic Impulsive Transient Antenna) wiederholt Radiopulse, die das Verständnis von Teilchenphysik herausfordern. Die Signale erschienen nicht dort, wo sie physikalisch zu erwarten wären – sondern schienen aus der Tiefe des Eises zu kommen, aus einem Winkel, der darauf hindeutet, dass sie aus dem Erdinneren stammen müssten.
Zudem waren sie außergewöhnlich energiereich – deutlich stärker als bislang bekannte Signaturen hochenergetischer Neutrinos. „Wir haben bislang keine schlüssige Erklärung für diese Anomalien“, sagt die Physikerin Stephanie Wissel von der Penn State University. „Aber es ist sehr unwahrscheinlich, dass sie von Neutrinos stammen.“
Dabei war genau das das Ziel des NASA-Experiments: Hochenergetische Neutrinos aus dem Weltall zu messen, die mit dem antarktischen Eis wechselwirken und dabei charakteristische Radiowellen erzeugen.
Widerspruch zum Standardmodell
Das Problem: Um die beobachteten Signale zu erklären, müssten Neutrinos auf einer Strecke von über 5.000 Kilometern die Erde durchquert haben – bei Energien, bei denen selbst diese schwer fassbaren Teilchen laut dem Standardmodell der Teilchenphysik absorbiert werden sollten. Eine solche Durchdringung gilt daher als äußerst unwahrscheinlich.
Zahlreiche Erklärungsversuche – darunter atmosphärische Phänomene, Reflexionen oder technische Fehler – wurden in den vergangenen Jahren untersucht, konnten jedoch die Eigenschaften der Signale bislang nicht überzeugend erklären. Vergleichbare Detektoren wie das IceCube-Observatorium am Südpol oder das Pierre-Auger-Observatorium in Argentinien registrierten keine ähnlichen Ereignisse.
Theorie und Spekulation
Angesichts dieser hartnäckigen Diskrepanzen wurde spekuliert, ob es sich um Hinweise auf sogenannte „Beyond Standard Model“-Teilchen handeln könnte – etwa sterile Neutrinos, supersymmetrische Kandidaten oder exotische Wechselwirkungen, die bisher nur theoretisch existieren. Auch eine Verbindung zu dunkler Materie wurde diskutiert. Doch: Konkrete Belege fehlen bislang, und viele Physikerinnen und Physiker warnen davor, aus einzelnen Beobachtungen voreilige Schlüsse zu ziehen.
„Wir betreten hier wissenschaftliches Neuland“, so Wissel. „Ob wir ein Fenster in eine neue physikalische Realität aufstoßen – oder lediglich einem systematischen Effekt auf der Spur sind –, wird sich erst mit weiteren Messungen zeigen.“
Neue Hoffnung: PUEO
Ein Nachfolgeprojekt ist bereits in Vorbereitung: PUEO (Payload for Ultrahigh Energy Observations), ebenfalls von der NASA unterstützt, soll ab 2025/2026 mit empfindlicheren Sensoren in der Antarktis stationiert werden. Ziel ist es, ähnliche Signale mit höherer Auflösung zu erfassen und so deren Ursprung zweifelsfrei zu bestimmen.
Die Forschenden betonen, dass es zu früh sei, von einem Paradigmenwechsel zu sprechen. Doch die Signale, die ANITA aufgezeichnet hat, gehören zu den wenigen Phänomenen der Astrophysik, die das etablierte physikalische Weltbild in Frage stellen – und deshalb mit größter Sorgfalt weiter untersucht werden müssen.
Hintergrund: Das ANITA-Experiment
ANITA (Antarctic Impulsive Transient Antenna) ist ein ballongetragenes Radioobservatorium zur Detektion kosmischer Neutrinos. Der mit Antennen ausgestattete Heliumballon fliegt in rund 37 Kilometern Höhe über dem antarktischen Eisschild. Treffen Neutrinos auf das Eis und wechselwirken mit Atomkernen, entstehen Radiowellen, die ANITA aufzeichnen kann. Die erste Mission fand 2006 statt, die vierte 2016. Das Nachfolgeprojekt PUEO soll ab 2025 in Betrieb gehen.
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