
DMZ – POLITIK ¦ Anton Aeberhard ¦
KOMMENTAR
Basel/Madrid – Der diesjährige Eurovision Song Contest (ESC) war nicht nur musikalisch ein Ereignis, das Millionen Menschen europaweit bewegte. Die politische Debatte im Nachgang überschattet jedoch zunehmend den künstlerischen Wettbewerb. Spaniens Ministerpräsident Pedro Sánchez äußerte scharfe Kritik am Ergebnis der Publikumsabstimmung und forderte offen den Ausschluss Israels von zukünftigen ESC-Ausgaben – ein Vorstoß, der europaweit für Irritation sorgt.
Die israelische Sängerin Yuval Raphael, die mit dem Titel „New Day will Rise“ antrat, erreichte in der kombinierten Wertung den zweiten Platz. Während die Fachjurys sie nur mit 60 Punkten bedachten, erhielt sie von den Zuschauerinnen und Zuschauern satte 297 Punkte – das beste Publikumsergebnis des Abends. Den Gesamtsieg sicherte sich der österreichische Countertenor JJ (Johannes Pietsch) mit seiner emotionalen Fusion aus Opernarie und Elektropop, die sowohl bei Jurys als auch beim Publikum auf breite Zustimmung stieß.
Pedro Sánchez kritisierte jedoch nicht die musikalische Leistung, sondern das politische Umfeld, in dem das Votum stattfand. Er bezeichnete die massive Unterstützung für die israelische Teilnehmerin als „problematisch“ angesichts des aktuellen Kriegsgeschehens im Gazastreifen. Israel habe nach Ansicht des spanischen Regierungschefs – ähnlich wie Russland – keinen Platz in einem Wettbewerb, der für „Frieden, kulturelle Vielfalt und Völkerverständigung“ stehe. Eine direkte Parallele zwischen dem russischen Angriffskrieg in der Ukraine und dem militärischen Vorgehen Israels wurde gezogen – eine Gleichsetzung, die nicht nur in Israel auf deutlichen Widerspruch stößt.
Eine Forderung mit politischer Sprengkraft
Die Forderung nach Israels Ausschluss ist nicht nur diplomatisch brisant, sie berührt auch einen wunden Punkt im Spannungsverhältnis zwischen Kunst, Politik und öffentlicher Meinung. Der spanische Rundfunksender RTVE kündigte an, gemeinsam mit anderen Ländern eine Überprüfung des Publikums-Votings beim Veranstalter EBU (European Broadcasting Union) zu beantragen. Man vermute, der aktuelle Nahostkonflikt habe die Abstimmung verzerrt.
Welche Kriterien hier jedoch eine objektive Bewertung des kulturellen Charakters gefährden sollen, ließ der Sender offen. Beobachter warnen vor einem gefährlichen Präzedenzfall, bei dem politische Haltungen und militärische Konflikte über die Teilnahme einzelner Länder an einem Musikfestival entscheiden könnten.
Zwischen legitimer Kritik und antisemitischer Rhetorik
Dass Kritik am israelischen Militäreinsatz zulässig und notwendig sein kann, ist unbestritten – gerade in Europa mit seiner pluralistischen Öffentlichkeit. Doch die Art und Weise, wie diese Kritik geäußert wird, ist entscheidend. Die Verknüpfung eines Musikbeitrags mit außenpolitischen Fragen, die gezielte Abwertung einzelner Künstler*innen sowie die Übernahme israelfeindlicher Narrative können schnell eine Grenze überschreiten.
Yuval Raphael selbst wurde beim Terrorangriff der Hamas auf das Supernova-Festival am 7. Oktober 2023 schwer traumatisiert. Sie überlebte nur, weil sie sich unter den Leichen anderer Festivalbesucher versteckte. Der ESC war für sie ein Zeichen der Hoffnung – und eine Bühne, um für Frieden und Versöhnung zu singen.
Statt Solidarität schlug ihr jedoch teilweise offene Ablehnung entgegen. Während einer Probe wurde sie ausgebuht, ein Anschlag mit Farbbeuteln konnte gerade noch verhindert werden. Sogar Gesten wie ein symbolisches „Kopf abschneiden“, gezeigt von einem Demonstranten, wurden dokumentiert – ein alarmierender Tiefpunkt, der über sachliche Kritik weit hinausgeht.
Europas Verantwortung
Die Debatte zeigt, wie sehr der ESC inzwischen zum Spiegel gesellschaftlicher Spannungen geworden ist. Der Wettbewerb, der einst bewusst unpolitisch konzipiert war, steht nun in einem politischen Spannungsfeld, das von Kriegen, Flucht und Polarisierung geprägt ist. In einer Zeit, in der Antisemitismus wieder offen zu Tage tritt, ist ein besonders sensibler Umgang gefragt.
Der Fall Yuval Raphael wirft zentrale Fragen auf: Wie politisch darf oder muss ein Kulturwettbewerb sein? Wie gehen wir mit legitimer Kritik um, ohne in pauschale Vorverurteilungen zu verfallen? Und welche Verantwortung tragen Medien, Regierungen und Veranstalter, wenn es um faire Teilhabe geht?
Dass Yuval Raphael trotz der Anfeindungen ein starkes Zeichen setzte, verdient Anerkennung – nicht Mitleid. Ihre Teilnahme und ihr Erfolg zeugen von der Kraft der Musik, Brücken zu bauen, selbst in schwierigen Zeiten. Der Eurovision Song Contest muss sich seiner Rolle als Plattform für Vielfalt, Inklusion und Menschlichkeit bewusst bleiben – ohne politische Vereinnahmung, aber mit klarem Kompass gegen Ausgrenzung und Hass.
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