­
 · 

Long COVID: Bewegung könnte Mikrogerinnsel und Entzündung verstärken

DMZ –  POLITIK  ¦ Anton Aeberhard ¦      

 

Eine neue Studie liefert Hinweise, dass selbst leichte körperliche Belastung bei Long-COVID-Betroffenen biologische Prozesse anstoßen kann, die mit Gefäßschäden und systemischer Entzündung einhergehen.

 

Für viele Menschen mit Long COVID bedeutet körperliche Aktivität keine Besserung, sondern häufig eine Verschlechterung der Symptome. Eine neue präklinische Untersuchung eines britischen Forschungsteams liefert nun eine mögliche Erklärung dafür. Die noch nicht peer-reviewte Studie, veröffentlicht als Preprint unter einer CC-BY-4.0-Lizenz, weist darauf hin, dass körperliche Belastung bei Long-COVID-Betroffenen zur Fragmentierung sogenannter Mikrogerinnsel („Microclots“) führen kann – mit potenziell negativen Folgen für die Gefäßfunktion und das Immunsystem.

 

Belastung führt zur Fragmentierung von Mikrogerinnseln 

Untersucht wurden 46 Personen mit Long COVID, die laut Einschätzung der Forschenden keine starke Ausprägung der post-exertionellen Malaise (PEM) zeigten. Sie nahmen an zwei submaximalen Belastungstests auf dem Fahrradergometer im Abstand von 24 Stunden teil. Vor und nach den Tests wurden Blutproben entnommen und auf Entzündungsmarker sowie Struktur und Anzahl der Mikrogerinnsel hin analysiert.

 

Nach dem ersten Belastungstest zeigte sich ein signifikanter Rückgang größerer Mikrogerinnsel (100–3000 µm²), während kleinere Gerinnsel (<30 µm²) zunahmen. Dieser Effekt wiederholte sich nach dem zweiten Belastungstag. Die Autoren interpretieren dies als Fragmentierung – nicht als vollständige Auflösung – der Mikrogerinnsel.

 

Parallel dazu stiegen verschiedene Zytokine an, die sowohl proinflammatorische als auch antiinflammatorische Funktionen haben können, was auf eine komplexe Immunreaktion hindeutet. Zudem wurden Marker gemessen, die auf eine Schädigung des Endothels – der inneren Gefäßauskleidung – hinweisen.

 

Eingeschränkte Sauerstoffverwertung nach Belastung 

Neben den Veränderungen im Blutbild wurden auch physiologische Parameter erfasst. Der Sauerstoffumsatz (VO₂) an der ersten ventilatorischen Schwelle sank am zweiten Belastungstag signifikant (von 9,7 auf 8,9 ml•kg•min⁻¹), ebenso der Sauerstoffpuls (von 8,3 auf 7,5 ml/Schlag). Diese Werte deuten auf eine reduzierte Sauerstoffaufnahme oder -verwertung hin – möglicherweise verursacht durch die veränderte Mikrozirkulation infolge der Mikrogerinnsel.

 

Neue Erklärung für Belastungsintoleranz? 

Die Untersuchung liefert damit eine mögliche biologische Grundlage für die bei Long COVID häufig berichtete Verschlechterung der Symptome nach physischer oder mentaler Aktivität – ein zentrales Merkmal der Erkrankung. Die Forschenden vermuten, dass fragmentierte Mikrogerinnsel den Blutfluss in der Mikrozirkulation stören und dadurch lokale Sauerstoffmangelzustände auslösen. Gleichzeitig könnte die damit verbundene Immunaktivierung weitere Beschwerden verstärken.

 

Konsequenzen für die Rehabilitation 

Die Ergebnisse stehen im Einklang mit früheren Studien, die auf eine endotheliale Dysfunktion, anomale Gerinnung und systemische Entzündung bei Long COVID hinweisen. Im Unterschied zu gesunden Menschen scheint körperliche Belastung diese Prozesse bei Long-COVID-Betroffenen nicht zu verbessern, sondern zu verstärken.

 

Daraus leiten die Autoren einen klaren Appell ab: Rehabilitationsstrategien sollten individuell angepasst werden. Pauschale Empfehlungen zu sportlicher Aktivität könnten im Einzelfall mehr schaden als nutzen. Stattdessen sei es sinnvoll, therapeutische Ansätze zu verfolgen, die gezielt auf die Entfernung von Mikrogerinnseln und die Wiederherstellung der Gefäßfunktion abzielen.

 

Einordnung und Ausblick 

Long COVID betrifft nach Schätzungen der Weltgesundheitsorganisation weltweit zwischen 65 und 150 Millionen Menschen. Je nach Definition könnten es sogar mehr als 400 Millionen sein. Eine kausale Therapie existiert bisher nicht – der Schutz vor einer akuten SARS-CoV-2-Infektion bleibt derzeit die wirksamste Präventionsmaßnahme.

 

Die vorliegende Studie stellt einen weiteren Baustein im Verständnis der Pathophysiologie von Long COVID dar. Da es sich um einen Preprint handelt, sind die Ergebnisse mit Vorsicht zu interpretieren. Sie liefern jedoch wichtige Anhaltspunkte für künftige klinische Forschung – und unterstreichen die Notwendigkeit einer differenzierten und achtsamen Behandlung dieser komplexen Erkrankung.

 

Quelle:

Preprint: "Exercise-induced Changes in Microclotting and Cytokine Levels Point to Vascular Injury and Inflammation in People with Long COVID", veröffentlicht unter CC BY 4.0.


Fehler- und Korrekturhinweise

Wenn Sie einen Fehler entdecken, der Ihrer Meinung nach korrigiert werden sollte, teilen Sie ihn uns bitte mit, indem Sie an intern@mittellaendische.ch schreiben. Wir sind bestrebt, eventuelle Fehler zeitnah zu korrigieren, und Ihre Mitarbeit erleichtert uns diesen Prozess erheblich. Bitte geben Sie in Ihrer E-Mail die folgenden Informationen sachlich an:

  • Ort des Fehlers: Geben Sie uns die genaue URL/Webadresse an, unter der Sie den Fehler gefunden haben.
  • Beschreibung des Fehlers: Teilen Sie uns bitte präzise mit, welche Angaben oder Textpassagen Ihrer Meinung nach korrigiert werden sollten und auf welche Weise. Wir sind offen für Ihre sinnvollen Vorschläge.
  • Belege: Idealerweise fügen Sie Ihrer Nachricht Belege für Ihre Aussagen hinzu, wie beispielsweise Webadressen. Das erleichtert es uns, Ihre Fehler- oder Korrekturhinweise zu überprüfen und die Korrektur möglichst schnell durchzuführen.

Wir prüfen eingegangene Fehler- und Korrekturhinweise so schnell wie möglich. Vielen Dank für Ihr konstruktives Feedback!


 

Unterstützen Sie uns jetzt!

Seit unserer Gründung steht die DMZ für freien Zugang zu Informationen für alle – das ist unser Alleinstellungsmerkmal. Wir möchten, dass jeder Mensch kostenlos faktenbasierte Nachrichten erhält, und zwar wertfrei und ohne störende Unterbrechungen.

Unser Ziel ist es, engagierten und qualitativ hochwertigen Journalismus anzubieten, der für alle frei zugänglich ist, ohne Paywall. Gerade in dieser Zeit der Desinformation und sozialen Medien ist es entscheidend, dass seriöse, faktenbasierte und wissenschaftliche Informationen und Analysen für jedermann verfügbar sind.

Unsere Leserinnen und Leser machen uns besonders. Nur dank Ihnen, unserer Leserschaft, existiert die DMZ. Sie sind unser größter Schatz.

Sie wissen, dass guter Journalismus nicht von selbst entsteht, und dafür sind wir sehr dankbar. Um auch in Zukunft unabhängigen Journalismus anbieten zu können, sind wir auf Ihre Unterstützung angewiesen.

Setzen Sie ein starkes Zeichen für die DMZ und die Zukunft unseres Journalismus. Schon mit einem Beitrag von 5 Euro können Sie einen Unterschied machen und dazu beitragen, dass wir weiterhin frei berichten können.

Jeder Beitrag zählt. Vielen Dank für Ihre Unterstützung!


Kommentar schreiben

Kommentare: 0