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Die Causa „gesichert rechtsextrem“ wird durch widersprüchliches Gebrüll dominiert – so kann ein Rechtsstaat nicht funktionieren

DMZ –  POLITIK ¦ Dirk Specht ¦   

KOMMENTAR

 

Ich fasse die öffentliche Genese der Causa „gesichert rechtsextrem“ für den Moment zusammen, um das jeweils lauteste aktuelle Geschrei einzuordnen.

 

1) Die Ex-Innenministerin (deren Kommunikationsqualität ich gewiss NICHT verteidigen möchte) lässt das Ergebnis des Berichts veröffentlichen, den Inhalt selbst nicht. Inhalt des Gebrülls Stufe 1: Ein „geheimer“ Bericht (was so nicht stimmt, der ist den im rechtsstaatlichen Verfahren Zuständigen vorbehalten), der müsse gefälligst öffentlich sein, damit jeder sich eine Meinung bilden könne (was rechtsstaatlich aus Gründen eben nicht so ist).

 

2) Die AfD tut ganz überrascht, entrüstet und behauptet, so ganz und gar nicht zu wissen, worum es geht, der Bericht liege ihnen ja nicht vor. Gebrüll Stufe 2: Da werden geheime Vorwürfe erhoben, gegen die sich die Beschuldigten (aka Opfer) gar nicht wehren können. Mehrfach falsch, denn das ist ein Folgebericht, gegen dessen Vorversionen die AfD mehrere Verfahren verloren hat, die also nicht nur vorlagen, sondern von der AfD selbst erfolglos juristisch angefochten wurden. Man kennt also nicht nur die Vorwürfe seit Jahren, man kennt auch bestens deren juristische Substanz. Zudem gelogen, denn zu dem Zeitpunkt hatte die AfD die nächste Klage bereits auf den Weg gebracht (was sie vermutlich sogar nur widerwillig aus einer Zwangslage tun) und die wussten natürlich, dass deren Anwalt sofort Akteneinsicht erhalten wird. War aber auch nicht notwendig, denn der Bericht kursierte bereits, weil er durchgestochen war. Wer sich einigermaßen informierte, hatte den Bericht selbst bereits in Händen, als der AfD-Chef vor der Presse so verwundert behauptete, er wisse von gar nichts und kenne den nicht.

 

3) Der Bericht wird von diversen Pressekreisen diskutiert und in Teilen auch veröffentlich, wodurch letztlich keiner mehr leugnen kann, dass er längst kursiert. Gebrüll Stufe 3: Das wurde gezielt an „linke Medien“ durchgestochen, um der AfD zu schaden. Die ganz besonders führenden Lügner oder denen folgende Trottel behaupteten weiter, die Opfer, also die AfD selbst, wüssten immer noch von nichts.

 

4) Der Bericht wird von Cicero, Nius und Junge Freiheit komplett zum Download gestellt. Gebrüll Stufe 4: Da steht nichts substanzielles drin, ein komplett haltloser Vorwurf. Wesentliches Argument: Das sind ohnehin nur öffentliche Aussagen und Materialien, also ohnehin alles längst bekannt. Die dies brüllenden wissen das über knapp 1.200 Seiten natürlich direkt nachdem diese Downloads verfügbar waren.

 

Dass Gebrüll 1 bis 4 sich inhaltlich komplett widersprechen und die jeweilige Empörungswelle durch die nächste Inszenierung eigentlich in sich zusammenbricht, spielt für viele keine Rolle, Hauptinteresse scheint einfach die nächste Konstruktion irgendeiner Empörung zu sein, was interessiert mich mein innerer Widerspruch zu gestern. Dass die Art, wie mit dem nun doch öffentlich vorliegenden Dokument umgegangen wird, sehr gut belegt, warum so etwas eben nicht in die Öffentlichkeit gehört und dass diese ganzen Experten dabei Sachverhalte verwerfen, die in umfangreichen Gerichtsverfahren von Juristen aller Seiten, Ämter, AfD-Anwälte, Richter eben nicht verworfen wurden, dass Demokratie und Rechtsstaat nun verlangen, das erneut eben genau diesem Verfahren zu überlassen – spielt alles keine Rolle.

 

Wen die Sache mit der Veröffentlichung wirklich interessiert, der findet im beiliegenden Fachartikel eine sehr ausgewogene Darstellung, wie so etwas gehandhabt wird, was für und was gegen eine Veröffentlichung spricht und dass auch dieser Weg letztlich gerichtlich zu entscheiden ist, insbesondere also ebenfalls anders, als öffentlich behauptet weder fixiert, noch unanfechtbar ist, sondern rechtsstaatlich zu klären ist. Damit ist ohnehin klar, dass alle Aussagen der AfD zum Verfahren reine Lügen waren und die vielen öffentlich Brüllenden entweder keine Ahnung haben oder absichtlich die AfD-Rhetorik verlängern.

 

Interessant ist übrigens, dass juristisch vermutlich durch die Veröffentlichung vor allem die Rechte von AfD-Politikern und Mitgliedern geschädigt wurden, deren Handlungen und Aussagen nun namentlich dokumentiert sind, was in vielen Fällen nicht rechtens ist. Das ist übrigens analog zu den sogenannten RKI-Files so, in denen ebenfalls nachrangig tätige Mitarbeiter namentlich mit Aussagen und Handlungen zitiert werden, die vertraulich sind und das auch bleiben dürfen. Solche Informationen müssen sich erst relevante Spitzenleute öffentlich gefallen lassen, für alle anderen gilt der Datenschutz.

 

Aber auch für den interessiert sich mancher nur, wenn es ihm gefällt, während er laut brüllend als „Demokrat“ gerne fordert, alles Mögliche wissen zu müssen, was die Vertraulichkeit anderer schädigt. Nun ist das trotzdem passiert und nur eines wird deutlich: Das liest keiner, jeder äußert dazu einfach die Meinung, die er vorher hatte, die rechtsstaatlich vorgesehene Prüfung wird keinen mehr interessieren. Dazu wird im Gegenteil bereits die nächste Lüge verbreitet, der Verfassungsschutz habe das vor Gericht „zurückgezogen“, das Kartenhaus sei sofort zusammengebrochen. Dass es eine Stillhaltezusage ist, die in allen Verfahren vorher auch erteilt wurde, die Standard ist und die vom Inhalt genau rein gar nichts zurück nimmt, sondern sich auf dessen Prüfung fokussiert, will man nicht zur Kenntnis nehmen.

 

Was an der Stelle übrigens besonders ärgert, sind die vielen Praktikanten-Headlines in durchaus auch seriösen Medien, die den Begriff „zurück nehmen“ oder ähnliche sachlich komplett falsche Formulierungen verwendeten, um dann die fachlich korrekte dpa-Meldung darunter zu klemmen. Da liefert ausgerechnet dpa eine journalistisch gute Leistung und unqualifiziertes Personal in Online-Redaktionen textet in dieser wichtigen Angelegenheit fachlichen Mist – das war von der Tagesschau über FAZ&Co bis zu Regionalzeitungen zu beobachten.

 

Wie so Demokratie und deren Fundament, nämlich der Rechtsstaat, funktionieren sollen, gar leistungsfähig sein sollen, ist eine der relevantesten Fragen, auf die wir in der nächsten Dekade Antworten finden müssen. Momentan dominiert in vielen Echoblasen nur dieses unlogische und schon fast intellektuellen Ekel erzeugende Gebrüll. Wenn das, wie in anderen Demokratien, zum funktionierenden Machtinstrument wird, läuft auch Deutschland darauf hinaus, dass nicht die demokratischen Entscheidungen ein Filter für die größten Irrtümer und Verbrechen sind, sondern deren erneute Erprobung als Regierungspolitik.


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