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Das erhitzte Dorf

DMZ ¦ ANNABEL HERKSTRÖTER ¦

 

Schwirren kommt näher, entfernt sich. Die Nachmittagssonne taucht alles in ockergelbes Licht. Schwirren kommt näher, entfernt sich. Ein dunstiges Band zieht gen Süden. Es sieht schmuddelig aus.

 

Schwirren kommt näher, entfernt sich. Zwei Leute laufen in den Gassen der Wohnsiedlung beinah zusammen.

 

„Der Wald brennt!“

 

„Ja, der Wald brennt!“

 

Schwirren kommt näher, entfernt sich. Jetzt untermalt vom Zivilschutzalarm, eines anhaltenden, auf- und abschwellenden Heultons. Aus dem Mittagsschlaf gefallene Gemüter schieben den Vorhang beiseite, manche blicken zuerst nach Süden, wo das Dunstband hinzieht, und wo es schon einmal gebrannt hat, vor Kurzem erst. Dabei sitzt dem Dorf die Katastrophe direkt im Nacken. Schwirren kommt näher, entfernt sich. Es sieht aus, als blase der Hügel einen Trichter aus braunschwarzem Qualm von sich fort. Hinter dem rußigen Schleier hängt ein blutroter Ball, zu welchem die Leute aufblicken. Da ist die Sonne, die Feuerkugel, rotgefärbt vom glimmenden Rauch.

 

Von der Brücke aus sieht man den Wald auch sehr gut untergehen. Ganz unwirklich und fiebrig ist das Licht inzwischen. Schwirren kommt näher, entfernt sich. Von hier lassen sich auch die dazugehörigen Hubschrauber beobachten. Orange schlängeln sich an verschiedenen Stellen Feuerzungen aus dem quellenden Rauch empor und verschwinden wieder. Durch den Ort donnern Löschfahrzeuge, die winzig aussehen, wenn sie nachher blaublinkend den Forstweg, hinter dem bedrohten Gehöft, entlangkrabbeln. Mitten in der Flur steht jemand, die Hände in den Hosentaschen, und schaut. Aus einiger Entfernung ist das alles interessant zu betrachten. Schwirren kommt näher, entfernt sich. An verschiedenen Ecken im Dorf haben sich längst Menschentrauben gebildet. Von einem Balkon guckt jemand mit dem Fernglas.

 

Manch einer lässt die Nachmittagsschicht in der Fabrik ausfallen – das Feuer könnte ja näherkommen und dann muss jemand da sein, um die wichtigsten Dinge aus dem Haus zu holen… Der kollektive Blick haftet mittlerweile am Umsetzer, der vom Hügel in den Himmel sticht, und schon leicht von Rauchschwaden umwabert wird wie ein etwas steifer Schlagersänger vom Kunstnebel. Wenn der etwas abkriegt, dann geht nichts mehr, hier im Dorf. Kein Fernsehen, kein Radio, kein Handynetz, keine Schlager mehr. Dann stehen wir schön da! Schwirren kommt näher, entfernt sich. Jetzt kann man das Feuer auch schon riechen. Das ist nicht wie der Rauch, der im Winter aus den Schornsteinen kommt. So riecht nur lebendiges, tosendes Feuer! Unbegrenztes Feuer! Mit dem beißenden Geruch und ebenso unaufhaltsam verbreitet sich das Gerücht der Brandstiftung. Vier verschiedene Brandherde soll es anfänglich gegeben haben. Der schaut jetzt garantiert zu, der Feuerteufel, und bewundert sein Werk! Wahrscheinlich ist er sogar mitten unter uns! Stell dir das einmal vor…

 

Schwirren kommt näher, entfernt sich. Inzwischen ist es dunkel geworden. Von einem Hof, einige Höhenmeter über dem Dorf, und auf der gegenüberliegenden Seite des brennenden Hügels, bietet sich ein seltsam ruhiges Bild der Katastrophe. Ein Lichtermeer leuchtet aus einem weichen, vorankriechenden Schleier hervor. Ausbrennende Bäume als in der Dunkelheit funkelnde Punkte. Mit etwas Phantasie, Stadtlichter in der Ferne.

 

Das Dorf kommt unter dem schwelenden Hügel langsam zur Ruhe. Die Bewohner haben sich müdegeredet an den ganzen Mutmaßungen darüber, wer der Feuerteufel sei, der – wie immer – aktiv werde, wenn es auf Vollmond zugehe. Jetzt können wir alle gut schlafen, nach dieser Gute-Nacht-Geschichte, denn das Feuer soll mittlerweile unter Kontrolle sein, immerhin. Schwirren kommt näher, entfernt sich.

 

Am Morgen liegt ein dünner, gelber Schleier über dem Hügel, beinah wie ein Heiligenschein, und lässt dessen Konturen verschwimmen. Schwirren kommt näher, entfernt sich. Das Dorf reibt sich den Schlaf aus den Augen und richtet seinen Blick auf den Umsetzer, der sich hinter dem gelben Dunst abmalt. Aus einem gekippten Fenster dringt Schlagermusik. Jemand bekreuzigt sich und betet, dass das Feuer bald vollständig gelöscht und der Feuerteufel sofort geschnappt werde, und neidet dem Hügel seinen Heiligenschein. Schwirren kommt näher, entfernt sich.


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