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Argentinien lehrt, wie „linke Schuldenpolitik“ und „rechte Sparpolitik“ dasselbe erreichen können: Den Ruin einer Ökonomie

DMZ –  POLITIK ¦ Dirk Specht ¦              

KOMMENTAR

 

Argentinien ist von konservativen „Sparern“ über eher so etwas wie verwirrt wirkende „Libertäre“ bis zu allem möglichen streng rechts zu Verortenden derzeit ein Land, von dem alle „linken“ Befürworter einer „Staatswirtschaft“ endlich lernen können, wie man es richtig macht. Das wird durch eine oft schon grotesk wirkende gemeinsame Verehrung von Javier Milei als Inkarnation des dringend wieder notwendigen „Kapitalismus“ und der Wiedererlangung der „Freiheit“ zum Ausdruck gebracht. Dieser Milei wird nun auf seiner Europa-Reise von allen möglichen merkwürdigen Gruppen öffentlich gefeiert, in Deutschland unter anderem durch die den Namen okkupierende Hayek-Gesellschaft, die bitte niemand mit der Hayek-Stiftung oder gar mit Hayek selbst verwechseln sollte.

 

Schaut man sich die Lage Argentiniens an, so ist es zweifellos richtig, dass Milei ein Land übernommen hat, das durch Korruption und Misswirtschaft in dessen letzter Phase mittels „Gelddrucken“ in eine Inflationsspirale geraten ist. Das erzeugt die typischen Folgen: Der Staat läuft in die externe Pleite gegenüber internationalen Gläubigern, die Ökonomie geht zugrunde, die Menschen verarmen, die Währung kollabiert, Preise eskalieren schneller als Löhne. Da ist also alles passiert, was wir über „linke Staatswirtschaft“ mit „Schulden für Konsum“ so lesen. Milei will dagegen den „Kapitalismus“ wieder „entfachen“, hat eine „Rosskur“ mittels einer Kettensäge angekündigt – und die kriegt das Land nun auch. Gemessen wird er von seinen Fans ausschließlich an dem, was die angeblich so zentral finden, um den Erfolg eines Staats und dessen Führung zu bewerten: Der Staat legt einen Überschuss vor, er reduziert seine Schulden und die Inflation sinkt. Toll!

 

Tatsächlich passiert etwas ganz anderes: Die wirtschaftliche Aktivität fällt auf das Niveau von 2019 zurück, das Land geht in eine Rezession, alle Konsumbereiche sind rückläufig, besonders kritisch sind die ebenfalls einbrechenden Investition, einzelne Sektoren fallen sogar auf das Niveau der Corona-Krise. Der Agrar-Sektor ist der einzige, der zulegt, wobei der durch die Abwertung der Währung, die Milei gewollt durchführte, profitiert. Dadurch steigen die Exporte, während zugleich aufgrund des Einbruchs aller anderen Sektoren die Importe noch mehr zulegen. Das Land tauscht landwirtschaftliche Produkte gegen industrielle Waren – und das funktioniert sogar nur durch diese Abwertung. Milei will aber noch mehr, denn die Währung, sein einziges momentan den kompletten Kollaps verhinderndes Instrument, will er durch den Dollar ersetzen.

 

Daher spielt das, was man „Kapital“ nennt, bereits komplett verrückt. Der private Kredit in der eigenen Währung bricht zusammen, der – vom Volumen sehr kleine – Auslandskredit eskaliert. Die Auslandsverschuldung, die bereits für den Staatssektor problematisch war, sickert nun also auch noch in den Privatsektor. Die Bedeutung des Dollars eskaliert, das Vertrauen in die eigene Währung erinnert an die DDR-Mark, denn der offizielle Währungskurs zum Dollar ist eine virtuelle Größe, die realen Umtauschkurse brechen weg. Das heißt klar ausgedrückt: Der Plan, den Dollar mittelfristig als Währung zu etablieren, ist komplett außer Kontrolle. Was bisher durch Inflation passierte, versteckt sich nun in gelogenen Wechselkursen und die Auslandsverschuldung in Dollar wächst zugleich einfach weiter.

 

Da ist genau gar nichts auf dem Weg der Besserung, im Gegenteil kommt nun eine Rezession hinzu und die angeblich so positiven Haushalts- sowie Inflationsdaten führen zu genau denselben kritischen Symptomen bei ganz anderen Daten. Man tauscht schlicht national eskalierende Preise in der eigenen Währung gegen eine dramatische Degression des Außenwerts der Währung bei wachsender Abhängigkeit zum Dollar. Mit „Kapitalismus“ hat das gar nichts zu tun, denn das Kapital wird in der Gesamtökonomie immer knapper, während alleine der Staatshaushalt und die definitorisch so festgelegte Inflation sich verbessern.

 

Das geht auch auf dem Papier mit so einseitig verkürzter Messung von den angeblich wichtigen Daten nicht lange gut. Die Folgen sind aber längst real und zeigen, wie verlogen diese angeblichen „Spar“- und Inflationserfolge sind: Die realen Einkommen der Argentinier sind nämlich im freien Fall. Die erodieren seit 2017 durch die Inflation, der die Lohnzuwächse nicht folgen konnten. Nun aber fallen die viel stärker als die Inflation zurück kommt, für deren Rückgang Milei sich feiern lässt. Dabei fallen die unregulierten Löhne aus den einfachsten Arbeitsverhältnissen ins Nichts. Diejenigen, die ohnehin kaum ein auskömmliches Einkommen haben, sind real gerade mal auf 40% des Niveaus von 2017!

 

Aber angeblich funktioniert Kapitalismus dann am besten, wenn zuerst mal gespart wird und alle ärmer werden, wobei die ärmsten unbedingt noch ärmer werden müssen. Das würde nicht mal ein standfester neoliberaler US-Ökonom aus den 70ern so sehen. Diese Daten sind ein Zerrbild von „Kapitalismus“, das ist eine reale Beschleunigung des Abstiegs. Man kann nur hoffen, dass der IWF, der die Sanierungsprogramme bereits mit der Vorgängerregierung einleitete, Milei daran hindern kann, das Land komplett in den Boden zu fahren.

 

Richtig ist, dass Argentinien vor gut 100 Jahren die sechstgrößte Volkswirtschaft der Erde war. Seitdem lernen wir von dem Land, wie „linke Staatswirtschaft“ einen Staatsbankrott, mit hoher Inflation als Schlusschor erzeugen kann. Jetzt lernen wir, wie eine „rechte Sparwirtschaft“ dem Kapitalismus das Kapital entzieht, um mit einer Deflation den Staatsbankrott herbei zu führen.

 

Daraus kann man schon etwas lernen. Richtig ist davon nämlich nichts. Leider wurden und werden dabei stets die Rezepte mehrheitlich gewählt, unter denen die jeweiligen Wähler dann sogleich als erste leiden. Vor allem wäre also zu lernen, dass extreme Richtungen extrem schlechte Ergebnisse erzeugen und zwar sogar genau dieselben. Das gilt auch, wenn man sich irgendwelche singulären Zahlen heraussucht, die angeblich viel besser laufen und auf die es ganz maßgeblich ankomme.

 

In einer erfolgreichen Ökonomie wachsen Schulden, wirtschaftliche Aktivität, Preise und Einkommen in einer Balance miteinander und die Vermögen dadurch am stärksten. In keiner erfolgreichen Ökonomie sinkt einer dieser Werte, während ein anderer steigen kann. Gegenläufige Korrekturen sind nur kurzfristig zu beobachten und bereits ein Störfall. Die Idee, man könne dauerhaft irgendwas davon sinken lassen, damit dauerhaft irgendwas anders wachse, ist kompletter Schwachsinn!

 

Neben den Charts zu den oben erläuterten Effekten hier noch ein lesenswerter FAZ-Beitrag zu Mileis Europa-Reise und der Hayek-Gesellschaft.


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Kommentare: 1
  • #1

    Phil (Sonntag, 23 Juni 2024 05:28)

    Das Problem Argentiniens ist nicht ganz so einfach mit "„linke Staatswirtschaft“ mit „Schulden für Konsum“" abzutun, denn der IWF hat einen gehörigen Anteil an den Problemen Argentiniens.

    https://www.relevante-oekonomik.com/2021/12/26/20-jahre-waehrungsdrama-in-argentinien-ein-trauriges-jubilaeum/