
DMZ – FORSCHUNG ¦ Sarah Koller
Neue Erkenntnisse zur Rolle der Hoden als Rückzugsort für das Virus – weitere Forschung zu möglichen Langzeitfolgen empfohlen
Belo Horizonte / Los Angeles – Eine neue Studie brasilianischer und US-amerikanischer Forschender liefert Hinweise darauf, dass SARS-CoV-2 noch Monate nach überstandener Infektion im männlichen Genitaltrakt nachweisbar sein kann – möglicherweise auch in infektiöser Form. Die Ergebnisse werfen Fragen hinsichtlich der langfristigen Auswirkungen auf die männliche Fruchtbarkeit sowie der Rolle solcher persistierender Virusreservoire im Zusammenhang mit Long COVID auf.
Die Untersuchung wurde von einem internationalen Team unter der Leitung von Marcelo H. Furtado und Thiago P. Furtado durchgeführt und kürzlich auf dem Preprint-Server medRxiv veröffentlicht. Ziel der Studie war es, das Potenzial des männlichen Reproduktionstrakts als sogenannter „immunprivilegierter Ort“ näher zu analysieren. Solche Körperregionen – darunter Gehirn, Augen und Hoden – sind dafür bekannt, dass sie Pathogene unter bestimmten Umständen länger beherbergen können, ohne dass diese vollständig vom Immunsystem beseitigt werden.
Studienaufbau und Methodik
Im Rahmen einer prospektiven Beobachtungsstudie wurden 38 Männer untersucht, die eine milde oder moderate COVID-19-Erkrankung durchlaufen hatten. Spermaproben wurden 15 bis 45 Tage sowie drei und sechs Monate nach Symptombeginn entnommen. Die Analyse erfolgte nach den Richtlinien der Weltgesundheitsorganisation (WHO) und umfasste unter anderem RT-qPCR, Durchflusszytometrie, Virusisolierung in Zellkulturen, Immunfluoreszenz sowie elektronenmikroskopische Verfahren.
Nachweis infektiöser Viruspartikel in Spermaproben
Bei 55 Prozent der Probanden war Virus-RNA im Ejakulat nachweisbar. Besonders deutlich fiel dieser Befund bei Personen mit moderatem Krankheitsverlauf aus, bei denen 91 Prozent entsprechende Spuren aufwiesen. In 17 Fällen gelang es den Forschenden, infektiöse Viruspartikel mithilfe von Vero-Zellkulturen zu isolieren – ein Hinweis darauf, dass es sich nicht nur um inaktive RNA-Reste, sondern um potenziell aktive Erreger handeln könnte.
Mikroskopische Analysen bestätigten zudem die Anwesenheit viraler Strukturen innerhalb der Zellen. Die Nachweise blieben über mehrere Monate bestehen, obwohl die akuten Krankheitssymptome bereits abgeklungen waren.
Temporäre Beeinträchtigung der Spermienqualität
Parallel zur Virusdetektion wurde auch die Spermienqualität untersucht. Hier zeigte sich, dass Anzahl, Konzentration und Beweglichkeit der Spermien in den ersten Monaten nach der Infektion reduziert waren. Diese Parameter normalisierten sich bei den meisten Teilnehmern jedoch bis zum sechsten Monat. Entzündungsmarker wie CD3, CD4, CD8 und CD45 waren insbesondere nach drei Monaten erhöht, gingen im weiteren Verlauf aber wieder zurück.
Bedeutung für Long COVID und offene Fragen
Die Forschenden weisen darauf hin, dass ihre Ergebnisse weitere Untersuchungen erforderlich machen – sowohl hinsichtlich möglicher Langzeitfolgen für die männliche Fruchtbarkeit als auch im Hinblick auf eine potenzielle Rolle des Genitaltrakts bei der Entstehung oder Aufrechterhaltung von Long COVID.
Noch ist unklar, ob sich aus der Persistenz des Virus im Sperma Rückschlüsse auf eine sexuelle Übertragbarkeit ziehen lassen. Ebenso bleibt offen, ob reaktivierte Virusbestandteile zu anhaltenden Immunreaktionen beitragen können, wie sie bei Long COVID vermutet werden.
Anmerkung der Redaktion: Die Studie wurde bislang nicht in einem Peer-Review-Verfahren veröffentlicht. Die Ergebnisse sollten daher mit der gebotenen wissenschaftlichen Vorsicht interpretiert werden.
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