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DE: Verfassungsschutzchef überraschend entlassen: Innenministerin Lange trennt sich von Jörg Müller

DMZ – POLITIK ¦ Sarah Koller ¦   

 

Potsdam – Die brandenburgische Innenministerin Katrin Lange (SPD) hat den Präsidenten des Landesverfassungsschutzes, Jörg Müller, mit sofortiger Wirkung von seinen Aufgaben entbunden. Das teilte das Innenministerium am Dienstag ohne nähere Angaben zu den Hintergründen mit. Müller soll in den einstweiligen Ruhestand versetzt werden. Hinter dem überraschenden Schritt deutet sich jedoch ein tieferliegender Konflikt über den Umgang mit der AfD an – ein Thema, das nicht nur politisch brisant ist, sondern auch das Verhältnis zwischen Politik und Sicherheitsbehörden auf die Probe stellt.

 

Unterschiedliche Einschätzungen zur AfD

Nach Recherchen der Märkischen Allgemeinen Zeitung geht der Schritt auf grundlegende Differenzen zwischen Müller und Ministerin Lange in der Bewertung der AfD zurück. Müller hatte sich innerhalb der Behörde und im Austausch mit Kollegen anderer Bundesländer seit Monaten für eine Hochstufung des brandenburgischen AfD-Landesverbands von einem „Verdachtsfall“ zu einer „gesichert rechtsextremistischen Bestrebung“ ausgesprochen. Eine solche Einschätzung hätte weitreichende Konsequenzen für die Partei – insbesondere im Hinblick auf Überwachungsbefugnisse und öffentliche Wahrnehmung.

 

In den ostdeutschen Nachbarländern Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen gilt eine solche Einstufung bereits. Brandenburgs Verfassungsschutz hingegen blieb bislang zurückhaltender – obwohl der dortige Landesverband der AfD gemeinhin als besonders radikal gilt. Nach Informationen der MAZ war die fachliche Entscheidung zur Hochstufung intern bereits getroffen und anderen Landesämtern kommuniziert worden. Offenbar fehlte jedoch die politische Rückendeckung, um diesen Schritt öffentlich zu machen.

 

Politisches Beben – Kritik auch aus der SPD

Die Entlassung Müllers, die nur wenige Tage vor der Vorstellung des neuen Verfassungsschutzberichts erfolgte, sorgt parteiübergreifend für Verwunderung. Der SPD-Landtagsabgeordnete und Rechtsexperte Erik Stohn erklärte: „Ich bin irritiert, dass ein langjähriger, zuverlässiger Verwaltungsbeamter wie Müller, der eine klare Haltung für den demokratischen Rechtsstaat vertritt, entlassen wird.“ Stohn kündigte an, eine Erklärung der Ministerin einzufordern.

 

Auch aus der Opposition kommt deutliche Kritik. CDU-Landeschef Jan Redmann zeigte sich „außerordentlich verwundert“ über den Schritt. Müller genieße über Parteigrenzen hinweg ein hohes Ansehen, so Redmann. Er warnte die Innenministerin davor, „aus Gründen der Eigenprofilierung auf dem rechten Auge zu nachsichtig zu sein“.

 

AfD zeigt sich erfreut – und wittert „Bespitzelung“

Ganz anders fällt die Reaktion der AfD aus: Der Fraktionsvorsitzende im Landtag, Hans-Christoph Berndt, begrüßte die Entlassung Müllers ausdrücklich. Er warf dem scheidenden Behördenchef vor, den Verfassungsschutz zur „Bespitzelung der Opposition“ missbraucht zu haben – ein Vorwurf, den Experten und Sicherheitskreise als Versuch werten, die Beobachtung der Partei zu delegitimieren.

 

Berndt, selbst Mitgründer des inzwischen als rechtsextrem eingestuften Vereins „Zukunft Heimat“, steht seit Jahren im Fokus der Sicherheitsbehörden. Die damalige Einstufung erfolgte allerdings noch vor Müllers Amtsantritt.

 

Institutionelle Unruhe und offener Führungswechsel

Müllers plötzliche Entmachtung ereignete sich ausgerechnet am Tag einer Sitzung der parlamentarischen Kontrollkommission (PKK) des Landtags – ein Umstand, der auch formal für Irritationen sorgte. Der bisherige Stellvertreter Axel Heidrich übernimmt kommissarisch die Leitung des Verfassungsschutzes. Ein dauerhafter Nachfolger oder eine Nachfolgerin soll im Juli vorgestellt werden.

 

Müller hatte seine Karriere als Büroleiter des früheren Innenministers Karl-Heinz Schröter (SPD) begonnen und war später von dessen Nachfolger Michael Stübgen (CDU) zum Behördenleiter berufen worden. Bereits unter Stübgen war Müllers Vorgänger wegen „fehlenden Vertrauens“ entlassen worden – ein Muster scheint sich nun zu wiederholen.

 

Signalwirkung über Brandenburg hinaus

Der Fall wirft grundsätzliche Fragen auf: Wie unabhängig kann der Verfassungsschutz agieren, wenn politische Differenzen über Einstufungen extremistischer Bestrebungen zu personellen Konsequenzen führen? Welche Signale sendet eine solche Entscheidung – insbesondere angesichts der bevorstehenden Landtagswahlen und einer sich verschärfenden sicherheitspolitischen Lage in Ostdeutschland?

 

Der Zeitpunkt der Entlassung könnte kaum heikler sein. Erst vor wenigen Tagen hatte das Bundesamt für Verfassungsschutz die AfD bundesweit als „gesichert rechtsextremistische Bestrebung“ eingeordnet – mit ausdrücklichem Verweis auf den Landesverband Brandenburgs.

 

Die politische Debatte dürfte damit erst am Anfang stehen. Die Innenministerin steht nun unter erheblichem Druck, die Hintergründe ihrer Entscheidung transparent zu machen – nicht zuletzt im Sinne der Glaubwürdigkeit staatlicher Institutionen im Kampf gegen den politischen Extremismus.


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