
DMZ –FORSCHUNG ¦ Sarah Koller ¦
Eine europäische Studie hat möglicherweise einen bedeutenden Schritt im Verständnis jener mysteriösen Hepatitisfälle bei Kindern gemacht, die im Jahr 2022 weltweit Aufmerksamkeit erregten. Mithilfe modernster Einzelzell- und Bildgebungsverfahren konnten Forschende erstmals charakteristische Immunzellinteraktionen in den Lebern betroffener Kinder identifizieren – und diese mit einer früheren SARS-CoV-2-Infektion in Verbindung bringen. Die Ergebnisse legen nahe, dass es sich um eine bislang nicht bekannte Spätfolge von COVID-19 handeln könnte.
Unerklärliche Hepatitisfälle bei Kindern: ein globales Rätsel
Im Frühjahr 2022 verzeichneten Gesundheitssysteme – insbesondere im Vereinigten Königreich – eine Häufung schwerer Hepatitisfälle bei Kindern ohne erkennbare Ursache. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) definierte diese Fälle als „akute Hepatitis unbekannten Ursprungs“ (Acute Hepatitis of Unknown Origin, AHUO). Auffällig war der Ausschluss bekannter Hepatitisviren (A bis E) sowie das Fehlen anderer klarer Auslöser wie Medikamente oder Umweltgifte.
Während einige Studien in Großbritannien und den USA einen Zusammenhang mit Adeno-assoziierten Viren (AAV2) und einer CD4⁺-T-Zell-vermittelten Immunreaktion vermuteten, blieb diese Erklärung nicht in allen Ländern stichhaltig. In Deutschland und anderen Ländern ließ sich diese virale Beteiligung nicht durchgängig nachweisen.
Die neue Studie: Immune Signaturen und virale Spuren im Fokus
Ein internationales Forschungsteam um Prof. Dr. Bertram Bengsch (Universitätsklinikum Freiburg) und Dr. Georg Friedrich Vogel (Medizinische Universität Innsbruck) untersuchte nun Leberbiopsien von zwölf betroffenen Kindern im Zeitraum von Februar bis Dezember 2022. Mittels räumlicher Einzelzellanalyse und Imaging Mass Cytometry konnten sie ein komplexes Bild der Immunzellverteilung im entzündeten Lebergewebe rekonstruieren.
Auffällig war eine starke Infiltration durch CD8⁺-T-Zellen – besonders bei jenen Kindern, die schwerer betroffen waren. Diese Zellen traten in enger Nachbarschaft zu myeloiden Immunzellen und CX3CR1-positiven Endothelzellen auf. Diese Konstellation, die als „pathogenes zelluläres Triumvirat“ beschrieben wird, könnte ein Schlüsselfaktor für die Entwicklung der schweren Hepatitis sein.
Noch brisanter: In elf der zwölf Leberproben konnten mittels verschiedener Methoden SARS-CoV-2-Antigene in ACE2-exprimierenden Zellen – dem bekannten Eintrittspunkt des Virus – nachgewiesen werden. Alle Kinder waren zum Zeitpunkt der Untersuchung PCR-negativ, zeigten aber mehrheitlich serologische Hinweise auf eine frühere SARS-CoV-2-Infektion.
Mögliche COVID-Spätfolge mit klinischer Relevanz
Die Forscher:innen interpretieren diese Befunde als Hinweis auf eine immunvermittelte Spätfolge einer überstandenen COVID-19-Erkrankung. Diese postakute Manifestation (PASC – Post-Acute Sequelae of SARS-CoV-2 infection) könnte demnach auch die Leber betreffen – ein bislang wenig beachtetes Organ in der Diskussion um Long COVID bei Kindern.
Bezeichnend: Zehn der zwölf Kinder wurden erfolgreich mit Kortikosteroiden behandelt, keiner benötigte eine Lebertransplantation. Dies unterstreicht die mögliche Relevanz einer frühzeitigen immunmodulatorischen Therapie bei entsprechender Verdachtsdiagnose.
Empfehlungen und Ausblick
Die Autor:innen der Studie raten dazu, bei unklarer akuter Hepatitis im Kindesalter künftig systematisch auch auf eine überstandene SARS-CoV-2-Infektion zu testen – selbst wenn aktuelle PCR-Tests negativ ausfallen. Die Erkenntnisse könnten nicht nur neue diagnostische Pfade eröffnen, sondern auch therapeutische Konsequenzen haben.
Die Studie wurde unter dem Titel “Characteristic immune cell interactions in livers of children with acute hepatitis revealed by spatial single-cell analysis identify a possible postacute sequel of COVID-19” im Fachjournal Gut veröffentlicht (doi:10.1136/gutjnl-2024-333880).
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