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So sieht Peking die neue Weltordnung

György Odze: Publizist, ehem. Diplomat, China-Experte, 2002-2006 Presseattaché der ungarischen Botschaft in Peking
György Odze: Publizist, ehem. Diplomat, China-Experte, 2002-2006 Presseattaché der ungarischen Botschaft in Peking

DMZ – GLOBAL ¦ György Odze ¦György Odze: Publizist, ehem. Diplomat, China-Experte, 2002-2006 Presseattaché der ungarischen Botschaft in Peking

KOMMENTAR

 

Im Zentralinstitut für politische Forschung der Kommunistischen Partei Chinas, in den Führungsbüros im Bezirk Dongcheng, unweit der Verbotenen Stadt, muss dieser Tage eine Menge Verwirrung herrschen. Auch ich habe als Diplomat an solchen Beratungen immer wieder teilgenommen und war davon überzeugt, dass dort hervorragende und aufgeschlossene Fachleute arbeiten.

 

Wir erleben möglicherweise die kritischste Situation der letzten vier Jahrzehnte und es könnte sein, dass eine neue historische Ära beginnt und die Beziehungen zwischen den Großmächten neu gestaltet werden. Während der Besetzung der Krim (2014) zeigte Peking sein übliches zurückhaltendes Verhalten. Das Außenministerium gab eine nichtssagende Erklärung ab, in der es sich für „die Unabhängigkeit und Souveränität der Ukraine“ einsetzte, den Aggressor jedoch nicht verurteilte. Analysten warnten jedoch damals schon, dass dies nur der erste Schritt sei und dass Sorgen und Pessimismus durch das ergebnislose Treffen zwischen Biden und Putin im Juni 2021 nur noch verstärkt wurden.

 

Angesichts der neuen Situation sollte man sich an einen denkwürdigen Moment aus der Vergangenheit erinnern. Im Mai 2024 schien es noch so, als ob die halbe Welt Wladimir Putin wegen seines blutigen Krieges gegen die Ukraine für einen Mörder hielt, Xi Jinping jedoch in ihm einen Partner für die Schaffung einer neuen Weltordnung gefunden hatte, die nicht von den Vereinigten Staaten angeführt würde. In Peking wurde der rote Teppich ausgerollt, das Orchester spielte ehemalige Märsche der Roten Armee und die beiden Staatschefs wurden bei ihrem Gang über den Platz des Himmlischen Friedens von jubelnden Kindern begrüßt. Putin, der sonst nie öffentlich über seine Kinder spricht, erzählte, dass die jungen Mitglieder seiner Familie fließend Mandarin sprechen. Er glaubte, seine Gastgeber damit beeindrucken zu können und erklärte sogar, er und Xi seien „so nah wie Brüder“. Er konnte sich kaum zurückhalten, Chinas Wirtschaft überschwänglich zu loben. Xi erwiderte die Komplimente jedoch nicht, seine Bemerkungen waren viel oberflächlicher und zurückhaltender. Putin sei ein „guter Freund und guter Nachbar“, erklärte er trocken.

 

Das war alles Theater, sie haben Putin im Grunde zum Narren gehalten.

 

Seitdem hat sich die weltpolitische Lage dramatisch verändert.

 

Interessant ist nun nicht mehr, was Putin will, sondern was Trump will. Vielleicht gibt der US-Präsident nur vor, mit Putin zusammenzuarbeiten? Und wenn er es ernst meint? Was passiert, wenn die asiatische Region dem militärischen Abbau der USA in Europa folgt? Natürlich ist das unwahrscheinlich, da dies traditionell der wichtigste Bereich der amerikanischen Außenpolitik ist, aber was wäre, wenn es tatsächlich so kommt? Peking beobachtet aufmerksam, wie sich die Machtverhältnisse in Asien im Lichte eines möglichen amerikanisch-russischen Friedensvertrags gestalten würden.

 

China ist eine einzigartige Weltmacht. Obwohl die wirtschaftliche Stärke des Landes geradezu beeindruckend ist und es entgegen herablassender Prognosen aus dem Ausland ständig Anzeichen einer Entwicklung gibt, scheut man sich davor, diese führende Rolle auf der politischen Bühne anzunehmen. Man ließ die amerikanischen Bemühungen, seltene Erden zu beziehen, ohne Kommentar, obwohl man genau wusste, dass etwa 38 Prozent der weltweiten Reserven (44 Millionen Tonnen) in chinesischem Boden liegen.

 

Warten wir ab, meinen Analysten in Dongcheng, ob die amerikanischen Absichten ernst gemeint sind. Die Stellungnahmen der chinesischen Führung enthielten schon immer nur unverbindliche Wünsche und seit November 2024 scheinen sie noch zurückhaltender zu sein. Natürlich redet man über Frieden, doch sich an Friedensverhandlungen zu beteiligen, wäre für China vergleichbar mit dem Eintritt in einen Krieg.

 

Pekings Sympahtie für Trump hielt sich schon immer in Grenzen 

Allerdings war die bösartige Fernsehshow, die inszeniert wurde, um den ukrainischen Präsidenten zu demütigen, auch für die chinesischen Parteiführer zu viel Was wird mit der Welt geschehen? In den Büros in Dongcheng ist man der Ansicht, dass Trump erneut für das Amt kandidierte, um einer Gefängnisstrafe zu entgehen und sich nun an allen zu rächen, die ihm seiner Meinung nach vor fünf Jahren den Wahlsieg gestohlen hatten. Er verhält sich, als hätte er keine Ahnung, was in der Welt vor sich geht, handelt konfus und ändert im Minutentakt seine Meinung. Die Mitglieder seiner Regierung haben Angst, in einem Tweet von Elon Musk zur Zielscheibe zu werden um dann ihre Sachen packen zu müssen. Diese Unsicherheit hat bereits die Nerven von Unternehmern, Investoren und sogar von Verbündeten strapaziert. Chinesen, die im Welthandel eine führende Rolle spielen, können das nachvollziehen.

 

Was macht Europa?

Die Doppelaufgabe, der Ukraine zu helfen und gleichzeitig die Verteidigung des Kontinents wieder aufzubauen, scheint eine riesige Herausforderung zu sein. Keir Starmer kann dabei eine führende Rolle spielen, da die Briten nicht an Verhandlungszwänge der EU gebunden sind und zudem ihre transatlantischen Beziehungen („special relationship“) nutzen können. Die Frage ist aber: Was passiert, wenn Washington seine Unterstützung für die Ukrainer erneut einstellt? In diesem Fall fühlen sich Regierungen und Bevölkerung in Europa von den USA verraten.

 

Was Europa macht, ist aus Pekings Sicht keineswegs egal. Ein Drittel des chinesischen Außenhandels ist seit Jahrzehnten mit Europa verbunden. Daher ist es äußerst wichtig, welche Richtung Paris, London und Berlin jetzt einschlagen. Denn wenn es zu einer unabhängigen europäischen Militärmacht kommt, könnte ein Wettrüsten mit Amerika eingeläutet werden.

 

Für China wäre das das Worst-Case-Szenario, denn nur im Falle geopolitischer Stabilität kann sich ein Rahmen für eine lebendige wirtschaftliche Zusammenarbeit zwischen China und der EU entwickeln.

 

Russlands Krieg gegen die Ukraine hat beispielsweise den Energiemarkt bereits neu definiert, und es wäre noch möglich gewesen, sich in gewisser Weise daran anzupassen. Doch ein Zusammenbruch der NATO oder sogar eine Verschärfung der Spannungen im Nordatlantik – die jetzt von Trump angeheizt werden – würde jedoch eindeutig den chinesischen Interessen zuwiderlaufen.

 

Deutschland spielt im Beziehungssystem der EU eine besonders wichtige Rolle, ihm wird in den technischen, wissenschaftlichen und technologischen Bereichen absolute Priorität eingeräumt. Bundeskanzlerin Merkel war in Peking stets ein gern gesehener Gast. Ganz zu schweigen davon, dass jedes Jahr 40.000 chinesische Studenten an deutschen Universitäten studieren.

 

„Sie haben keine Karten“, sagte Trump zu Selenskyj in Bezug auf Rußland vor laufenden Kameras. Das ist sein Stil, aber so kann man mit Peking nicht argumentieren. Und es ist sogar möglich, dass der Präsident in ein paar Jahren Vance heißt. Ein mittelmäßiger Demagoge, der bereits jetzt die Grenzen des Vizepräsidentenamtes überschreitet.

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