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Diese Wahl wurde vor allem nur eines: Verloren

DMZ –  POLITIK ¦ Dirk Specht ¦              

KOMMENTAR

 

Es war wohl selten so einfach, gegen eine Regierung Wahlkampf zu machen. Die Zufriedenheitswerte sind im freien Fall und die wichtigsten Themen hat man ihr genommen. Der Klimawandel wurde – nicht nachvollziehbar – erfolgreich diskreditiert, Krieg und Migration sind – nachvollziehbar – auf der Agenda nach oben gelangt, die Ampel hat keine „vermarktbaren“ Antworten darauf, sie hat ja nicht mal gemeinsame dazu.

 

Die stärkste und auch im gesamten Spektrum relevanteste Partei, die Union, entscheidet sich, einen Wahlkampf gegen die klassischen politischen Gegner zu machen. Ein energischer Kampf zur Halbierung der AfD, was mal als Ziel genannt wurde, ist nicht erkennbar. Das Ergebnis ist nicht zu leugnen, die Daten sind eindeutig und da gibt es auch keinen Interpretationsspielraum: Die Ampel verliert zweistellig, die Union gewinnt davon fast nichts, der Erdrutsch landet insbesondere bei der AfD, die Ernte dort wäre ohne das BSW noch höher gewesen.

 

Die Wählerwanderungen zeigen, dass diese Gesamtbilanz etwas differenzierter zu bewerten ist. Die Union hat nämlich stärker, als das Gesamtergebnis es ausdrückt, von dem Wahlkampf profitiert. Der hat insofern sogar funktioniert und man darf vermuten, dass hier alte Wahlkampf- und Politikstrategien genutzt wurden, die für diesen Teilbereich auch erfolgreich waren. Das „kleine“ Problem: Die Union hat auf der anderen Seite fast genauso viele Stimmen verloren – an die AfD und ins Lager der Nichtwähler. Bei den Ampel-Parteien gingen die Verluste primär zur Union und zu Nichtwählern, seitens der SPD sowie der FDP auch direkt an AfD/BSW.

 

Genau davor hatten genug Experten die etablierten Parteien, vor allem aber die hier den stärksten Hebel besitzende Union ausdrücklich gewarnt. Dieses Desaster passiert ja nicht das erste Mal und es ist auch nicht so schwierig, es bereits vorher zu erkennen. Eine Regierung, die bereits in sich mehr streitet, als klare Antworten zu geben, eine auch deshalb besonders starke Opposition, der nichts besseres einfällt als diesen Streit für eine klassische Strategie zu nutzen. So verschieben alle Parteien, mit der Union als stärkste Kraft, das Spektrum gewaltig in Richtung extremer Parteien, deren Anteil nicht nur auf die AfD zu begrenzen ist und die alle über inakzeptable „Kontakte“ nach Russland verfügen. So viel zum Agendapunkt Nummer 1.

Die etablierten Parteien wirken trotz dieses gemeinsamen Desasters fast schon hirntot, da sie ihre klassische politische Strategie nun schlicht fortsetzen. Wie nach jeder Wahl findet sich ein selbst erklärter Sieger, was man im Fall der Union nun wirklich nicht nachvollziehen kann. Der Unionspolitiker Bosbach hat dazu eine unfassbare Rechnung aufgestellt, in der er die Gesamtverluste des demokratischen Spektrums an die AfD zum Erfolg der Union deklariert.

 

Eine Antwort auf meine Rückfrage (siehe Chart) wird es nicht geben. Nun fordern erste Stimmen aus der Union Neuwahlen. Was soll denn das Ziel in dieser Situation sein? Eine Wiederholung des Desasters für die Struktur des Bundestags? Die nächste Dreierkoalition mit noch lauterem Gegenchor der Extremen? Oder rechnet da jemand mit einer Fortsetzung der „GroKo“, um schnell Kanzler zu werden?

 

Wir haben inzwischen so eine deutliche Verschiebung, dass von einer „GroKo“ ohnehin keine Rede mehr sein kann, weil selbst die keine sichere Mehrheit hat. In Ostdeutschland ohnehin nicht. Gute Ergebnisse haben diese Konstellation zudem nie gebracht. Mit dieser SPD kann das nicht besser werden. Eine Kanzlerpartei, die in einer Krise von der Aufarbeitung ihrer Ost-Politik über ihre Gasconnections bis zu Fragen der Migration und inneren Sicherheit mit sich selbst schon so viel zu tun hat, dass man Antworten fürs Land nicht erwarten darf. Geführt von einem Kanzler, dessen Führungsstil intern sogar oft autoritär genannt wird, der es nach außen aber primär bevorzugt, von seiner Führungsaufgabe nichts erkennen zu lassen. Das wäre in ruhigen Zeiten schon weniger als die früher beliebte ruhige Hand, in so einer Multikrise wird das mit welchem erwarteten Ergebnis so ganz genau gemacht?

 

Wer nun in Wahlen geht, gar jetzt Neuwahlen verlangt, muss sich fragen lassen, welche Regierungskonstellation er anstrebt. Für eine GroKo wird es knapp, Schwarz-Grün wäre lange eine mögliche Option gewesen, aber ist die noch realistisch? Nachdem man sich auf Anti-Grün noch mehr als auf Anti-Ampel fokussierte und die Grünen nun so geschwächt hat. Nachdem fast alle sich an Desinformations- bis zu Lügenkampagnen beteiligt haben, um den Grünen ihre Kernaufgabe, den Klimawandel, gar eine ökologische Transformation der Wirtschaft, zu vergiften. Was die Grünen übrigens zu spät erkannt und wohl unterschätzt haben.

 

Gegenangriffe kamen zu spät, man wollte den Ampel-Streit nicht weiter eskalieren. Bei den so im Schaufenster nun stehenden Kernthemen war es dann ebenso unklug, den einen oder anderen „Altfundi“ nicht von der Bühne zu holen. Ein Wahlvolk mit Angst vor Krieg, Migration und um das liebe Geld hat vorsichtig formuliert eine geringe Aufnahmefähigkeit für diverse Ideen einer besseren Welt, die man klugerweise in besseren Zeiten auflegt. Es ehrt die Grünen, nicht den opportunistischen bis zu verlogenen Themenwechseln anderer zu folgen, aber das Recht, manche Dinge eine Weile einfach gar nicht zu sagen, darf man gelegentlich nutzen.

 

War da noch was? Ach richtig, die FDP ist gewissermaßen übrig geblieben. Auch das war nicht klar, den Fünfer haben sie dann doch noch mal genommen. Der besteht aber aus einem Zweieinhalber mit Sehnsucht nach einer liberalen Partei, die bei denen noch nicht verstorben ist und dem anderen Zweieinhalber, der in vielen Fragen gerne AfD-Ziele verfolgen würde, sich aber doch (noch) an Methodik und so ein paar komplett kranken Ideen wie einem Austritt aus der EU stört.

 

Man kann nur hoffen, dass die Denkmuster alter politischer Strategien, Kommunikation und Wahltaktik nun geschreddert werden. Dass der gemeinsame politische Gegner, die extrem rechte und linke, die man nicht mal so einordnen kann, die zu einer methodischen Konvergenz finden und das übrigens auch recht offen anstreben, dass man sich gegen diese gemeinsam positioniert. Die dafür erforderliche Lernkurve dürfte leider erheblich sein, denn Politik glaubte bisher, durch Abgrenzung und Gegnerschaft funktionieren zu müssen, so etwas wie Gemeinsamkeiten galten als politisches Kassengift.

 

Das geht so aber nicht. Jede dieser Parteien hat ihre starken Kernthemen, wenn es mal wieder so etwas wie eine klar liberale wäre, zählte die FDP dazu. Jedes dieser Kernthemen hat seine Berechtigung und Bedeutung in der politischen Landschaft. Es ist auch vollkommen in Ordnung, dass es zu wechselnden Koalitionen kommt, die zu einer unterschiedlichen Gewichtung der Kernthemen in der jeweiligen Regierung führen. Der Politikstil muss sich aber grundsätzlich ändern. Man darf die Kernthemen der jeweils anderen respektieren, viel stärker für die eigenen Themen und Lösungen werben und sich gemeinsam von denen klar abgrenzen, die außer dystopischen Emotionen und destruktiven Handlungskonzepten nichts zu bieten haben, die zudem aus dem Bereich demokratischer Grundwerte ausgetreten sind.

 

Politik muss für eigene Lösungen werben, Respekt vor anderen Lösungen erlauben und die große Energie des Anti-Kurses dahin richten, wo sie hingehört: Extreme sind keine Option und demokratische Grundwerte sind keine Verhandlungssache. Darüber muss man insbesondere nicht reden und das muss auch nicht endlich mal gesagt werden. Noch haben wir eine überwältigende Mehrheit, die das so sieht. Die darf sich nicht weiter verschieben.

 

Kleiner Exkurs zum Schluss: Mit der gewaltigen Manipulationskraft der Sozialen Medien dürfen die Parteien sich auch mal intensiver beschäftigen und hier das Feld nicht von russischen Organisationen bis zur Technologie unterstützten Parteien überlassen, die systematisch Profile von ihren Politikern bespielen, ergänzt durch Armeen von Trollen und immer mehr automatisierten Bots, um professionell gestaltete Wellen an Lügen und Desinformation in abgeschottete Echokammern auszusenden. Wer sich über das Wahlverhalten junger Menschen wundert und Phänomene wie TikTok nicht kennt, wird nie begreifen, was da passiert. Auch das muss auf die Agenda – aber mehr als dieser Exkurs heute nicht.


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