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Straumanns Fokus am Wochenende - Akkusativ, Infinitiv, Definitiv

DMZ – POLITIK ¦ Dr. Reinhard Straumann ¦

KOMMENTAR

 

Gehören Sie auch zu jener aussterbenden Spezies, die im Gym oder an der Uni noch Latein büffelte? Bei mir trifft das zu, und schlimmer noch: Ich gehörte zu dieser eigenartigen Untergattung von Menschen, denen das sogar Spass machte. Ich weiss, das sollte man nicht sagen, denn es gilt als streberhaft und kommt gar nicht gut an. Aber was soll ich machen, es war halt so.

 

Im Zuge dessen erinnere ich mich an eine lateinische Satzkonstruktion mit dem Namen: «Akkusativ mit Infinitiv». Ist auf Deutsch möglich, aber eher selten («Ich sehe den Schornstein [Akkusativ] rauchen [Infinitiv]»). Im Lateinischen war dieses Konstrukt sehr gängig. Einmal gab es unter den römischen Amts- und Würdenträger sogar einen besonderen Kauz, der jede seiner Reden – egal, wovon sie handelte – mit einem «Akkusativ mit Infinitiv» abschloss. Er hiess «der alte Cato», und sein spezielles Problem war die Konkurrenz im benachbarten Mittelmeerraum, nämlich Karthago. Rom hatte Karthago in zwei Kriegen des 3. Jahrhunderts v.Chr. besiegt. Aber als Cato 152 v.Chr. als Gesandter nach Karthago reiste (heute Tunis), stellte er fest, wie selbstbewusst und stark die Karthager schon wieder geworden waren. Eine echte Konkurrenz! Gefahr! Am besten, sagte er sich, machen wir sie gleich kaputt. Fortan fügte er jeder seiner Reden den Satz an (Akkusativ mit Infintiv!): «Im Übrigen halte ich dafür, Karthago zu zerstören.»

 

Ein Irrer.

 

Heute sind wir wieder gleich weit. Die modernen Catos heissen Macron, Merz, Starmer, Tusk, von der Leyen, und ihr ganzes Denken kreist um den einen Punkt: «Im Übrigen halten wir dafür, Russland zu zerstören.» Und warum? Weil Russland unter Putin, mit den gigantischen Bodenschätzen im Rücken, nach 2000 nicht daran dachte, das globale Herrschaftsdiktat der USA zu akzeptieren, sondern wieder selbstbewusst wurde und auf Augenhöhe wahrgenommen werden wollte.

 

Ein Kapitalverbrechen! Das geht natürlich gar nicht, sagten sich die USA, Russland! Selbstbewusst! nachdem Obama in seiner unnachahmlichen Arroganz Putin vor der Welt niedergemacht und auf den Status einer «Regionalmacht» hinuntergestuft hatte. Vor allem, wenn Deutschland (Ostpolitik Willy Brandts, Erdöl und -gas-Verträge Putin – Merkel) mit Russland ein Einvernehmen findet. Eine Allianz von deutschem Know-how und russischen Bodenschätzen darf niemals sein, dann ist es vorbei mit der amerikanischen Weltherrschaft.

 

Ergo: Soweit darf es nie kommen. Am besten, wir belegen Putin mit dem Image des Unmenschen und Russland mit jenem des Reichs des Bösen, dann müssen wir Russland nur noch – mittels der Ukraine, die uns die Kohlen aus dem Feuer holt – soweit bringen, dass es die Ukraine angreift. Dann steht die NATO vor der Weltöffentlichkeit als die Saubermänner da. Mit dem NATO-Beitrittsversprechen (muss man später ja nicht so genau nehmen…) bringen wir Selenski dazu, ganze Generationen junger Männer für uns zu verheizen, und überdies generieren wir Rüstungsaufträge à gogo.

 

Das war und ist der Plan der amerikanischen Warlords, als deren gehorsame Stiefelknechte sich die europäischen Regierungschefs entpuppen. Das perfekte Geschäftsmodell: Wir führen Krieg, andere sind die Bösen, wieder andere sterben, und die Rüstungsindustrie läuft auf Hochtouren. Wer es nicht glaubt: Alles ist lückenlos belegbar und von namhaftesten westlichen Historikern untermauert. Gewiss, mit dem Angriff auf die Ukraine hat sich Putin völkerrechtlich ins Unrecht gesetzt. Aber das war ja Teil der Strategie, die mit Hilfe der manipulativ-transatlantischen Main-Stream-Presse durchgezogen wurde.

 

Nur ging der Plan nicht auf. Russland liess sich weder durch die Sanktionen noch durch US- und EU-Rüstungsmilliarden in die Knie zwingen; es wird den Krieg gewinnen, früher oder später. Weil die westliche Allianz (neuerdings vielleicht ohne die USA?) keinen Plan für die Nachkriegsordnung hat, sagen ihre Führer: lieber später.

 

Das ist fatal. Denn in ihrer bodenlosen Verantwortungslosigkeit fällt ihnen nichts anderes ein als die Eskalation. Das neueste waren die ukrainischen Angriffe auf die russische Luftwaffe vom vergangenen Wochenende, tausende von Kilometern hinter der Front (wobei «ukrainisch» in diesem Zusammenhang nur eine plumpe Tarnung ist, denn jedermann weiss, dass ohne Erlaubnis und ohne logistische Zugaben der NATO so etwas nie hätte erfolgen können).

 

Es wurde also eine ganze russische Flugflotte vom Erdboden rasiert, die von jedem Satelliten sichtbar war, weil das START-Abkommen (Strategic Arms Reduction Treaty von 1982) das so verlangt, damit eine internationale Kontrolle möglich ist. Die NATO (respektive die Ukraine) setzt sich über diesen Codex hinweg, schämt sich aber nicht, die Zerstörung der Flugzeuge als gelungenen «Coup» zu feiern, als «Husarenstück» von besonderer Raffinesse. Und das am Tag, als in Istanbul die Verhandlungen um einen Waffenstillstand wieder aufgenommen wurden. Es ist kaum zu fassen.

 

Der britische Premier Keith Starmer tritt derweil vor die Presse und tutet: We are ready for war. Ganz abgesehen davon, dass diese Aussage, gemessen am Zustand der Royal Air Force, die reine Lüge ist – wie kann ein Mensch von durchschnittlichem Menschenverstand so denken? Und mit ihm all die anderen, die Flintenweiber vom Schlage der Strack-Zimmermann (wer weiss schon, dass ihr Wahlkreis derjenige ist, in welchem die deutsche Waffenschmiede Rheinmetall ihre Milliarden versteuert?), die Kriegsgurgeln wie Merz, Macron, Pistorius, Röttgen, Kiesewetter?

 

Was reitet diese Irren, auf Teufel komm raus den Nuklearkrieg zu riskieren? Ist es ihre Sorge um die persönlichen Pfründen? Ist es Merz’ – des ehemaligen BlackRock-Chefs – Gier, seinem früheren Arbeitgeber (und sich selbst) möglichst viel Gewinn und Dividenden ins Haus zu schaufeln? Ist es der Umstand, dass man sich auf dem Way of no return so tief unter die Schuldentürme manövriert hat, dass man glaubt, nur noch der Kahlschlag könne die Rettung sein?

 

Ich weiss es nicht. Ich weiss nur, dass die offiziellen Begründungen («Schutz unserer westlich-demokratischen Grundordnung», Putins Imperialismus) nichts sind als Hohn und Spott vor den eigenen Wählern. Weil Putin sich rational verhält, glaubt man, rote Linien überschreiten zu können mal für mal. Aber wenn Donald Trump nicht bremst, dann ist das Blatt bald überreizt. Dann geht es nicht mehr um den Akkusativ mit Infinitiv, sondern um den Definitiv.

 

 

 

 

 

 

 

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Seit 2020 können Sie in der „DMZ“ Woche für Woche die Kommentare von Dr. Reinhard Straumann verfolgen. Seine Themen reichen von Corona über amerikanische Außen- und schweizerische Innenpolitik bis hin zur Welt der Medien. Dabei geht Straumann stets über das hinaus, was in den kommerziellen Mainstream-Medien berichtet wird. Er liefert Hintergrundinformationen und bietet neue Einblicke, häufig mit Verweisen auf Literatur und Philosophie.

 

Dr. Reinhard Straumann ist Historiker und verfügt über das nötige Fachwissen. Als Schulleiter an einem kantonalen Gymnasium hat er sich zudem jahrzehntelang für die politische Bildung junger Menschen engagiert. Wir freuen uns, dass Reinhard Straumann regelmäßig zum Wochenende einen festen Platz in der DMZ unter dem Titel „Straumanns Fokus am Wochenende“ hat.

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