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Die USA sind kein Pleitestaat und ohne Schulden keine Wertschöpfung – ein paar grundsätzliche Gedanken mit konkreter Einordnung

DMZ –  POLITIK ¦ Dirk Specht ¦              

KOMMENTAR

 

Die Amerikaner sind reine Schuldenmacher, alles nur auf Pump, die Staatspleite wird unausweichlich kommen. So und noch viel ähnlicher müssen viele „argumentieren“, denn die Schuldendaten der USA widerlegen jeden, der einen tieferen Sinn und eine heilsame Bedeutung in der Schuldenbremse sieht. Oft wird das von den Amerikanern entwickelte FIAT-Geldsystem dann gleich mit genannt. Mit dem Goldstandard war alles besser, seitdem ist es nur noch eine Frage der Zeit, bis das alles platzt. So kann das nicht weiter gehen, alles steigt immer weiter, Schulden, Steuereinnahmen, Staatshaushalte, Preise – das muss enden. Meist reden dieselben Leute aber davon, die Wirtschaft müsse wachsen und der Kapitalismus wieder frei laufen.

 

Na denn. Das sind mal wieder Exponentialkurven, mit denen die meisten nicht umgehen können. Sie lassen sich von irgendwelchen Vervielfachungen über 20 Jahre beeindrucken und kaufen Gold von den Jongleuren dieser „explodierenden“ Kurven, übrigens mit dem Argument, Gold werde sich genau deshalb vervielfachen. Oder Sie folgen einer Politik, die behauptet, alles Mögliche müsse weniger werden, damit am Ende mehr raus kommt – oder so ähnlich. Was passiert nur, damit man so dermaßen Orientierung und Zusammenhänge verliert?

 

Die Funktionsweise unseres Wirtschaftssystems ist simpel zusammengefasst die Idee, aus Kredit, Kapital, Schulden, Vorleistungen oder wie auch immer man das nennt, durch Arbeitsteiligkeit Wertschöpfungsketten zu organisieren, bei denen aus dem Kredit ein Mehrwert für alle entlang dieser Arbeitsteiligkeit entsteht. Simpel ausgedrückt ist diese Arbeitsteiligkeit wertvoller, ertragreicher, leistungsfähiger, als wenn jeder „sein Ding“ alleine macht, was natürlich ohnehin schon lange nicht mehr geht. Jeder macht das, was er am besten kann und so wirken wir zusammen besser als jeder für sich. Das ist schlicht das Grundprinzip, welches Homo sapiens besser als jede andere Spezies umgesetzt hat.

 

Wenn wir diese Arbeitsteiligkeit mit einem Geldsystem organisieren, ist der Kredit hier der Ausgangspunkt jeder Wertschöpfung. Ohne den geht gar nichts und dieses Gerede, „Schulden“ seien schlecht und müssten weg, je weniger, desto besser, ist schlicht falsch und das schreibe ich nur, weil ich nicht so oft „dumm“ oder „strunzdumm“ schreiben soll. Nun hat es sich gezeigt, dass dieses Geld ein ganz gut funktionierendes Belohnungs- und Bestrafungsinstrument ist, es wirkt also als Anreiz enorm stark. Kann man alles kritisieren, kann man sich anders wünschen, sehr wichtige Diskussion, aber aus dem Fenster werfen muss man das System auch nicht.

 

Wir sollten also darüber reden, wie dieses Belohnungs- und Bestrafungssystem wirkt, was seine erwünschten und unerwünschten Ergebnisse sind. Das hat einiges mit Psychologie zu tun und Verhaltensökonomen haben schon lange gut beschrieben, dass es eine gute Idee ist, alles in Geld gemessene einfach weiter wachsen zu lassen. So nehmen wir einfach jedes Jahr etwas mehr Geld in die Hand, machen Arbeitsteilig idealerweise das, was uns hilft, erhöhen dafür die Preise etwas, so dass wir alle etwas mehr verdienen und das, was hinten rauskommt, etwas mehr wert ist. Alternativ könnte man übrigens einfach alles einfrieren, von der Geldmenge, über die Preise und Einkommen bis zu den Vermögenswerten. Es muss also nicht alles wachsen, aber das würde voraussetzen, die Menschen müssten sich kollektiv darauf einigen, einfach arbeitsteilig weiter zu machen, ohne am Ende irgendwie mehr zu haben – sei es Einkommen, Vermögen oder was auch immer. Vielleicht auch sogar weniger zu machen, weil wir so viele schädliche Dinge tun.

 

Auch das kann man alles diskutieren, aber wie gesagt: Psychologie. Besser funktioniert es, alles wachsen zu lassen und das Versprechen, für jeden Einsatz gebe es eine Belohnung und die nehme sogar zu, aufrecht zu erhalten. Das ist in Geld gemessen nämlich nicht begrenzt, die Feststellung der Unmöglichkeit von ewigem Wachstum im endlichen Raum trifft auf das, was wir Wirtschaftswachstum nennen, eben gerade nicht zu. Ich persönlich halte es für eine gute Idee, dieses System mit der virtuell immer größeren Belohnung fortzusetzen, dabei aber viel mehr darüber zu reden, wofür es Belohnungen und Bestrafungen gibt. Insbesondere gilt es, die Entkopplung von wirtschaftlicher Aktivität und Ressourcenverbrauch sowie Emissions- und Gifterzeugung fortzusetzen, also so etwas wie eine Kreislaufwirtschaft zu erreichen, die nämlich in der ökonomischen Definition durchaus unbegrenzt wachsen kann. Deshalb finde ich Degrowth weniger vielversprechend und definitiv ist die eine oder andere Begründung dieser Idee sachlich falsch – wir können alles in Geld gerechnete beliebig weiter wachsen lassen.

 

Das funktioniert aber nur, wenn die andere Seite, ausgerechnet die ganz großen Feinde von Degrowth nämlich, endlich akzeptiert, dass die Sache mit dem Wachstum schlicht ein synchroner Wachstumsprozess mehrerer Größen ist, dass der exponentiell verläuft und dass die Idee, da könne irgendwas schrumpfen, während etwas anders wächst, einfach nur Blödsinn ist. Teil dieses Blödsinns ist es, sich darüber aufzuregen, dass irgendwas gerade mal wieder neue Höchstwerte erreicht hat und im Vergleich zu den Zeiten Otto von Bismarcks ja so ganz fürchterlich viel größer aussieht. Genau deshalb ist es auch gut, dass der Goldstandard weg ist, denn es ist eben kein Vorteil, die Geldmenge durch einen Parameter zu begrenzen, der willkürlich ist. Wir brauchen Kredite, wir brauchen Kreditwachstum, wir müssen darauf achten, dass sehr viele verschiedene Wachstumsraten in Balance bleiben und wir brauchen dafür zweifellos intelligente Steuerungsmechanismen. Der Goldstandard war keines, die vorliegende Schuldenbremse ist es auch nicht, ersatzlos abschaffen will die deshalb immer noch niemand, sondern reformieren. Darum geht es.

 

Betrachten wir nun dieses synchrone Wachstum mehrerer Größen mal für den Pleitestaat USA, so sieht man, dass deren Schuldenwachstum gerne Leuten, die keine Exponentialkurven beherrschen, unbeherrschbar erscheint. Tatsächlich sind deren Staatsschulden seit Aufgabe des Goldstandards exponentiell gewachsen, seit 1990, ich komme gleich dazu, warum ich das Jahr nenne, sind die Schulden von knapp 7,5 Billionen auf 33,17 Billionen um Faktor 4,4 gestiegen.

 

Nun haben selbst Fans der Schuldenbremse akzeptiert, dass man die Höhe der Schulden an irgendetwas anderem orientieren muss, um sie zu bewerten. Hindert viele trotzdem nicht, solche exponentiellen Kurven hinzulegen und sich in Kommentaren über Schuldenwahn zu verlieren.

 

Weitgehend akzeptiert ist aber zumindest die in der Schuldenbremse verankerte Orientierung am BIP, die es übrigens keinesfalls nur in Deutschland, sondern weltweit sehr häufig gibt, auch in den USA. Da funktioniert das nur deutlich anders, worüber man ebenfalls streiten kann, tun die Amerikaner selbst, aber dass es dort keine Grenze gibt, ist schlicht falsch. Daher veröffentlichen auch die Amerikaner die am BIP orientierte Schuldenquote.

Hier ist erkennbar, dass die Schulden im genannten Zeitraum von 1990 von 55% des BIP auf 123% gestiegen sind –das ist also Faktor 2,2 gegenüber dem doppelt so hohen Faktor 4,4 bei dem absoluten Schuldenstand. Trotzdem wächst die Schuldenquote, die nach Meinung vieler eigentlich eher stabil sein sollte – oder gar sinken müsse. Ferner sind die „Grenzwerte“ unserer Schuldengrenze inzwischen um das doppelte überschritten, wir halten bekanntlich ungefähr den 90er Stand der USA für „richtig“: 60% nämlich.

 

Nun verschulden sich in einer Volkswirtschaft nicht nur Staaten, sondern auch private Haushalte. Hier kommen in den USA nochmals knapp 17,7 Billionen Schulden hinzu.

 

Meine Herren, das sind also mehr als 50 Billionen in der Summe! Wenn das nicht schon die erreichte Pleite ist. Warum ist dieses Kartenhaus nicht längst zusammengebrochen, das ist doch erkennbar Irrsinn!

 

Bevor man nun aber feststellt, dass die Amerikaner heillos überschuldet sind, lohnt es, vielleicht mal auf die Haben-Seite zu wechseln und zu schauen, was die so an Besitz aufgebaut haben. Das sind nämlich übersichtliche 151,7 Billionen, also das Dreifache der Schulden. Hier sieht das Wachstum zudem ganz anders aus, denn es waren 1990 nur 20,8 Billionen. Das Vermögen hat also um Faktor 7,3 zugelegt.

Der Grund, weshalb ich 1990 gewählt habe, liegt in den letzten Daten, die erst seitdem systematisch erhoben werden. Wer damit herumspielen will, findet die Quellen, alles offizielle Daten von Regierungsorganisationen, hier:

Fassen wir also zusammen: Schulden wachsen im Vergleichszeitraum um Faktor 4,4, gemessen an der Wirtschaftsleistung um 2,2 und parallel wachsen die Vermögen um Faktor 7,3. Sieht das nach einer Pleite aus? Nach Geldvernichtung? Wissen die nicht, was sie tun?

 

Schauen wir noch ein paar Daten an, nämlich auf die Spitze der Unternehmenslandschaft. Daten über die Verschuldung der Unternehmen habe ich bewusst nicht zusammengeführt, denn das führt meist zu komplett invaliden Überlegungen. Bei Unternehmen ist die Verschuldung sehr komplex, manche führen eine recht hohe, andere eine niedrige Verschuldung, das ist enorm unterschiedlich und da die Finanzchefs sehr genau wissen, was sie tun, darf man daraus lernen: Es gibt nämlich schlicht keine simple Gleichung für die Bewertung von angemessenen versus unangemessenen Schulden. So etwas wie eine allgemeine Schuldenquote gemessen am Gewinn, Umsatz oder was auch immer existiert im Unternehmenssektor nicht. Hier gibt es hingegen Hunderttausende Analysten, Banker, Investoren, die sich jedes einzelne Unternehmen sehr genau anschauen, um zu bewerten, welche Kredite man dem geben kann, ob die Bilanz nun stabil ist oder nicht. Aber bei noch komplexeren Gebilden wie Staaten, da glauben wir, es sei über einen simplen Dreisatz möglich?

 

Das Ergebnis der Kreditbewertung von Unternehmen kann man am allereinfachsten daran messen, was für das Unternehmen nach Berücksichtigung seiner Schulden, Vermögenswerte, laufenden Geschäfte und Erwartungswerte bezahlt wird. Das ist die Börsenkapitalisierung, also das, was viele Tausend überwiegend sehr professionell tätige Menschen täglich für einen Anteil an dem Unternehmen bezahlen. Das sieht für die Amerikaner richtig gut aus. Diese Werte sind natürlich in dem oben ausgewiesenen Privatvermögen enthalten bzw. ein Grund für dessen Wachstum. Dennoch lohnt es, das ein wenig genauer zu würdigen, denn die Erfolge in der Wirtschaft selbst sind durch das BIP kaum angemessen dargestellt.

 

Von weltweit über 8.500 an Börsen gehandelten Unternehmen sind unter den 25 größten nicht weniger als 19 aus den USA. Das ist also ein Anteil von mehr als drei Viertel. Rechnet man die Wertanteile aus, so sind es sogar fast 85% Anteil ganz alleine bei diesen US-Unternehmen. Aus Europa, dem bis vor wenigen Jahren immerhin größten Wirtschaftsraum der Erde, kommen hier nur ganze drei Unternehmen mit zudem leider in dem Vergleich vollkommen irrelevanten Werten.

Das wird durch einen zweiten Vergleich noch deutlicher, denn die 25 größten US-Unternehmen kommen auf einen Wert von 55 Billionen. Alleine das entspricht mehr als der gesamten Schuldenlast der Volkswirtschaft!

Der Vergleich zu Europa sieht nicht so gut aus, hier reden wir von 12 Billionen, also 4,5 fach weniger und das entspricht leider bei weitem nicht den Schulden, denn alleine die Staatsschulden liegen bei ca. 14 Billionen. Diese Vergleiche sehen übrigens im Trend erschütternd aus, denn wer glaubt, das sei eine Momentaufnahme oder gar der gerade für alles verantwortlichen Regierung in Berlin zuzuordnen, der sei enttäuscht: Diese Trends laufen seit mehr als 20 Jahren immer weiter auseinander und es spricht alles dafür, dass diese Tabellen bereits in einem Quartal noch weiter auseinander sein werden und auch danach stetig weitere „Höchststände“ erreichen.

Was lässt sich daraus ableiten und was nicht. Natürlich ist das keine tiefe Analyse oder ein ausreichender Vergleich der USA mit den Volkswirtschaften Europas. Die Bewertung von Unternehmen an den US-Kapitalmärkten ist schon immer höher, aber auch das läuft weiter auseinander. Es gibt in den USA vor allem viel mehr Unternehmen an der Börse als in Europa. Daher sind Vergleiche von vollständigen Börsenindices oft falsch, da man in den USA damit den relevanten Teil der Unternehmen erfasst, in Europa nur einen kleineren.

 

Genau deshalb habe ich mich hier auf die größten bezogen, die kann man nämlich sehr wohl vergleichen. Große Aussagekraft hat das wegen des globalen Trends einer immer dominanteren Rolle führender Unternehmen, die zunehmend die Wertschöpfung in ganzen Branchen oder auch Regionen bestimmen. Es ist sicher so, dass insbesondere eine Wirtschaft wir die Deutschlands, deren Stärke der breite Mittelstand ist, hier zu wenig Berücksichtigung findet. Zugleich werden aber Unternehmen, die in diesen Größenordnungen nicht auftauchen, zunehmend zu reinen Zulieferern von eben den hier genannten. Ganz ohne „Global Player“ kommt Europa also in der „the winner takes it all“ Ökonomie unserer veränderten Weltwirtschaft nicht aus.

 

Das aber sieht leider gar nicht gut aus. Wenn man es nüchtern bewertet, so sind nach dem WK-II mit der IT-, Chip- und letztlich dieses alles kumuliert einer immer noch nicht richtig gefassten Digitalindustrie, derzeit durch KI getrieben, die alles dominierenden Branchen entstanden. Das wird aus vielen Gründen so weiter gehen, denn diese Unternehmen dringen in immer mehr Branchen ein. Aus Europa kommt unter den 25 größten Unternehmen der Welt nur die ASML aus den Niederlanden und die ist in diesem Segment ihrerseits nichts anderes als ein kleinerer Zulieferer. Ansonsten hat Europa einen Pharma-Konzern zu bieten, der wegen Abnehmspritzen kurzfristig in dieses Ranking geraten ist sowie als eigentliches Vorzeigeunternehmen einen Luxusgüterkonzern, der – das ist nicht abwertend gemeint – die Kunst entwickelt hat, aus Schuhen, Handtaschen und Schals ein unfassbar margenträchtiges Geschäft zu machen.

 

Was hier also m.E. zwar nicht methodisch valide untersucht, aber wohl deskriptiv ganz gut beschrieben ist, sollte mehr Beachtung finden, denn diese divergierenden Trends haben Folgen: Die Amerikaner liegen beim BIP pro Kopf, beim Vermögen pro Kopf und so vielen weiteren Parametern immer weiter vorn. Sie sind aus den letzten Krisen stets besser hervor gegangen.

 

Die entscheidende Frage lautet natürlich, welche Ursachen diese Trends haben. Mit diesem kurzen (!!) Text kann keinesfalls angestrebt werden, die vielen zweifellos komplexen Ursachen für diese Trends, die in Europa immer schlechter aussehen und in den USA auf hohem Niveau weiter laufen, herauszufinden. Auch dazu aber ein deskriptiver Ansatz mit ein paar Thesen, denn das hat schon einige leicht erkennbare Gründe.

 

Als die Dotcom-Krise zum Beginn des Jahrtausends Tausende Internet-Unternehmen vernichtete, haben die Europäer den überbewerten Quatsch mit dem Internet gelassen und sich die Digitalisierung „gespart“. Die Amerikaner haben es ausgebaut. Als die Finanzkrise der Ökonomie das Kapital nahm, haben die Amerikaner ihren Kapitaleinsatz gesteigert. Die Europäer versuchen seitdem, ihn zu reduzieren, erneut also zu sparen. In der Corona-Krise war der Unterschied bei den Reaktionsmustern genauso. Jetzt haben wir Inflation, Lieferketten, Energietransformation und Elektrifizierung. Die Amerikaner erhöhen nochmals den Kapitaleinsatz, wollen diese neuen Industrien, bei denen sie zurück liegen, ausbauen. Die Europäer wollen sich das am liebsten mal wieder sparen.

 

Offensichtlich haben die Amerikaner in allen Segmenten – Privathaushalte, Unternehmen, Staat – bereits grundsätzlich eine viel höhere Bereitschaft, den Kapitaleinsatz immer weiter zu steigern, in Krisen weiten sie das noch stärker aus. Die Europäer machen das Gegenteil, vor allem die Deutschland folgenden Staaten, die das in Europa durchsetzen. Der höhere Kapitaleinsatz ist dabei in den USA in allen Bereichen messbar: Volumen der Kapitalmärkte, Finanzierungsbedingungen für Unternehmen und auch Privathaushalte. Es gibt dort überall viel mehr Kredit und der ist auch wesentlich breiter verfügbar. Genau das wird in Europa kritisiert und seit Jahrzehnten behauptet, es werde platzen. Das ist in der Finanzkrise sogar partiell passiert, wobei die sehr spezifische Ursachen insbesondere bei Hebelprodukten auf Kredite als Voraussetzung hatte und bei Lichte betrachtet substanziell in Europa viel schlimmer war.

 

Bisher lässt sich aber klar feststellen, dass die Amerikaner bei ihrem Kapitaleinsatz sehr erfolgreich sind und aus Krisen mit Vorsprung hervorgehen. Das erklärt sich natürlich nicht alleine durch die Quantität des Kapitaleinsatzes, denn die Wirkung von Krediten ist immer noch entscheidender als ihr Volumen. Das wird bei der Reform der Schuldenbremse oft übersehen, es geht nicht um deren Abschaffung, sondern um die Entwicklung von intelligenteren Steuerungsinstrumenten. Dabei sollte der Fokus der Verwendung und der Wirkung von Krediten gelten, nicht so sehr dem Volumen, das für sich alleine schlicht keine größere Aussagekraft hat.

 

Das wird zugegeben sehr schwierig und eine Kreditausweitung alleine kann Europa nicht helfen. Die Kritiker von Schulden, insbesondere Staatsschulden, haben zweifellos Recht, dass es nur mit strukturellen Veränderungen – Bürokratie, Digitalisierung, Effizienz staatlicher Prozesse, Klärung Staats- versus Privatsektor, Allokation der Mittel, Ausgaben versus Investitionen etc. – Erfolge durch eine Kreditausweitung geben kann. Diese korrekten Hinweise dürfen aber nicht dazu führen, die Kreditausweitung an sich zu verweigern, was wohl oft die Intention ist. Wir dürfen in der Debatte an der Stelle also nicht halt machen, sondern sollten über moderne Steuerungsinstrumente von Krediten sprechen, die vor allem deren Wirkung umfassen. Fordert bzw. definiert man Wirkmechanismen, die übrigens mit Maßnahmen zur Erfolgskontrolle, auf Ebene von Staatshaushalten sträflich vernachlässigt, verbunden sind, so wird man sofort bei den oben genannten strukturellen Veränderungen ankommen.

 

Nebenbei: Mein Vorschlag dazu wäre, einen oder mehrere Staatsfonds nach dem Vorbild Norwegens einzuführen, die auf Ebene der Verfassung definiert und professionell von der jeweiligen Regierung getrennt geführt werden. Ich wundere mich oft über Reaktionen, die ich erhalte, denn meine persönliche Vorstellung lautet, die Mittel für staatliche Aktivitäten sehr deutlich auszuweiten und zugleich der schwankenden, oft opportunistischen und schlecht organisierten Politik weit weniger Mittel zur Verfügung zu stellen, als bisher. Wie und von wem da Billionen umverteilt werden, kann kaum jemandem gefallen. Auch das sollten wir abschaffen, denn ich kann nur wiederholen: Die konkrete Wirkung eingesetzter Mittel ist weit wichtiger als deren Volumen. Leider diskutieren aber beide Lager in Politik und Gesellschaft nur über das Volumen. Die einen wollen mehr, was m.E. unstrittig richtig ist, die anderen wollen weniger, was für mich nicht nachvollziehbar ist, eine relevante Diskussion führen aber beide Seiten leider nicht. Die Ursache dafür dürfte in der Politik selbst liegen, denn kein Lager lässt erkennen, dass man wirklich transparente und strikte Regeln für den Umgang mit den Staatsfinanzen haben möchte. Die einen wollen den Deckel höher legen, die anderen behaupten, es funktioniere auch so, aber unter dem Deckel will sich keiner ernsthaften Regeln oder gar einer transparenten Erfolgsmessung unterwerfen.

 

Erwähnenswert sind aus meiner Sicht bei der Frage der Wirksamkeit von finanziellen Ressourcen auch einige grundsätzliche, vielleicht sogar kulturelle Unterschiede. So spielt neben den deutlich höheren verfügbaren Mitteln offensichtlich auch die Innovationskraft der USA eine große Rolle. Vielleicht, aber das würde hier den Rahmen sprengen, wird die durch eine höhere Bereitschaft gefördert, neue Dinge auszuprobieren, Veränderungen zuzulassen und die damit verbundenen Verluste zu akzeptieren. Wenn man sich nämlich in den USA diese Hitlisten der erfolgreichsten Unternehmen über mehrere Dekaden ansieht, fällt auf, dass den großen Erfolgen dort auch so mancher Untergang gegenübersteht. Die Europäer lassen das ungern zu, sie halten es für besser, Veränderungen zu verlangsamen und Bewährtes zu konservieren. Bei Unternehmen, Geschäftsmodellen und technologisch geprägten Entwicklungen halte ich das für einen großen Irrtum. Hier ist nur ein Parameter wirklich erfolgreich: Die Geschwindigkeit einer gewollten und konsequent umgesetzten Transformation, Gas- statt Bremspedal.

 

Dieses kleine Paper beansprucht wie gesagt nicht den Status einer Analyse. Aber ich fürchte, ich habe die Situation trotzdem recht gut beschrieben und einige relevante Punkte adressiert. Damit das jetzt nicht wieder zur Vermutung führt, die USA würden hier als allgemeines Vorbild bezeichnet, so will ich ein paar abschließende Charts zur Einordnung ergänzen, denn: Die Amerikaner als Pleitestaat zu bezeichnen, ist so ziemlich das lächerlichste, was man in unserer Debatte über die Schuldengrenze lesen kann. Klar, auch die können nicht beliebig die Schulden ausweiten, darum geht es aber gar nicht, sondern um deren reale Wirkung. Die war offensichtlich bisher nicht schlecht, nun wird in den Aufbau neuer Industrien investiert, Chips-Act und IRA heißen die Instrumente. Das kann scheitern, dann sind diese Schulden auch schlecht verwendet, vielleicht führt es sogar zu Jahren der Reduzierung, das hatte zuletzt Clinton übrigens erfolgreich gemacht, auch das geht dort also. Bisher hat es aber stets gut funktioniert, die setzen ihre Mittel überwiegend profitabel ein, wenn es schief geht, wie bei der Finanzkrise wird es repariert, typischerweise mit noch mehr Mitteln. Es sieht nicht so aus, als ob das mit den neuen Industrien eine schlechte Idee und rausgeworfenes Geld sei. Die Idee der Europäer, gar kein Geld in die Hand zu nehmen, hat diese Gefahr nicht, dafür umso mehr ganz andere, nämlich Rückstand, Stillstand, Stagnation.

 

Was für die USA hingegen viel riskanter wird, ist deren eklatantes Problem mit der Verteilung ihrer Erfolge innerhalb der eigenen Gesellschaft. Die politischen Folgen sind bereits sichtbar und das kann irgendwann auch deren ökonomischen Erfolg treffen. Wünschenswert ist so etwas unabhängig davon nicht, kein Europäer mit einer Restverbundenheit zu europäischen Werten kann sich dergleichen wünschen. Aber auch hier darf man genauer hinsehen, denn da sind die Europäer sind bei der Ressourcenverteilung besser aufgestellt, aber wirklich gut sieht das ganz woanders aus: Die Asiaten machen das nämlich ziemlich gut.

 

Auch hier kann nur sehr kurz erwähnt werden, was alleine diese tiefe Verteilungsdebatte an Facetten liefert. So gab es in den USA bekanntlich eine Denkrichtung, die sich verkürzt als neoliberal bezeichnen lässt, die in eben dieser Ungleichheit, in dieser besonders asymmetrischen Ressourcenverteilung gar die Ursache für die Erfolge gesehen hat. Mit „Trickle Down“ wurde immerhin versprochen, dass aus dieser Ungleichheit größere Vorteile für alle erzeugt werden. In den USA spielt diese Denkrichtung zumindest auf Ebene der Wissenschaft keine Rolle mehr, die Politik besetzt diese Narrative weiter, das ist wohl überall so, was man Wählern mal verkaufen konnte, hält man so lange wie möglich im eigenen Schaufenster.

 

Tatsächlich denken die denkenden Amerikaner zunehmend darüber nach, wie man diese Ungleichheit verändern kann und dabei spielt die Frage, ob das gar den Treiber für die eigenen Erfolge gefährdet, keine relevante Rolle mehr. Der IRA und übrigens auch „America first“ sind durchaus Antworten auf diese Frage. Es ist daher bedauerlich, dass in Europa nun Stimmen laut werden, die sich genau in die andere Richtung bewegen. Hier wird ernsthaft diskutiert, man müsse (noch) mehr Ungleichheit zulassen, um erfolgreicher zu werden. Am besten auch noch durch Kürzung des allgemeinen Kapitaleinsatzes. Das lassen wir besser mal bleiben, sonst gefährden wir auch noch, was Europa besser gemacht hat und gewinnen daraus gewiss rein gar nichts.

Ein weiterer Kritikpunkt am Modell der US-Volkswirtschaft sei hier nur anhand der CO2-Emissionen pro Kopf kurz angedeutet, das lässt sich in weit mehr solcher Daten finden. Der Raubbau der Amerikaner am Planeten ist exzessiv. Auch hier stehen die Europäer besser da. Aber erneut gilt es, genauer hinzusehen, denn kumulativ ist Europa der führende CO2-Sünder. Auf China blicken gerne alle, das ist temporär auch berechtigt, aber eben noch nicht lange und deren Trends sehen viel besser aus, als diese leider etwas älteren Daten ausdrücken.

Immerhin zeigt das letzte Chart, dass die Entkopplung von Wirtschaftsaktivität und CO2 schon sehr lange und stabil läuft. Mit den neuen Technologien wird sich das beschleunigen, denn deren wirtschaftliche Attraktivität wird gerade erst erkannt.

 

Das aber nur als Exkurs zum Schluss, denn es gilt zu differenzieren zwischen den Erfolgsfaktoren für das US-Modell und deren Gesamtmodell. So, wie ich hier auch immer wieder auf die Erfolgsfaktoren des chinesischen Modells hinweise. Es macht jeden Sinn, sich diese Faktoren anzusehen, daraus zu lernen und sie für Europa zu nutzen.

 

 

Ein Vorschlag, deren Gesamtmodell nachzubilden, ist das keineswegs! 


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