
DMZ – FORSCHUNG ¦ Anton Aeberhard ¦
Eine neue Virusmutation breitet sich aus – Virologen mahnen zu mehr Aufmerksamkeit, ohne Panik zu schüren.
Brüssel/Wien – Auch wenn die Pandemie offiziell für viele als beendet gilt: Das Coronavirus ist noch immer da – und es bleibt nicht stehen. In mehreren europäischen Ländern beobachten Fachleute derzeit mit wachsender Sorge das rasche Auftreten einer neuen Variante namens LP.8.1. Sie gehört zum Omikron-Zweig JN.1 und hat sich seit ihrer ersten Erfassung Mitte 2024 bemerkenswert schnell verbreitet – von Großbritannien bis nach Nordamerika.
In London etwa schätzt die britische Gesundheitsbehörde UKHSA, dass LP.8.1 bereits etwa 60 Prozent der Neuinfektionen ausmacht. In den USA machte LP.8.1 laut CDC-Daten im Mai 2025 rund 40 Prozent der zirkulierenden Varianten aus. Die Viruslast in Abwasserproben ist zuletzt jedoch leicht rückläufig – ein Hinweis auf eine mögliche Abschwächung der Welle. Auch Deutschland meldet eine Zunahme entsprechender Fälle, wobei konkrete Zahlen bislang schwanken.
Mutation mit erhöhter Bindungsstärke
Was macht LP.8.1 so erfolgreich? Laut dem Virologen Prof. Giovanni Girardi vom Spallanzani-Institut in Rom liegt das an spezifischen Mutationen im Spike-Protein. Besonders die V445R-Mutation könnte eine verbesserte Andockfähigkeit an menschliche Zellen ermöglichen. Das macht es dem Virus leichter, in den Körper einzudringen – und gleichzeitig schwerer für die Immunabwehr, es zu erkennen. Girardi betont aber im Gespräch mit der Zeitung La Repubblica, dass noch keine belastbaren Daten zur tatsächlichen Pathogenität vorliegen.
Die WHO hat LP.8.1 inzwischen als „Variante unter Beobachtung“ eingestuft – was keine Panik bedeutet, aber doch eine gewisse Ernsthaftigkeit.
Klinische Verläufe meist mild – aber das genügt nicht zur Entwarnung
Auch wenn viele Infektionen mit LP.8.1 mild verlaufen, wie man es von Omikron-Varianten kennt, ist das keine Einladung zur Sorglosigkeit. Dr. Sylvia Helbig, Infektiologin an der Berliner Charité, spricht in einem Fachgespräch davon, dass „die Dynamik der Verbreitung ernster genommen werden muss als die Schwere einzelner Fälle“. Besonders für ältere Menschen oder Personen mit chronischen Erkrankungen könne selbst ein leichter Verlauf ernsthafte Folgen haben, wenn das Gesundheitssystem parallel durch andere Atemwegsinfekte belastet sei.
Impfstoffanpassung in Vorbereitung
Die Europäische Arzneimittel-Agentur (EMA) arbeitet laut offiziellen Mitteilungen bereits an der Anpassung der Impfstoffformeln. „Es wäre fahrlässig, die nächste Impfsaison unvorbereitet anzugehen“, so Marco Cavaleri, Leiter der Impfstoffstrategie der EMA, in einer aktuellen Pressekonferenz. Impfstoffe für die Saison 2025/26 sollen auf Varianten wie LP.8.1 abgestimmt sein – zunächst für Risikogruppen, später auch für die Allgemeinbevölkerung.
Cavaleri verweist auf Erfahrungen mit der jährlichen Grippeimpfung: „Diese zyklischen Aktualisierungen sind inzwischen ein eingespielter Bestandteil moderner Gesundheitsvorsorge.“
Globale Lage bleibt dynamisch
Auch außerhalb Europas wird LP.8.1 inzwischen in mehreren Ländern genauer beobachtet. In Thailand, Singapur und Teilen Chinas verzeichnen Kliniken steigende Fallzahlen, wobei dort teils andere Subvarianten der JN.1-Linie im Umlauf sind – nicht ausschließlich LP.8.1. Der italienische Infektiologe Dr. Matteo Bassetti geht davon aus, dass die Ausbreitung mit der nachlassenden Immunität in der Bevölkerung zusammenhängt – besonders bei Personen, deren letzte Impfung oder Infektion länger zurückliegt.
Kein Alarmismus – aber Verantwortung
Was folgt daraus für die Gesellschaft? Sicher nicht, dass wir in alte Lockdown-Muster zurückfallen müssen. Aber auch nicht, dass wir uns blind auf den Status quo verlassen können. Die Realität ist: Die aktuellen Varianten, darunter LP.8.1, sind Ergebnis einer kontinuierlichen Antigendrift, nicht eines plötzlichen Sprungs (Antigenshift). Das bedeutet: Die bisherige Immunität bietet weiterhin Schutz – insbesondere vor schweren Verläufen. Und wie bei jeder biologischen Entwicklung gilt: Je weniger wir hinschauen, desto eher überrascht es uns.
Die Herausforderung besteht jetzt darin, verantwortlich zu kommunizieren, ohne zu dramatisieren. Nicht alles muss neu sein – aber manches eben schon. Dazu gehört, Impfstoffe rechtzeitig anzupassen, Teststrategien wieder aufzunehmen, wo nötig, und vulnerable Gruppen besser zu schützen.
Denn, wie Prof. Girardi es formulierte: „Wir haben gelernt, mit dem Virus zu leben – aber wir sollten nicht vergessen, dass es ebenfalls lernt."
Quellen
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European Centre for Disease Prevention and Control (ECDC)
COVID-19 Variant Surveillance Update – LP.8.1 Spread in Europe
https://www.ecdc.europa.eu/en/covid-19/variants -
Centers for Disease Control and Prevention (CDC), USA
COVID Data Tracker: Variant Proportions – LP.8.1 in the United States
https://covid.cdc.gov/covid-data-tracker/#variant-proportions -
Weltgesundheitsorganisation (WHO)
Tracking SARS-CoV-2 variants – Variant Under Monitoring: LP.8.1
https://www.who.int/en/activities/tracking-SARS-CoV-2-variants/ -
Europäische Arzneimittel-Agentur (EMA)
Vaccines for COVID-19: Variant Update for the 2025/26 Season
https://www.ema.europa.eu/en/news/covid-19-vaccines-update-variant-composition -
La Repubblica (Italienische Tageszeitung)
Intervista a Giovanni Girardi – LP.8.1, la nuova variante sotto osservazione
https://www.repubblica.it/salute/2025/05/17/news/nuova_variante_lp81_intervista_girardi
(Hinweis: Artikel ggf. hinter einer Paywall oder nur auf Italienisch verfügbar) -
Charité – Universitätsmedizin Berlin
COVID-19: Stellungnahme von Dr. Sylvia Helbig zur aktuellen Variantenlage
https://www.charite.de/forschung/coronavirus/fachinformationen/ -
Ministry of Health, Singapore
COVID-19 Situation Report – Variant Monitoring Update
https://www.moh.gov.sg/covid-19/statistics
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