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Die Interessen der politisch/ökonomisch vernetzten Gas- und Energiewirtschaft zeigen eine unheilvolle Resilienz

Kathetrina Reiche, Wirtschaftsministerin
Kathetrina Reiche, Wirtschaftsministerin

DMZ –  POLITIK ¦ Dirk Specht ¦     Kathetrina Reiche, Wirtschaftsministerin

KOMMENTAR

 

Zum „ersten Interview“ der neuen Wirtschaftsministerin erlaube ich mir einen kurzen Klartext, da viele sich mit dem „Inhalt“ aufhalten, weil sie korrekterweise auf dieser Ebene verbleiben müssen.

 

Einer der größten politischen Skandale mit dem teuersten ökonomischen Fehler war – und ist! – die Gaspolitik in Verbindung mit der Hinterlegung russischer Netzwerke. Das umfasst bis heute von Korruption über Misswirtschaft bis zu ökonomischen Kartellstrukturen viele Akteure, in die diese Netzwerke tief verankert wurden. Die Sache hat gesamtwirtschaftlich aber, das ist explizit anzuerkennen, eine Weile funktioniert, weil Deutschland im globalen Wettbewerb Erdgas zu guten Konditionen aus Russland als strategischen Energierohstoff beziehen konnte. Wie die Dividende dieser Lieferungen von der Großindustrie bis zu Versorgern verteilt wurde, wer hier also profitierte und wer dann doch nur noch im Benchmark akzeptable Preise zahlte, wird vermutlich nie geklärt. Dass die Sache mit dem Ukraine-Krieg unfassbar teuer wurde und diese Dividenden längst verbrannt sind, wird neben der Frage, wer wiederum diesen Schaden bezahlt hat, auch niemals aufgearbeitet werden.

 

Eines der größten und dümmsten Teilverbrechen in diesem ganzen Skandal war und ist die Tatsache, dass man den Deutschen auch noch für einfache Wärmeerzeugung (aka „Heizung“) für Millionen von Haushalten, Gewerbe- sowie kleineren Industriebetrieben Erdgas als Energieträger verkauft hat. Das ist nämlich eine bis heute viele Milliarden Euro und viel CO2 verursachende Nutzungsform, die man schon seit Jahrzehnten sehr leicht viel effizienter und ökonomischer elektrifizieren kann. Hier geht besonders überflüssig Wohlstand drauf, hier geht Volksvermögen drauf, hier sind Importabhängigkeiten besonders nutzlos eingegangen worden.

 

Die dahinter stehende Interessenlage ist bis heute tief und weit verzweigt, welche Rolle russische Netzwerke dabei immer noch spielen, unklar. Vermutlich ist die gar nicht mehr so relevant, denn längst sind über LNG-Kanäle andere Lieferstrukturen in dieses System eingestiegen. Wer auch immer das heute von außen beliefert und welche Rolle die spielen, die nationalen Strukturen sind trotz dieser Notlage und aller Kosten weitgehend intakt geblieben. Teil dessen sind Großversorger, tausende Stadtwerke sowie Netzbetreiber. Das ist ein gewaltiges Kartell mit staatlicher Beteiligung auf allen Ebenen, auch beim Bund, vor allem aber bei Ländern und Kommunen. Heute sind das Unternehmen mit regionalen Monopolen bei der Infrastruktur, deren Geschäftsmodell darin besteht, Energie mit guten Margen an Kunden zu verkaufen. Das ist beim Strom eher wettbewerbsintensiv geworden, letztlich Dank der EU übrigens, beim Erdgas funktioniert das immer noch ganz prima. Diese Unternehmen haben eine ordnungspolitisch hoch bedenkliche Interessengemeinschaft mit Landes- und Kommunalhaushalten, sie sorgen für sichere Dividenden – die wir alle als Verbraucher zahlen.

 

Ganz wichtig sind dabei das Gasnetz und auch die Infrastruktur des Stromnetzes. Ersteres muss unbedingt erhalten bleiben, es ist Geschäftsgrundlage, zweiteres sollte gar nicht zu sehr wachsen, denn das würde Investitionen fordern, die nur noch mehr Wettbewerb bringen und deren Erträge möglicherweise andere erhalten – Wettbewerber bei der Produktion oder die Verbraucher. Zudem steht diese Infrastruktur mit vielen 100 Milliarden als Wert in den Büchern und wenn man deren Nutzlosigkeit (Gas) oder Investmentbedarf (Strom) ehrlich bezifferte, wären die Bücher bei Ländern und Kommunen schwer belastet.

 

So wird also ein eigentlich aus der Zeit gefallenes Netz (Gas) am Leben erhalten, statt zurück gebaut, ein dringend auszubauendes (Strom) kaputt gespart und die Monopolstellung mit beidem bewahrt. Das sichert Dividenden für Länder und Kommunen, es schützt deren Buchwerte. Es wird aber keinen Spielraum für geringere Energiepreise bieten, es verhindert die so essentiell im globalen Wettbewerb notwendige Elektrifizierung und eines der strategisch wichtigsten Projekte, endlich die Abhängigkeit von Erdgas zu reduzieren, findet nicht statt.

 

Genau das soll nun fortgesetzt werden. Dazu wird zuerst das Wirtschaftsministerium so kastriert, dass es außer etwas Energiepolitik durch Regulierung und ein paar Restetats für Fördermittelchen keinerlei Wirkung mehr hat. Politisch relevante Leute, die zudem schwer zu kontrollieren sind, sagen das Ministerium entsprechend reihenweise ab und man rekrutiert eine Managerin, die aus genau diesem Kartell stammt und dessen Interessen inhaliert hat.

 

Die zeigt nun ihr Talent, denn sie versteht es exzellent in solchen politisch/ökonomischen Kontexten zu agieren und sie ist kommunikationsstark. Triggersätze wie „kein Zwang zu Wärmepumpen“ (den es nicht gibt), besser jetzt „technologieoffene CO2-Vorgaben“ (die es sind), diverse „Verbote“ raus nehmen (die von der EU und der Union selbst stammen) – dazu ist geschrieben, was zu schreiben ist. Komplett populistische Aussagen ohne jede Substanz, außer der sehr wahrscheinlich damit verbundenen Ankündigung, eben jene Vorgaben nun so abzuschwächen, dass Millionen Gasheizungen (und Gasnetze und Stadtwerkgeschäfte) weiter brennen können. Ferner der Trigger, den „Ausbau Erneuerbarer der Realität“ anpassen, was keineswegs „Physik“ ist, wie es der Stammtisch so gerne hört, sondern der selbst verursachten sowie gewollten Verzögerung beim Netzausbau geschuldet ist. Dass die Ministerin sich für den Bau von Kraftwerken so einsetzt, statt den globalen Wettbewerb zwischen diesen und Energiespeicherung technologieoffen zuzulassen, ist ein weiterer Punkt auf dieser Lobby-Agenda, der vermutlich noch die billigste Sünde ist. Der größte, titelgebende Trigger, den das Handelsblatt brav mitgeht, ist das behauptete Ziel, den Klimaschutz nicht zum einzigen Ziel zu machen. Einmal mehr wird also ein Widerspruch zwischen Klimaschutz und Wirtschaft behauptet sowie das Ziel formuliert, auf die Wirtschaft mehr Rücksicht zu nehmen. Stimmt sogar, aber auf eine ganz bestimmte Wirtschaft, auf die gesamte ganz sicher nicht!

 

Während das Handelsblatt der Ministerin ansonsten in dem ersten großen Interview viel Raum gibt, über alle möglichen ökonomischen Themen (strategische Industriepolitik, Digitalisierung, KI, Robotik, Quantencomputing, Automatisierung, Klimatechnologien, Pharma, Biotech, Halbleiter, Infrastruktur) auf Metaebene zu räsonieren, für die sie gar nicht zuständig ist und für die sie keinerlei Mittel oder Einfluss besitzt, hat insbesondere die deutsche Großindustrie die Lehren längst gezogen. Die setzt nämlich weder auf eine Fortsetzung der Gas-Dividende oder bessere Strompreise sondern lotet global weiter für energieintensive Geschäftsmodelle die besten Standorte aus – nicht selten übrigens mit Strom aus Wind- und PV-Parks wie BASF im Raum Shenzen. Der globale Wettbewerb der Staaten treibt derweil die Elektrifizierung weiter, schafft damit Märkte für moderne Industrien, verringert Importabhängigkeiten, erhöht Kaufkraft der eigenen Konsumenten und lässt deren Geld in der eigenen Volkswirtschaft zirkulieren. Die innovativsten darunter sind die Exporteure von morgen, eher schon von heute.

 

Diese Zukunft, also eine konsequente Elektrifizierung, ist nicht gewollt, obwohl der gesamtökonomische Schaden dieser Politik vermutlich zumindest den Spitzenleuten bekannt sein dürfte. Die tiefe Interessenverstrickung der Gaswirtschaft bis in die Politik hinein, die zudem mit konkreten Geldflüssen in öffentliche Kassen verbunden ist, ist zu stark geworden, um sich selbst aufzulösen. Das dürfte politisch nicht durchsetzbar sein, man kann das also nicht mehr einzelnen vorwerfen, meine Kritik gilt ausdrücklich dem System, keinen Einzelpersonen, auch nicht der Ministerin oder einem Stadtwerke-Geschäftsführer, der auch nur seinen Job macht. Was vor 20 Jahren durch die Russland-Connections getrieben wurde, ist mindestens als Folgestruktur stehen geblieben und so leicht politisch auch nicht lösbar, da es parteiübergreifend von der Bundesregierung über die Länder bis in die Rathäuser reicht. Ein Lehrbuchbeispiel für die Frage, warum politische und unternehmerische Interessen unbedingt zu trennen sind.

 

Ich danke übrigens auf den Verzicht von Kommentaren, das habe auch nur ein Lobbyist geschrieben, der ich nämlich nicht bin. Wer sich besser informiert, wird erkennen, dass die EE-Verbände und Lobbyisten sich gar nicht so offen mit der Ministerin anlegen, sondern gezwungen sind, im politischen Frieden und Kompromissbereich zu kooperieren. Dieser „Markt“, der mit einer Marktwirtschaft wenig zu tun hat, ist viel zu hoch reguliert, um sich mit der Regulierung so offen anzulegen, wie ich das hiermit tue.


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