Die Rede des Börsenchefs Weimar hat eine sehr eigene Bedeutung und einen besonderen Wert

DMZ –  POLITIK ¦ Dirk Specht ¦              

KOMMENTAR

 

Die derzeit oft zitierte und debattierte Rede des ausscheidenden CEOs der Deutschen Börse AG, Dr. Theodor Weimer anlässlich einer Veranstaltung des Wirtschaftsbeirats Bayern kann ich nur sehr empfehlen. Sie ist hörens- und sehenswert, sie bietet Einblicke, die man sonst nur selten bekommt. Auch das Echo in den Medien sowie den Sozialen Medien ist beachtenswert, in allen Echokammern und Denkrichtungen. Man sollte Weimer für diesen Impuls sehr dankbar sein. So sieht er selbst auch seine Rolle, denn er bezeichnet sich als Freund von Klartext. Ein paar Quellen folgen anbei.

 

Den Klartext hat er nicht zum ersten Mal geliefert, aber erstmals so etwas wie „ungeschminkt“. In der Vergangenheit hat er oft mit besser abgestimmten Worten auf die Überregulierung in Europa hingewiesen, von der er als Ex-Banker und Börsenchef natürlich besonders betroffen war. Auch die Folgen, nämlich im Vergleich zu insbesondere den USA viel kleineren Kapitalmärkten, schwächeren Finanzierungsbedingungen für die europäische Wirtschaft, speziell für Start-Ups oder Wachstumsmodelle – all das hat er oft angesprochen. Zurecht. In jüngerer Vergangenheit stellte er nun laut seiner Rede eine weitere Verschlechterung der Situation fest. Deutschland werde global zunehmend als rückständig betrachtet, leide unter seiner Alterung, sei noch bürokratischer als Europa und die aktuelle Regierung gelte als führungslos, entscheidungsschwach, widersprüchlich, gelähmt. Vergleiche mit Japan werden oft angestellt. Das stimmt. Wieder sagt er das zurecht.

 

Nun darf man aber ergänzen, dass er hier zurecht Dinge sagt, die anderweitig auch gesagt werden. Der IWF sagt das. Die EZB sagt das. Die EU-Kommission sagt das. Die Wirtschaftsinstitute sagen das. Viele sagen das. Oft sogar. Teile dieser Bewertung äußert auch der deutsche Wirtschaftsminister gelegentlich. Den macht er dafür herausragend verantwortlich. Nicht den Kanzler. Nicht den Finanzminister. Kennt Weimer die Funktionsweise der Ressorts in Berlin sowie deren Machtverhältnisse? Das darf man annehmen, aber ich will die Frage, warum die Entwicklung des Landes mit der Handlung eines seit Ende 2021 wirkenden Ministers gleich gesetzt wird, nicht vertiefen. Sonst setze ich mich gar der Gefahr aus, ein Grüner zu sein, denn das gilt inzwischen bekanntlich als Ausschlusskriterium für jede inhaltliche Auseinandersetzung. Jeder mag an der Stelle gerne selbst entscheiden, ob die Vorwürfe der Führungslosigkeit und der desolaten Finanzierungsbedingungen hier logisch adressiert wurden. Ebenso darf man sich fragen, ob die Führung der Vorgängerregierungen, deren Nachfolger sich gerade bewerben, das fortzusetzen, hier vielleicht auch erwähnenswert wären.

 

Man hat ja morgen mal wieder eine Wahl zu treffen, daher ist das aktuell keine falsche Überlegung. Da mich Parteipolitik aber kaum noch erreicht und Wahlentscheidungen meine eigene, zugegeben nicht leichter werdende, Aufgabe sind, die ohnehin nur Leser interessiert, die meinen daraus etwas über Inhalte ableiten zu können, möchte ich lieber ein paar Gedanken zur Rede und zur Person äußern.

 

Weimer sagte also oft zurecht Dinge, die anderweitig auch gesagt wurden. Aber hier sagt er erstmals mehr, das tiefer blicken lässt. So nutzt er gut ein Drittel seiner Redezeit zur Klarstellung seiner eigenen Bedeutung. Das macht er nicht einleitend, sondern streut es über die ganze Rede. Seine Stationen, die vielen wichtigen Leute, mit denen er weltweit spricht, mit wem er sich duzt, wer ihn regelmäßig konsultiert. „Name-Dropping“ nennt man das und mit Vornamen vom Olaf, Christian oder Olli wirkt das noch viel besser. Mehr will ich zu der Selbstdarstellung nicht sagen, das mag auch jeder für sich bewerten. Festzustellen ist jedoch: Persönlichkeiten, die diese Bezeichnung verdienen, brauchen das nicht. In einer bayerischen Versammlung der Wirtschaftsprovinz übrigens schon gar nicht. Dass er sich mit seinem 8-Zylinder Dienstwagen komplett selbst diskreditiert, ist insofern anders als in manchen Kommentaren bagatellisiert sehr wohl erwähnenswert.

 

Interessant ist aber, was Weimer selbst – außer Klartext reden – in der Sache als großer Macher, den er hier inszeniert, denn so ganz konkret gemacht hat. Schauen wir mal auf das, was er so anprangert. Innovationen beispielsweise. Welche neuen Technologien, Geschäftsmodelle oder sonstigen Innovationen sind unter seiner Führungsrolle bei der Deutschen Börse feststellbar? Man kann es kurz fassen: Keine. Was war die Strategie der Deutschen Börse? Nun, sie hat eine marktbeherrschende Stellung genutzt, um für technologisch von den Vorgängern Weimars recht gut automatisierte Dienstleistungen immer bessere Preise durchzusetzen. Kann man machen, CEOs werden für so etwas bezahlt – wenn’s gut läuft sogar inklusive Achtzylinder. Keine Kritik. Hat er damit der Aktienkultur in Deutschland genutzt? Wertpapierbesitz erleichtert? Finanzierungsbedingungen für Unternehmen verbessert? Man kann es kurz fassen: Nein.

 

Eine gesonderte Bewertung verdient in dem Zusammenhang die Betrachtung eines besonderen Geldesels der Deutschen Börse, das ist deren Tochter, die Clearstream International S.A. in Luxemburg. Hier wird so gut wie alles an Wertpapiertransaktionen nach dem eigentlichen Handel zentral abgewickelt bzw. verwaltet. Das ist eine technisch triviale Dienstleistung mit monopolartiger Marktposition. Tolles Geschäftsmodell, für einen CEO übrigens nicht so schwierig, daraus Rendite zu generieren. Hat nebenbei bemerkt auch etwas mit dem Schutz durch Regulierung zu tun, aber das war jetzt böse. Erneut jedoch: Zurecht. Schade ist natürlich, dass diese bestens vergütete Dienstleistung technisch immer noch keinen Beitrag geleistet hat, so eine triviale Aufgabe wie die sekundengenaue Klärung, welche Aktie wann wem gehört und wie das mit den Dividenden daher zuzuordnen ist, nicht lösen „konnte“. Richtig, das ist die Basis für Cum-Ex. Ob er mit Olaf mal darüber gesprochen hat, wie man dem den Stecker ziehen könnte, hat er leider nicht in seiner Rede vermerkt.

 

Aber er und sein Unternehmen könnten dazu ganz maßgeblich beitragen – so viel sei klargestellt. Ebenso sei klargestellt, dass andere Börsenbetreiber eine andere Strategie gewählt haben. So wurden diese Dienstleistungen in den USA beispielsweise technologisch immer besser, mit dem Ziel, sie billiger einem zunehmend breiteren Publikum anbieten zu können. Dadurch sind die Preise verfallen, die Menge an Kunden und deren Transaktionen aber massiv gestiegen. Daher ist Wertpapierhandel und Besitz in den USA so einfach und günstig wie der Betrieb einer Waschmaschine und die Börsenunternehmen dort sind trotzdem stärker gewachsen, als die Deutsche Börse.

 

Zur Klarstellung: Weimer ist nicht verantwortlich für die Missstände, die er zurecht kritisiert. Er hätte die auch nicht abstellen können. Ein Beitrag dazu wäre ihm aber möglich gewesen, er hat sich anders entschieden. Ob das für die Deutsche Börse der beste Weg war, haben deren Aufsichtsräte zu entscheiden. Eine besondere Pflicht oder ein Mehrwert, sich diese Art des Klartexts ausgerechnet von dieser Person anzuhören, besteht jedoch nicht. Das hat aber jeder für sich zu entscheiden.

Darüber hinaus lässt Weimer tiefere Einblicke in sein Verständnis von Innovation, der Rolle der Wirtschaft, Demokratie und Gesellschaft zu, die ebenfalls jeder für sich bewerten darf. So bewundert er US-Unternehmer, die behaupten, das Land zu führen. Falls er mit Leuten wie Gates, Jobs, Page, Bezos, Musk etc. mal gesprochen hat und die gar meint: Mag sein, dass die solche Vorstellungen haben. Über deren Persönlichkeit, Demokratieverständnis und einiges mehr wäre gewiss zu reden. Was bei deren Reden aber erkennbar ist: Zeit zur Selbstbeweihräucherung verschwenden die nicht. Die halten sich auch selten mit Klagen auf, die an jeder dafür zuständigen Klagemauer ohnehin schon stehen. Deren Reden sind voller Ideen, Gestaltungskraft und Umsetzungsgedanken. Sofern die mal klagen, was eher selten ist, kommt sofort die Lösung. Bevorzugt wird ohnehin nur darüber gesprochen, besonders gerne über solche Lösungen, die es bisher nicht gibt. Man könnte das innovativ nennen, sehr erfolgreich ist es nachweislich.

 

Muss man alles nicht mögen, gerade als Europäer darf man solche Rollen kritisch sehen, aber vielleicht ist der Unterschied zwischen solchen CEOs und diesem alten Mann (nicht auf das Alter bezogen), der neben seinem 8-Zylinder gleich dieser so wichtigen Technologie hinterher heult und sich entblödet, vom Ruin dieser Industrie durch die deutsche oder europäische Politik zu schwadronieren ein gar nicht so unwichtiger Standortnachteil Deutschlands?

 

Der Wirtschaftsweise Achim Truger schrieb: „Es ist völlig substanzloses Polit-Bashing.“ Genau das ist es, aber leider von einem der mächtigsten CEOs des Landes. Das ist hinzuzufügen. Wie es nun in diversen Foren weiter gedreht wird, ist nicht überraschend, da geht es primär mal wieder ums sogenannte Sagen. Die AfD nutzt es unmittelbar und die FAZ sagt, das sei nicht weiter schlimm, denn bekanntlich müsse man endlich sagen, was zu sagen ist. Was gesagt wurde und angeblich ganz dringend gesagt werden soll, thematisiert die FAZ dabei nicht.

 

Erbärmlich. Der Spiegel bereitet wenigstens den Vorgang selbst auf, das Handelsblatt schreibt so etwas wie ein braves Protokoll. Die Social Media Echokammern hypen die Rede mit dem „Argument“, es sei ja schließlich der Börsen-Chef selbst, der hier endlich mal sage, was gesagt werden soll, weil es ja keiner sagt – außer natürlich eben diesen Foren, die das nahezu jede Stunden sagen, damit es endlich jemand sagt.

 

Was soll man dazu noch sagen?

 

Die Rede auf YouTube: https://www.youtube.com/watch?v=1WVUz3ZV-ys

Der Beitrag des Spiegel: https://www.spiegel.de/wirtschaft/theodor-weimer-boersenchef-haelt-wutrede-zur-freude-der-afd-a-458835b4-306c-472c-bc9b-cc699be449ac

Der Bericht der FAZ: https://www.faz.net/aktuell/wirtschaft/unternehmen/theodor-weimer-boersenchef-auf-betriebstemperatur-19772781.html

Ein für mich erbärmlicher Kommentar in der

FAZ: https://www.faz.net/aktuell/wirtschaft/unternehmen/warum-der-chef-der-boerse-recht-hat-19773000.html?share=Email&premium=0x575095594f59ba7a42cbdd3d0e7a9341e0bfe3f490a29e985fe9257094d8dc69

Der Sachbericht des Handelsblatts: https://www.handelsblatt.com/finanzen/banken-versicherungen/deutsche-boerse-boersen-chef-weimer-kritisiert-regierung-scharf/100043444.html


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