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Straumanns Fokus am Wochenende - Schmierenkomödie

DMZ – POLITIK ¦ Dr. Reinhard Straumann ¦

KOMMENTAR

 

Die Bundesrepublik Deutschland hat eine neue Regierung. Unter Inanspruchnahme eines zweiten Wahlgangs wurde mit Hängen und Würgen Friedrich Merz vom Bundestag zum zehnten deutschen Kanzler gewählt. Gerade nochmal gut gegangen, wird mancher Wähler sagen und sich ein paar Schweisstropfen von der Stirn wischen. Ein Bier, Frau Wirtin!

 

Soviel gute Stimmung können wir dem politischen Geschehen im grossen Kanton nicht abringen. Gar nichts ist gut gegangen. Angefangen von der Neuwahl im Februar bis zum Amtseid im Mai wurde von den Parteien, die jetzt die Regierung stellen, alles über den Haufen geworfen, was politischer Anstand ist. Eingezogen ins Kanzleramt ist ein früherer Chef von BlackRock Deutschland, ein neoliberaler Lügenbaron, ein Pinocchio, dessen Nase von Tag zu Tag länger wird. Er macht sich auf, den Krieg in der Ukraine zu eskalieren, den Mittelstand zu schröpfen und seinesgleichen noch reicher zu machen. Weil seine politische Agenda nur ein Ziel hatte, nämlich auf Teufel komm raus Kanzler zu werden, hat er sich zum Gefangenen seiner selbst gemacht. Ohne Not verkündete er die „Brandmauer“ (gegenüber der AfD), die ihn diametral allem entgegentreibt, was er im Wahlkampf versprochen hatte. Der Sumpf, in welchen die Regierungsparteien die Staatskarosse unvermeidlich hineingezerrt haben, lässt keine Manövrierfähigkeit mehr zu. Nichts geht mehr, weder vor noch zurück.

 

Was sie Deutschland versprochen und womit sie die Wählerschaft eingekauft haben, war die Rettung der Demokratie. Was sie bieten, ist eine Schmierenkomödie in mehreren Akten. Deren jüngster Höhepunkt ist die Etikettierung der AfD mit dem Attribut, sie sei – als mittlerweile stärkste Partei Deutschlands überhaupt, die mehr als ein Viertel der Bevölkerung vertritt – nicht nur in Teilen, sondern „insgesamt gesichert rechtsextrem“.

 

Es war das Werk von Nancy Faeser, der ausgeschiedenen Innenministerin. Frohgemut verkündete sie an ihrem letzten Arbeitstag den entsprechenden Entscheid des Verfassungsgerichts (dessen oberster Richter, Stephan Harbarth, vor wenigen Jahren noch stellvertretender Chef der Bundestagsfraktion der CDU/CSU gewesen war). Offenbar lag Faeser daran, ihrem Land noch ein Abbild verfilzter Staatsgewalten mitzugeben, quasi als Abschiedsgeschenk. Sie tat es, ohne dass ihre Fachstellen die Möglichkeit gehabt hatten, den elfhundertseitigen (!) Bericht des „Verfassungsschutzes“, die Grundlage des Gerichtsentscheides, zu prüfen. Einfach hopp und raus damit. Ein paar handverlesenen Journalisten hat man ihn noch untergejubelt, den Betroffenen der Anklage nicht. Das Kalkül war einfach: selbst wenn die AfD dereinst vor den Gerichten Recht erhalten sollte, so würde bis dann doch millionenfach mit dem Namen der Partei auch die Zuschreibung „insgesamt gesichert rechtsextrem“ zitiert worden sein. Klar, dass sich das in der Öffentlichkeit festsetzt. Der Stempel brennt sich als Kainsmal ein.

 

Zum Glück war das Kalkül zu einfach. Man kann den Rechtsstaat beugen, aber nicht gleich so. Keine Woche hatte der Entscheid Bestand. Das Bundesverfassungsgericht hat die Zuschreibung „insgesamt gesichert rechtsextrem“ zur Prüfung zurücknehmen müssen. Und damit wohl implizit eingestanden, dass man einen demokratiefeindlichen Entscheid ungeprüft rausgehauen hat.

 

Was heisst „gesichert rechtsextrem“? Gesichert kann nur festgehalten werden, dass keine einzige Behauptung dieses sogenannten „Verfassungsschutzes“ (die Anführungszeichen sind unvermeidlich) gesichert ist. Denn der Begriff „Verfassungsschutz“ ist ein Euphemismus. Er suggeriert, es handle sich um eine unabhängige Behörde der Justizgewalt. Weit gefehlt. Der „Verfassungsschutz“ ist eine weisungsgebundene Stabsstelle der Regierung, die nicht die Verfassung schützt, sondern die Regierung und deren Politik. Also ist der Kampf der Hüter des Grundgesetzes gegen die Opposition vor allem ein Kampf gegen ihre eigene Entlassung, denn bei einem Regierungswechsel müssten sie die Sessel räumen.

 

Diese Behörde darf im Auftrag des Innenministeriums die politische Opposition beobachten, was in sich selbst hochgradig demokratiefeindlich ist. In alter Blockwartmentalität schleicht die Geheimpolizei den AfDlern hintendrein und trägt hunderttausend Wahrnehmungen zusammen, nichts anderes als eine Flut von Kinkerlitzchen, die mit dem Begriffsverständnis von „Volk“ zu tun haben. Die Geheimpolizisten bündeln alles zu einem Bericht und legen diesen der Verfassungsgerichtsbarkeit vor, nicht aber den Betroffenen und der Öffentlichkeit. Der tumbe Michel soll einfach glauben – so, wie das im Ancien Régime der Fall war. Rechtsstaat und Demokratie werden regelrecht lächerlich gemacht.

 

Wie kann es sein, dass so viele Menschen dem Einheitsdiktat der veröffentlichten Meinung auf den Leim gehen? Zur Erklärung wird in alternativen Medien derzeit viel Psychologie bemüht. Die Wähler der „bürgerlichen Mitte“ – wird argumentiert – würden gerne Auto fahren, am liebsten Verbrenner ohne Tempolimit, würden gerne südwärts in den Urlaub fliegen, zu viel Fleisch essen und ihr Verhältnis zu Migranten arabischer Herkunft sei auch zweifelhaft. Gleichzeitig wird diesem Publikum seit Jahren von grüner Seite eingebläut, dieser Katalog des geheimen bürgerlichen Selbstverständnisses sei unfein, nicht zukunftsweisend. Wie aber begegnet der Normalverbraucher den Abgründen seines eigenen Ichs?

 

Ganz einfach: Er baut am rechten Rand des politischen Spektrums ein Feindbild auf, das beinhaltet, die Menschen dort würden noch etwas lieber Verbrenner ohne Tempolimit fahren, würden erst recht dem Massentourismus in den Süden frönen, würden noch mehr Fleisch essen (aus der Metzgerei Tönnies) und seien nicht vielleicht, sondern „gesichert“ ausländerfeindlich.

 

Zur Objektivierung nur dreierlei. Erstens: Statistisch gesichert ist, dass es in keiner deutschen Partei mehr Menschen mit Migrationshintergrund gibt als in der AfD. Zweitens: Psychologisch gesichert ist, dass nichts gegen Lebenslügen wirksamer hilft als Feindbilder. Drittens: Historisch gesichert ist, dass die Bewirtschaftung solcher Feindbilder durch die hohe Politik nichts mit Demokratie zu tun hat, sondern mit purem Populismus.

 

 

 

 

 

 

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Seit 2020 können Sie in der „DMZ“ Woche für Woche die Kommentare von Dr. Reinhard Straumann verfolgen. Seine Themen reichen von Corona über amerikanische Außen- und schweizerische Innenpolitik bis hin zur Welt der Medien. Dabei geht Straumann stets über das hinaus, was in den kommerziellen Mainstream-Medien berichtet wird. Er liefert Hintergrundinformationen und bietet neue Einblicke, häufig mit Verweisen auf Literatur und Philosophie.

 

Dr. Reinhard Straumann ist Historiker und verfügt über das nötige Fachwissen. Als Schulleiter an einem kantonalen Gymnasium hat er sich zudem jahrzehntelang für die politische Bildung junger Menschen engagiert. Wir freuen uns, dass Reinhard Straumann regelmäßig zum Wochenende einen festen Platz in der DMZ unter dem Titel „Straumanns Fokus am Wochenende“ hat.

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