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Straumanns Fokus am Wochenende - Die ganze Wahrheit

DMZ – POLITIK ¦ Dr. Reinhard Straumann ¦

KOMMENTAR

 

«Geschichtsschreibung ist die Summe aller Fälschungen, auf die man sich geeinigt hat.» So – oder ähnlich… – definierte Napoleon die Essenz aller Überlieferungen an die Nachwelt. Wobei, muss man ergänzen, die Einigung jeweils auf Druck desjenigen erfolgte, der am gegebenen Ort zur gegebenen Zeit gerade das Sagen hatte – die Wahrheit der Unterlegenen bleibt in der Regel aussen vor. Auch heute. Zwei Wochen vor Beginn des sogenannten «Friedensgipfels» (mit diesem Wort ist die Geschichtsklitterung bereits erfolgt…) auf dem idyllischen Bürgenstock stellen wir fest, dass die Einseitigkeit der Berichterstattungen über den Krieg in der Ukraine kaum mehr zu toppen ist.

 

Krieg in der Ukraine? Ah, gemeint ist wohl das, was in konsequenter und übereinstimmender Begriffsverwendung in sämtlichen westlichen Medien «russischer Angriffskrieg» genannt wird. Ganz ähnlich, wie beim gegenwärtigen Völkermord an Palästinenserinnen und Palästinensern offiziell und medienmäßig von israelischer «Selbstverteidigung» gesprochen wird, worunter offenbar auch die Tötung von Abertausenden von Kindern fällt. Ob deren Geschichte auch einmal in ein heiliges Buch einfließen wird wie der Kindermord von Bethlehem? Eine ebensolche Begriffsverzerrung erleben wir gegenwärtig in Deutschland, wenn vom politischen Establishment gegen Parteien und Gruppierungen des «Rechtsextremismus» zu Felde gezogen wird. Wie wenn der Gröfaz («der größte Feldherr aller Zeiten») jede Sekunde um die Ecke gucken würde.

 

Natürlich, falsch ist das alles nicht. Russland hat die Ukraine völkerrechtswidrig angegriffen, kein Zweifel. Die Hamas hat am 7. Oktober letzten Jahres unter israelischen Männern, Frauen, Jugendlichen ein entsetzliches Blutbad angerichtet, unbestritten. In der AfD in Deutschland tummeln sich viele zwielichtige Gestalten, denen man nicht zu nahe tritt, wenn man ihnen rechtsextreme Gesinnung unterstellt. Auch das ist wahr.

 

Aber richtig ist das alles trotzdem nicht, weil damit nur ein Teil der Wahrheit abgedeckt ist. Die genannten Begriffe sind keine Beschreibungen für zeitgenössische Phänomene, sondern sind allesamt Kampfbegriffe. Die offiziellen Verlautbarungen der regierenden Parteien und die Sprachregelungen ihres medialen Apparates dienen der Bewusstseinsformung der Öffentlichkeit. Wie mit dem Nürnberger Trichter wird dem Publikum Tropf um Tropf eingegeben, was schliesslich den Schädelknochen aufweichen soll. Bei jeder Nennung eines der genannten Begriffe (und natürlich noch zahlloser anderer) wird immer ein Glaubensbekenntnis und eine Schuldzuweisung gleich mitgeliefert. Unser Medienkonsum ist zum Katechismus geworden. Damit die jeweils andere Seite der Medaille aus der Erinnerung heraus- und dem Vergessen anheimfällt.

 

Es ist deshalb höchste Zeit, ein paar Fakten in Erinnerung zu rufen.

 

Erstens, Ukraine. Die folgenden Dinge sind nebst dem «russischen Angriffskrieg» auch wahr: US-Präsident Bush hat 2008 die Ukraine eingeladen, in ferner Zukunft der NATO beizutreten, eine klare und absichtliche Provokation an Putin. Die USA haben in der Folge 5 Milliarden Dollar ausgegeben, um die ukrainische Regierung zu destabilisieren und die Ukraine ins westliche Lager zu locken. Sie haben die Maidan-Unruhen geschürt und den Sturz der Regierung Janukowitsch herbeigeführt. Dass sich Putin dagegen mit militärischen Mitteln wehren würde (wie weiland Kennedy in der Kuba-Krise), war nicht nur abzusehen, sondern das Ziel der Amis. Denn auf diese Weise gelang es ihnen, die NATO zu reaktivieren, die EU auf ihre Seite zu ziehen und in Sachen Energieversorgung von sich selbst abhängig zu machen.

 

Zweitens, Palästina. Der gegenwärtige Ministerpräsident Netanjahu hat (bereits in seinen früheren Kabinetten) einerseits die Hamas mit Geld aufgebaut, andererseits aber immer wieder von Neuem mit Konflikten provoziert, um eine – vor Jahren noch denkbare – Zweistaatenlösung zu verunmöglichen. Die grossen Öl- und Erdgasvorräte vor der Küste des Gaza-Streifens, die rechtmässig Palästina gehören würden, sind ein handfester Grund für den amerikanisch-israelischen Machtkomplex, das Entstehen eines palästinensischen Staates zu verhindern. Überdies muss Netanjahu gewärtigen, dass ihm verschiedene Rechtsverfahren drohen, nicht nur wegen der zu erwartenden Klage des Internationalen Strafgerichtshofes, sondern auch wegen innerisraelischer Korruptionsverfahren. Netanjahu wird den Krieg am Laufen halten, solange es irgend geht. Solange es noch Palästinenser gibt, denen er das Etikett von Terrorismus anhängen kann. Das heißt nach seiner Einschätzung: allen.

 

Drittens, AfD. Die Verhetzung der Alternative für Deutschland erfolgt nicht, weil sie eine Gefahr für den Rechtsstaat wäre, sondern weil sie eine Gefahr für die politischen Chancen der etablierten Parteien bei den kommenden Wahlen ist (in die Landtage und 2025 in den Bundestag). Deswegen werden Hunderttausende AfD-Wähler verunglimpft, weil sie in dieser Partei den einzig möglichen Notausgang sehen, um der Übersteuerung durch einen Klüngel aus wirtschaftlichen und politischen Eliten entgegenwirken zu können. Dabei bedient sich die gegenwärtige Ampel-Koalition des Apparates des Verfassungsschutzes, um sich einen Wettbewerbsvorteil im politischen Diskurs zu verschaffen. Wenn etwas das deutsche Grundgesetz gefährdet, dann das.

 

Soviel zur Auffrischung des kollektiven Gedächtnisses in drei Themen. Das Zusammenwirken von etablierter Politik und den Medien hat Begriffsregelungen geschaffen, die keineswegs zufällig sind, sondern die mit halben Wahrheiten unser Bewusstsein prägen. Wer sich nicht manipulieren lassen will, sollte die ganze Wahrheit kennen. 

 

 

 

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Seit 2020 können Sie in der „DMZ“ Woche für Woche die Kommentare von Dr. Reinhard Straumann verfolgen. Seine Themen reichen von Corona über amerikanische Außen- und schweizerische Innenpolitik bis hin zur Welt der Medien. Dabei geht Straumann stets über das hinaus, was in den kommerziellen Mainstream-Medien berichtet wird. Er liefert Hintergrundinformationen und bietet neue Einblicke, häufig mit Verweisen auf Literatur und Philosophie.

 

Dr. Reinhard Straumann ist Historiker und verfügt über das nötige Fachwissen. Als Schulleiter an einem kantonalen Gymnasium hat er sich zudem jahrzehntelang für die politische Bildung junger Menschen engagiert. Wir freuen uns, dass Reinhard Straumann regelmäßig zum Wochenende einen festen Platz in der DMZ unter dem Titel „Straumanns Fokus am Wochenende“ hat.

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