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Warum die Debatte um Geld allein dem Wesen von Kultur nicht gerecht wird
Neuenburg — Die Kulturwirtschaft der Schweiz ist dynamisch, wächst in der Zahl ihrer Betriebe und bringt jährlich Milliardenwerte hervor. Und doch stehen Kulturschaffende vielfach unter finanziellem Druck – bei gleichzeitig hoher Qualifikation und zunehmender Mehrfachbelastung. Das zeigt die aktuelle Langzeitanalyse des Bundesamtes für Statistik (BFS), die auch eine unbequeme Frage aufwirft: Geht es in der Kulturpolitik und -öffentlichkeit zu oft nur ums Geld?
Fast 300 000 Menschen waren 2024 in der Schweizer Kulturwirtschaft tätig – so viele wie seit der Pandemie nicht mehr. Der Sektor ist geprägt von Teilzeitarbeit, Selbstständigkeit und prekären Verhältnissen. Über die Hälfte der Kulturschaffenden arbeitet Teilzeit, jede*r siebte hat mehrere Jobs. Gleichzeitig haben fast 60 Prozent einen tertiären Bildungsabschluss – ein Wert, der deutlich über dem Durchschnitt liegt.
Und doch liegt der mittlere Jahreslohn von Kulturschaffenden mit 70 000 Franken unter dem Gesamtdurchschnitt (74 100 Franken). Besonders betroffen: Frauen, die seltener Führungspositionen innehaben, häufiger mehrfach beschäftigt sind und deutlich häufiger Teilzeit arbeiten.
Zwischen Leidenschaft und Lebensrealität
Diese Zahlen stützen Forderungen nach besseren sozialen Absicherungen, gerechteren Honoraren und nachhaltigen Förderstrukturen – Forderungen, die in den letzten Jahren zu Recht lauter geworden sind. Gleichzeitig lohnt sich ein zweiter Blick auf die Rhetorik, die diese Diskussion oft prägt.
In öffentlichen Debatten, Petitionen und Kulturkampagnen ist immer wieder die Rede von «unbezahlbarer Arbeit», vom «Kulturschaffen als Beruf wie jeder andere», von «fair pay» und «kultureller Grundversorgung». Das ist verständlich – aber nicht unproblematisch. Denn es verkürzt den Kulturbegriff auf eine ökonomische Ebene und droht, das Wesen künstlerischen Schaffens auf den Marktwert zu reduzieren.
Leistung ist nicht immer quantifizierbar
Gerade in der Kultur lässt sich Leistung nicht immer in Zeitaufwand, Outputs oder Bruttowertschöpfung messen. Ein Gedicht braucht manchmal Jahre. Eine künstlerische Idee lässt sich nicht in produktiven Stunden beziffern. Und der gesellschaftliche Wert eines Konzerts, einer Ausstellung oder einer Theaterinszenierung lässt sich kaum in Franken ausdrücken.
Wer Kulturschaffen nur unter dem Aspekt der Bezahlung diskutiert, läuft Gefahr, die innere Logik des Feldes zu übersehen – und die Glaubwürdigkeit von Forderungen zu untergraben. Es entsteht das Bild einer Branche, die nicht für ihre Inhalte, sondern in erster Linie für ihre Bezahlung kämpft. Das wird der Sache nicht gerecht – und den Menschen dahinter schon gar nicht.
Wertschätzung braucht mehr als Geld
Das heisst nicht, dass Geld keine Rolle spielt – im Gegenteil: Faire Bezahlung ist Voraussetzung dafür, dass Kunst nicht zum Privileg der finanziell Abgesicherten verkommt. Aber sie ist nicht das einzige Kriterium. Es braucht ebenso eine Debatte über Räume, Sichtbarkeit, Zeit für Recherche, über den Respekt für künstlerische Prozesse – und über eine Kulturpolitik, die nicht nur als Sozialmassnahme, sondern als strategische Zukunftsinvestition verstanden wird.
Die neue Statistik zeigt: Kulturarbeit ist vielfältig, belastend, qualifiziert – und unverzichtbar. Sie verdient mehr Aufmerksamkeit, mehr strukturelle Sicherheit und ja, auch mehr Geld. Doch vor allem verdient sie eines: eine Sprache, die ihrer Komplexität gerecht wird.
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