
DMZ – FORSCHUNG ¦ Sarah Koller ¦
Eine neue Studie im Fachjournal „The Lancet Infectious Diseases“ analysiert die virologischen und immunologischen Eigenschaften mehrerer neuer SARS-CoV-2-Varianten – mit teils überraschenden Ergebnissen.
Die internationale Forschungsgruppe um Caiwan Guo und Yuanling Yu hat drei neue SARS-CoV-2-Varianten – BA.3.2, XFG und NB.1.8.1 – genauer untersucht. Diese Varianten weisen teils über 50 Mutationen gegenüber früheren Viruslinien auf. Die Forscherinnen und Forscher analysierten unter anderem, wie gut sich diese Varianten an menschliche Zellen binden und wie stark sie neutralisierende Antikörper umgehen können. Die Ergebnisse liefern wichtige Hinweise auf ihr pandemisches Potenzial.
BA.3.2: Immunflucht auf Rekordniveau, aber kaum infektiös
Die Variante BA.3.2, erstmals außerhalb Südafrikas am 2. April 2025 in den Niederlanden nachgewiesen, weist 44 Mutationen auf, die sie deutlich vom derzeit dominanten Subtyp LP.8.1.1 unterscheiden. Sie entzieht sich Antikörpern besonders effektiv: Im Vergleich zu BA.3 ist die Neutralisierbarkeit durch Blutplasmen infizierter oder geimpfter Menschen um das 11-Fache reduziert. Doch trotz dieser beachtlichen Immunflucht ist BA.3.2 nur sehr schlecht in der Lage, menschliche Zellen zu infizieren. Der Grund liegt offenbar in einer geschlossenen Konformation des Spike-Proteins, die eine Bindung an den ACE2-Rezeptor erschwert.
„Diese Variante zeigt ein extremes Maß an Antikörperresistenz – hat aber gleichzeitig eine so geringe Zellbindung, dass eine größere Verbreitung derzeit unwahrscheinlich ist“, sagt Hauptautorin Jingyi Liu.
NB.1.8.1: Ausgewogen und gefährlich
Anders ist die Lage bei der in China und Hongkong rasch verbreiteten Variante NB.1.8.1. Diese zeigt nicht nur eine vergleichsweise starke Immunflucht – wenn auch nicht so ausgeprägt wie BA.3.2 –, sondern auch eine hohe Bindungsstärke an den ACE2-Rezeptor. Sie gehört damit zu den wenigen Varianten, die sowohl hohe Infektiosität als auch nennenswerte Antikörperresistenz vereinen – eine Kombination, die eine potenziell neue Infektionswelle begünstigen könnte.
Auffällig ist auch, dass diese Variante Mutationen wie Ala435Ser und Lys478Ile enthält, die aus früheren Wellen bekannte Fluchtmechanismen gegen bestimmte Antikörperklassen ermöglichen.
XFG, LF.7.9 und weitere Varianten: Mäßige Infektiosität, wachsende Bedeutung
Weitere untersuchte Varianten wie XFG (erstmals in Kanada entdeckt) oder LF.7.9 (in Europa verbreitet) zeigen zwar ebenfalls nennenswerte Veränderungen am Spike-Protein – etwa die Mutation Asn487Asp in XFG – und besitzen teils eine beachtliche Resistenz gegenüber neutralisierenden Antikörpern. Dennoch ist ihre Bindung an menschliche Zellen im Vergleich zu NB.1.8.1 deutlich schwächer, was ihre Verbreitung bisher einschränkt.
Alarmzeichen für die Zukunft
Die Studie hebt hervor, dass die Kombination aus Immunflucht und erhöhter Zellbindung die entscheidende Voraussetzung für eine neue pandemische Welle sei. Während BA.3.2 zwar immunologisch auffällig ist, fehlt ihr die Fitness zur Verbreitung. NB.1.8.1 hingegen vereint beide Eigenschaften – und sollte laut Studienautoren aufmerksam beobachtet werden.
Bedeutung für Impfstoffstrategien
Besonders relevant sind die Erkenntnisse für die Impfstoffentwicklung: Varianten wie BA.3.2 entziehen sich insbesondere solchen Antikörpern, die nach Impfungen mit klassischen inaktivierten Vakzinen entstehen – wie sie in China weit verbreitet sind. In westlichen Ländern dominieren mRNA-Impfstoffe, deren „Immunprägung“ andere Antikörpermuster erzeugt. Dies könnte erklären, warum einzelne Varianten in bestimmten Regionen dominanter auftreten als in anderen.
Die Studie liefert ein differenziertes Bild: Nicht jede stark mutierte Variante ist automatisch gefährlich – entscheidend ist die Kombination aus Immunflucht und Infektiosität. Während BA.3.2 wohl kaum eine größere Rolle spielen wird, könnte NB.1.8.1 sich als neuer starker Kandidat für kommende Wellen herausstellen. Die Studienautoren fordern deshalb verstärkte Überwachung und frühzeitige virologische Charakterisierungen neuer Varianten.
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