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Straumanns Fokus am Wochenende - Näher bei den Menschen

DMZ – POLITIK ¦ Dr. Reinhard Straumann ¦

KOMMENTAR

 

Haben die um ihre Vormacht besorgten Mächte der westlichen Welt ein neues Steckenpferd gefunden? Die Schlagzeilen der letzten Wochen und Tage deuten darauf hin. Alles, was mit Spionage zu tun hat, scheint plötzlich groß in Mode zu sein. Spionageverdacht liefert einen neuen Hebel, mit welchem der Feind – Russland, China, Iran – moralisch diskreditiert werden kann. Was suggeriert werden soll, ist immer dasselbe: Die sind so infam. Die schrecken vor nichts zurück. Unterwanderung findet statt, und wir sind das Opfer. 

 

Lächerlich. Erstens ist Spionage so alt wie die Menschheit, quasi das zweitälteste Gewerbe der Welt, und zweitens gibt es keine Interessensgemeinschaft, keine Industrie und keine Nation, die nicht mit mindestens einem Auge auf die Konkurrenz schielt, um sich Wettbewerbsvorteile aneignen zu können. Beispielsweise wäre der wirtschaftliche Aufschwung der Schweiz im 19. Jahrhundert – um zunächst vor der eigenen Haustür zu kehren –, nicht denkbar ohne die systematische Industriespionage, die Abgesandte unserer Textilindustrie in England betrieben haben. Schamlos kupferten sie die Konstruktionspläne der mechanischen Webstühle ab, die England den Vorsprung auf dem Textilmarkt beschert hatten.

 

Und – man glaubt es kaum – auch auf militärischem Gebiet war die Schweiz nachrichtendienstlich aktiv. Noch immer schütteln wir den Kopf angesichts der Naivität, mit welcher wir 1979 ein grosses Militärmanöver des neutralen und befreundeten Staates Österreich ausspionieren wollten. Ein ehemaliger Oberleutnant der Schweizer Armee namens Kurt Schilling (der im eigenen Auftrag unterwegs gewesen sein will...) spielte James Bond. Leider vertraute er, anders als dieser, seinem Gedächtnis wenig und hielt seine Beobachtungen säuberlich in einem Notizbüchlein fest, das ihn schließlich überführte. Eine helvetische Posse... wenn sie nicht so peinlich wäre.  

 

Heute brennen sich die Spione nicht mehr, wie weiland Mata Hari, mit der Zigarette ein Loch in die Zeitung, hinter der sie sich verstecken, um unauffällig beobachten zu können. Das Zeitalter der Informatik und der Mikrochips hält andere Möglichkeiten bereit. Der Vorwurf steht im Raum, dass China seine Vorreiterrolle in Sachen 5G-Technologie für Spionage nutze. Ob das zutrifft, können wir nicht beurteilen. Ganz sicher ist aber, dass die USA den entsprechenden Verdacht ausspielen, um China vom Markt der 5G-Anbieter zu verdrängen. Die europäische Abhängigkeit von den USA – militärisch und neuerdings auch im Bereich Energie – macht es der Regierung in Washington leicht, von den europäischen Partnern zu verlangen, entsprechende Produkte in den USA zu kaufen und nicht in China. Wer nicht mit Hofknicks spurt, sieht sich massiven Drohgebärden ausgesetzt.   

 

Doch damit nicht genug. Die Beliebtheit der Plattform Tiktok, die (wie die amerikanischen Social media) Unmengen an Daten generiert (“das neue Erdöl”), ist den Amis längst ein Dorn im Auge. Das Repräsentantenhaus hat jetzt Tiktok das Ultimatum angekündigt, es müsse sich von seinem Mutterkonzern Bytedance lösen, ansonsten würde die App aus den Stores von Google und Apple verbannt. Stimmt der Senat zu, tritt das Ultimatum in Kraft.  

 

Die Selbstgerechtigkeit der USA ist nicht nur in diesem Beispiel kaum zu fassen. Man fordert für sich selbst nichts Geringeres als das Weltmonopol in Sachen Nachrichtendiensten. Sammeln die anderen ihre Informationen, so ist das Spionage und entsprechend zu verurteilen, sammelt man selbst, so dient es der gerechten Sache und ist lobenswert. Weshalb bietet man die neueste Generation von Kampfflugzeugen, den F-35, zu Bedingungen an, mit welchen die ausländische Konkurrenz nicht mithalten kann? Damit die potentiellen Käufer, beispielsweise die Schweiz, aufgrund der gegebenen Submissionsgesetze das amerikanische Produkt kaufen müssen. Das ist praktisch. So kann nämlich die Spionagesoftware gleich werkseitig installiert werden. Der große Bruder hört mit. Macht nix, die Infos bleiben ja in der Familie. 

 

Deutschland, wie immer seit die Ampel regiert, springt auf und fährt auf dem Trittbrett mit. Mit viel medialem Lärm werden Spionagevorwürfe in der Öffentlichkeit breit geschlagen, die sämtlich den engeren oder weiteren Umkreis der AfD betreffen. Abgeordnete dieser Partei würden im Solde Moskaus stehen. Ein Mitarbeiter des Spitzenkandidaten für die Europa-Wahl, Maximilian Krah, wird festgenommen. Just zur selben Zeit werden über alle möglichen Fernsehsender Dokumentationen des grössten Spionagefalls ausgestrahlt, den die BRD durchstehen musste: des Falls Guillaume, der damals Willy Brandt zum Rücktritt zwang. Die suggestive Unterstellung ist klar: Wir haben Dich durchschaut. Tritt zurück, Maximilian.

 

Die Unschuldsvermutung, die sonst im ordentlichen Rechtsverfahren gilt, wird außer Kraft gesetzt. Mit Vorwürfen, die an Schwammigkeit nicht zu überbieten sind (“Weitergabe von Informationen aus dem EU-Parlament"), wird Stimmung gemacht. Presseschlagzeilen wirken wie gleichgeschaltet: “Spionage für China? Mitarbeiter von AfD-Spitzenkandidat festgenmmen” (BILD). “Spionage für China? AfD-Mitarbeiter laut Bericht in Dresden festgenommen” (Der Standard). “Krah-Mitarbeiter soll für China spioniert haben” (Die Süddeutsche). “China-Spionage: Mitarbeiter von AfD-Politiker verhaftet” (Kölner Stadt-Anzeiger). “Mitarbeiter von AfD-Spitzenkandidat Krah in Dresden festgenommen” (FOCUS). “AfD: Maximilian Krah-Mitarbeiter soll für China spioniert haben” (Hamburger Abendblatt). Etc., etc. Und der SPIEGEL fasst zusammen: “China-Spionage in Europa: Eine direkte Gefahr für die Demokratie”. 

 

Das hat uns gerade noch gefehlt: dass diejenigen, die mit solch populistischen Anwürfen hetzen, sich als Schützer der Demokratie ausgeben. Man muss kein Freund der AfD sein, um das Ziel solcher Anschuldigungen zu durchschauen: nämlich ihr da und dort ein paar Wählerstimmen abzuzwacken und sie aufgrund ihrer moralischen Verkommenheit als potentielle Regierungspartei zu verunglimpfen.

 

Wir hätten da einen Vorschlag zu Handen der Ampel: Statt populistische Hetze zu betreiben, macht doch einfach eine bessere Politik. Weiter weg von den gefährlichen Alleinstellungsambitionen der USA, dafür näher bei den Bedürfnissen der Menschen. 

 

 

 

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Seit 2020 können Sie in der „DMZ“ Woche für Woche die Kommentare von Dr. Reinhard Straumann verfolgen. Seine Themen reichen von Corona über amerikanische Außen- und schweizerische Innenpolitik bis hin zur Welt der Medien. Dabei geht Straumann stets über das hinaus, was in den kommerziellen Mainstream-Medien berichtet wird. Er liefert Hintergrundinformationen und bietet neue Einblicke, häufig mit Verweisen auf Literatur und Philosophie.

 

Dr. Reinhard Straumann ist Historiker und verfügt über das nötige Fachwissen. Als Schulleiter an einem kantonalen Gymnasium hat er sich zudem jahrzehntelang für die politische Bildung junger Menschen engagiert. Wir freuen uns, dass Reinhard Straumann regelmäßig zum Wochenende einen festen Platz in der DMZ unter dem Titel „Straumanns Fokus am Wochenende“ hat.

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