
DMZ – POLITIK ¦ Anton Aeberhard ¦
Ein H5N1-Virus, das von einem Milchhofarbeiter in Michigan stammt, konnte im Tiermodell über die Luft übertragen werden – Experten fordern verstärkte Überwachung und Prävention.
Eine neue Studie der US-Gesundheitsbehörde CDC (Centers for Disease Control and Prevention) belegt erstmals, dass ein beim Menschen isoliertes hochpathogenes Vogelgrippevirus (HPAI H5N1) unter bestimmten Bedingungen über die Luft übertragen werden kann. Die Ergebnisse, veröffentlicht in der Fachzeitschrift Emerging Infectious Diseases, zeigen eine alarmierende Entwicklung: Das Virus, das von einem Milchhofarbeiter in Michigan stammt, konnte im Tiermodell – dem Frettchen – effizient durch Tröpfcheninfektion weitergegeben werden.
Übertragung durch Aerosole im Tiermodell bestätigt
Untersucht wurde der Stamm A/Michigan/90/2024 (MI90), der bei einem Arbeiter festgestellt wurde, der sich nach Kontakt mit infizierten Milchkühen eine Bindehautentzündung zuzog. In Versuchsanordnungen mit Frettchen – dem bevorzugten Tiermodell für Influenza-Forschung – wurde das Virus sowohl bei direktem Kontakt als auch über Lufttröpfchen übertragen. Alle Frettchen, die mit infizierten Artgenossen zusammenlebten, erkrankten. Noch alarmierender: Auch die Hälfte der Tiere, die sich nur in benachbarten Käfigen ohne direkten Kontakt befanden, infizierte sich durch die Luft.
Diese Ergebnisse gelten als deutlicher Hinweis auf die Fähigkeit des Virus zur aerogenen Verbreitung unter Säugetieren – eine Eigenschaft, die für das Risiko einer Pandemie von zentraler Bedeutung ist.
Mittelschwerer Krankheitsverlauf bei Frettchen
Zwar zeigte sich die Erkrankung in den infizierten Frettchen als nicht tödlich, doch wurde ein moderater Verlauf dokumentiert: Fieber, Mattigkeit, Niesen sowie Ausfluss aus Nase und Augen waren typisch. Die Tiere verloren durchschnittlich knapp zehn Prozent ihres Körpergewichts, konnten sich jedoch innerhalb von drei Wochen erholen.
Das Virus wurde primär in den Atemwegen nachgewiesen, allerdings kam es auch zu einer begrenzten Ausbreitung ins Gehirn und in den Verdauungstrakt – ein weiteres Warnsignal hinsichtlich seines Anpassungspotenzials.
Hohe Viruslast und Aerosol-Freisetzung
Besonders bemerkenswert ist die hohe Menge an ausgeschiedenem Virusmaterial: Während der ersten fünf Tage nach der Infektion wurden Nasenproben mit Werten zwischen 4,7 und 5,4 log₁₀ PFU/mL gemessen. Bereits ab dem zweiten Tag konnte infektiöses Virusmaterial in der Luft nachgewiesen werden – mit Spitzenwerten von bis zu 133 PFU pro Stunde. Dies unterstreicht die Relevanz luftgetragener Übertragungswege, insbesondere in geschlossenen Räumen oder bei engem Kontakt mit infizierten Tieren.
Genetische Veränderungen deuten auf Anpassung an Säugetiere hin
Die genetische Analyse des MI90-Stammes offenbart ein komplexes Bild: Zwar fehlt die häufig diskutierte Mutation E627K im PB2-Gen – ein Marker, der mit erhöhter Vermehrung in Säugetieren assoziiert ist –, dafür wurden andere Anpassungsmerkmale identifiziert, etwa M631L, ebenfalls im PB2-Gen. Trotz einer etwas geringeren Virulenz im Vergleich zu einem ähnlichen Fall aus Texas zeigte MI90 eine vergleichbare Übertragungsrate – was nahelegt, dass unterschiedliche genetische Konstellationen ebenfalls eine effektive Ausbreitung bei Säugetieren ermöglichen können.
Zunehmende Risiken durch tierische Zwischenwirte
Der Fall aus Michigan reiht sich ein in eine beunruhigende Serie von H5N1-Infektionen bei Menschen, die Kontakt zu infizierten Nutztieren hatten – ein bislang seltenes, aber zunehmend dokumentiertes Phänomen. Insbesondere das Auftreten von Infektionen bei Milchkühen markiert eine neue Phase in der Evolution des Virus. Jede Übertragung von Vögeln auf Säugetiere und weiter auf den Menschen erhöht die Wahrscheinlichkeit, dass das Virus mutiert und sich schließlich effizient von Mensch zu Mensch überträgt.
„Jede zoonotische Infektion ist ein Experiment der Natur – mit dem Risiko, dass ein pandemisches Virus daraus entsteht“, so die Studienautoren.
Forderung nach verstärkter Überwachung und Prävention
Die Studie macht deutlich: Nur durch intensive virologische Überwachung in Tier- und Menschenpopulationen lässt sich das Risiko frühzeitig erkennen und begrenzen. Besonders in Arbeitsumgebungen mit engem Tierkontakt – etwa in Milchviehbetrieben oder Geflügelfarmen – sind regelmäßige Tests und umfassende Hygienemaßnahmen notwendig. Auch die Entwicklung und Bereitstellung von Impfstoffen und antiviralen Medikamenten für den Ernstfall muss weiter vorangetrieben werden.
Angesichts der wachsenden Zahl von H5N1-Ausbrüchen bei Wildvögeln, Säugetieren und zunehmend auch bei Nutztieren bleibt das Risiko einer Influenza-Pandemie real. Die aktuellen Erkenntnisse aus Michigan dienen als dringende Mahnung: Die Natur experimentiert – und wir müssen vorbereitet sein.
Hintergrund:
Clade 2.3.4.4b des H5N1-Virus verursacht seit Jahren Infektionen bei Wildvögeln und Säugetieren. Seit 2022 mehren sich auch Berichte über Infektionen bei Menschen – insbesondere in landwirtschaftlichen Betrieben in Nordamerika.
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