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Eine neue Studie analysiert umfassend die Wirkung von Sanktionen auf Arbeitslose in der Schweiz – mit differenzierten, teils widersprüchlichen Ergebnissen.
Sanktionen gelten als zentrales Mittel, um die Pflichten arbeitsloser Personen in der Schweiz durchzusetzen. Wer Auflagen nicht einhält – etwa Bewerbungspflichten verletzt oder zumutbare Arbeitsangebote ablehnt –, kann mit sogenannten Einstelltagen belegt werden: eine temporäre Streichung von Taggeldern, die sich je nach Schwere des Vergehens auf bis zu 60 Tage belaufen kann. Doch wie wirksam ist dieses Instrument wirklich?
Eine aktuelle Studie, basierend auf umfassenden Daten der Jahre 2009 bis 2022, liefert nun detaillierte Erkenntnisse über die Nutzung und Wirkung unterschiedlicher Sanktionstypen im Rahmen der Arbeitslosenversicherung (ALV). Sie zeigt nicht nur, wer besonders häufig sanktioniert wird, sondern auch, wie sich Sanktionen auf die Wiedereingliederung und den Erwerbsverlauf auswirken.
Wer wird sanktioniert – und warum?
Die deskriptiven Ergebnisse sprechen eine deutliche Sprache: Rund ein Drittel aller Personen, die in der Schweiz arbeitslos gemeldet sind, wird im Verlauf ihrer Arbeitslosigkeit mindestens einmal sanktioniert – ein im internationalen Vergleich hoher Wert. Betroffen sind dabei überdurchschnittlich häufig junge Männer ohne tertiäre Ausbildung. Besonders viele Sanktionen werden für Pflichtverletzungen ausgesprochen, die bereits vor Beginn der Arbeitslosigkeit begangen wurden – etwa das eigenverschuldete Auflösen eines Arbeitsverhältnisses. Die Sanktionen betreffen in der Praxis überwiegend leichtere Vergehen, die mit maximal 15 Einstelltagen belegt werden.
Wirkung auf Wiedereingliederung: Licht und Schatten
Zentrale Frage der Untersuchung: Fördern Sanktionen die rasche Rückkehr in den Arbeitsmarkt? Die Antwort ist differenziert. Im Durchschnitt verkürzen Sanktionen die Dauer der Arbeitslosigkeit – im Schnitt um 6,5 Tage. Leichte Sanktionen – die häufigste Form – wirken dabei am stärksten: Hier reduziert sich die Arbeitslosigkeitsdauer im Mittel um rund 15 Tage. Schwere Sanktionen oder solche im Zusammenhang mit selbstverschuldeter Arbeitslosigkeit hingegen wirken kontraproduktiv: Sie verlängern die Dauer der Erwerbslosigkeit.
Gleichzeitig erhöhen Sanktionen über fast alle Typen hinweg die Übergangsraten in Nicht-Beschäftigung – etwa in inaktive Phasen oder die Sozialhilfe. Dies deutet darauf hin, dass Sanktionen nicht nur Anreize zur Arbeitssuche schaffen, sondern in manchen Fällen auch zur Aufgabe der Erwerbsintegration führen.
Langfristige Erwerbsverläufe unter Druck
Auch die langfristigen Folgen wurden untersucht: Hier zeigt sich, dass Sanktionen – insbesondere bei hoher Anzahl von Einstelltagen – die spätere Erwerbsstabilität und das Einkommen negativ beeinflussen können. Zwar schwächen sich diese Effekte mit der Zeit ab, sind aber auch noch drei Jahre nach dem Ende der Arbeitslosigkeit messbar. Sanktionen wegen Vergehen vor der Arbeitslosigkeit scheinen dabei weniger schädlich als solche, die während der Arbeitslosigkeit ausgesprochen wurden.
Suchverhalten: Mehr Bewerbungen – mehr Druck
Ein weiterer Fokus der Studie lag auf dem Bewerbungsverhalten sanktionierter Personen. Die Daten aus der Plattform Job-Room zeigen eine klare Reaktion: Nach einer Sanktion steigt die Anzahl eingereichter Bewerbungen deutlich. Auch die Vorgaben des RAV – das sogenannte Bewerbungssoll – werden nach einer Sanktion spürbar angehoben. Ob diese erhöhte Aktivität auch qualitativ zu besseren Ergebnissen führt, bleibt indes offen.
Feinjustierung gefragt
Die Studie liefert wertvolle Hinweise darauf, dass Sanktionen – differenziert eingesetzt – durchaus einen stimulierenden Effekt auf die Arbeitsmotivation haben können. Gleichzeitig zeigen die Ergebnisse aber auch, dass zu harte oder unangemessen platzierte Sanktionen längerfristig schaden und Integrationschancen mindern können. Vor allem bei vulnerablen Gruppen könnte der erzieherische Impuls leicht in ein strukturelles Hindernis umschlagen.
Die Ergebnisse legen nahe: Eine differenzierte und kontextabhängige Anwendung von Sanktionen ist essenziell – ebenso wie eine laufende Evaluation ihrer Wirkungen. Nur so kann sichergestellt werden, dass Sanktionen nicht nur disziplinieren, sondern auch nachhaltig zur Reintegration in den Arbeitsmarkt beitragen.
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