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Stromabkommen mit der EU: Kein Ausverkauf der Schweizer Wasserkraft

DMZ – POLITIK ¦ Sarah Koller ¦    

 

Die Weltwoche warnt vor einem drohenden Ausverkauf der Schweizer Wasserkraft an Brüssel. Ein Faktencheck zeigt: Einige Befürchtungen sind unbegründet, andere verdienen Aufmerksamkeit. Was ist dran an den Sorgen rund um das geplante Stromabkommen?

 

Die Schweiz und die Europäische Union stehen kurz vor einem neuen institutionellen Abkommen, das auch die künftige Zusammenarbeit im Strombereich regeln soll. Ein Artikel in der Weltwoche vom 7. Mai 2025 warnt in dramatischem Ton vor einem „Ausverkauf der Schweizer Wasserkraft“ an Brüssel. Die Rede ist von drohenden Ausschreibungen über Landesgrenzen hinweg, von EU-Preisvorgaben für die Strom-Grundversorgung und einer automatischen Rechtsübernahme. Was ist dran an diesen Behauptungen?

 

Konzessionen: Ausschreibungspflicht im EU-Raum?

Ein zentraler Kritikpunkt lautet: Künftig müssten Konzessionen für Wasserkraftwerke EU-weit ausgeschrieben und an den günstigsten Anbieter vergeben werden – auch an ausländische Staatskonzerne. Diese Behauptung ist unbelegt. Gemäss dem Bundesamt für Energie (BFE) ist in den bisherigen Entwürfen des Stromabkommens keine Pflicht zur grenzüberschreitenden Ausschreibung von Konzessionen vorgesehen. Die Kantone behalten ihre bisherigen Rechte, insbesondere bei der Vergabe von Nutzungsrechten an Flüssen und Seen.

 

Wasserzinsen: Nationale Zuständigkeit bleibt

Auch die Wasserzinsen, die von Standortgemeinden und Kantonen für die Nutzung der Wasserkraft erhoben werden, sind nicht Gegenstand des Stromabkommens. Die EU betrachtet solche Abgaben grundsätzlich als nationale Angelegenheit – eine direkte Einflussnahme ist nicht absehbar. Zwar könnte die EU in einem späteren Verfahren argumentieren, dass gewisse nationale Regelungen den Wettbewerb verzerren. Ein Automatismus besteht jedoch nicht.

 

Strommarktliberalisierung und Grundversorgung

Die Kritik an einer vollständigen Liberalisierung des Strommarktes ist nicht neu. Tatsächlich verlangt die EU für den Zugang zum Binnenstrommarkt die Öffnung auch für Haushaltskunden. Die Schweiz hat diesen Schritt bislang nicht vollzogen. Derzeit ist offen, ob und wie der Schutz der Grundversorgung bei einer Marktöffnung weiter garantiert werden kann. In jedem Fall bleibt die Ausgestaltung der Tarifmodelle und der Sicherstellung von Versorgungspflichten Gegenstand nationaler Gesetzgebung – nicht Brüsseler Verordnungen.

Dynamische Rechtsübernahme: Kein Automatismus, aber Verpflichtung

 

Die sogenannte dynamische Rechtsübernahme ist ein zentrales Element im geplanten institutionellen Rahmen. Damit verpflichtet sich die Schweiz, neue relevante EU-Regeln zu übernehmen, um den Zugang zum Binnenmarkt zu behalten. Doch entgegen mancher Darstellung entscheidet die Schweiz weiterhin selbst über die Übernahme – im Streitfall allerdings unter Beizug eines paritätisch zusammengesetzten Schiedsgerichts. Von einer vollständigen Aufgabe der Souveränität kann keine Rede sein.

 

Separierung des Stromabkommens: Reaktion auf politische Bedenken

Dass der Bundesrat das Stromabkommen aus dem umfassenden Paket temporär herauslöst, ist eine Reaktion auf politische Realitäten. Zahlreiche Kantone, insbesondere solche mit starker Wasserkraftnutzung, haben Vorbehalte geäussert. Auch in der Bundesverwaltung herrscht das Bewusstsein, dass die Souveränitätsfragen in der Energiepolitik besonders sensibel sind. Die Separierung erlaubt eine fokussiertere Diskussion – und schliesst die Mitwirkung der Bevölkerung in einem allfälligen Referendum nicht aus.

 

Fazit

Die Kritik von Magdalena Martullo-Blocher und der SVP trifft einen wunden Punkt: Die Versorgungssicherheit der Schweiz ist eng mit der Wasserkraft verbunden – ebenso wie mit föderalen Kompetenzen. Doch der Weltwoche-Artikel vermischt berechtigte politische Bedenken mit unbelegten Behauptungen und spekulativen Szenarien. Ein Stromabkommen mit der EU ist keine automatische Preisgabe nationaler Interessen – sondern eine komplexe Gratwanderung zwischen Marktintegration und Souveränitätswahrung.

 

Die politische Debatte darüber ist legitim – sie sollte aber auf gesicherten Fakten beruhen.

 

 

 

Quellen:

Bundesamt für Energie (BFE)

swissinfo.ch: „Was Sie über das geplante Stromabkommen wissen müssen“

SRF: „Was würde eine Einigung mit der EU bringen, Herr Cassis?“

Stellungnahmen der Konferenz der Kantonsregierungen (KdK)


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