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Zwischen den Welten: Eine Rückkehr in die Realität oder eine Reise in die Dystopie?

DMZ –  POLITIK ¦ Dirk Specht ¦              

KOMMENTAR

 

Nach längerer Abstinenz im fernen Asien ist der „Genuss“ gewisser deutscher Medien und Echokammern eine harte Rückkehr in eine rechtspopulistische Dystopie, die sich hoffentlich nur gefühlt immer breiter macht. Jede Insolvenz, jede importierte KWh, vollkommen unglaubwürdig jedes Gramm verstromte Kohle, jeder Cent für Soziales oder gar Flüchtlinge wird zugleich gefeiert und zum Skandal erhoben.

 

Selbst ehemalige Qualitätsmedien machen aus jedem „Bericht“ irgendeine Meldung über Versorgungssicherheit, Deindustrialisierung und „plötzlich“ dramatische Folgen für unsere Ökonomie. In einem energiepolitischen Kommentar der FAZ lese ich etwas von zusammenbrechender Wirtschaft und frierenden Verbrauchern, als Interpretation eines Berichts des Rechnungshofs, der sich bereits verbal massiv vergreift und nichts mahnt, was die Bundesregierung nicht bereits selbst gemahnt hätte - um dieser dann zugleich so etwas wie Blindheit zu unterstellen.

 

In Echokammern werden solche „Beiträge“ beliebig gemixt, alles in einen Topf geworfen und hunderte Kommentare steigern sich in hasserfüllte Behauptungen, da sei irgendein ökonomisches Zerstörungsprogramm von Ökos, Linken, Grünen oder wem auch immer im Gange.

 

Auf der Lösungsseite bieten diese „Beiträge“, Autoren, Kommentatoren vorzugsweise und primär: Nichts. Frust, Hass, Beschimpfen kommen hingegen reichlich. Man muss nur nach Belegen für Aussagen fragen, Zweifel äußern oder eben Lösungsvorschläge erbeten, dann ist man selbst so ein Deindustrialisierer, der nur Hass, aber keine Antworten verdient hat.

In seltenen Ausnahmen kommen die typischen Rezepte: Man muss Kernkraftwerke bauen, soziale Leistungen kürzen, weniger Geld für Flüchtlinge oder Entwicklungshilfe ausgeben, mehr sparen und die faulen Leute müssten endlich wieder arbeiten.

 

Derweil florieren in den USA Unternehmen wie Amazon, Alphabet, Meta, Nvidia, Tesla, Netflix, die mittels eines tiefen Kapitalmarkts über Jahrzehnte ohne jeden Betriebsgewinn, ohne jemals eine Dividende gezahlt zu haben, zu weltmarktdominierenden Universen aufgestiegen sind. Noch vor drei Jahren schrieb mir ein Manager aus der Automobilindustrie, Tesla sei ein überbewerteter Mittelständler, der keine Rendite erwirtschafte und niemals eine Massenproduktion erreiche. In China gelingt das derweil einigen Branchen aus einer Mischung staatlicher, strategischer Unterstützung und Bevorzugung im dynamischsten Markt. Mit dem IRA beginnen die USA, beide Konzepte zu nutzen.

 

Digitalisierung, KI, Elektrifizierung, innovative Produkte und Produktionsverfahren, neue Formen der Skalierung, enorme Kostenvorteile in der gesamten Wertschöpfungskette. Teilweise löst das Margen von Unternehmen mit Alleinstellung aus (Nvidia, Google, Meta), die man in dieser Größenordnung nie kannte. So entstehen singuläre Unternehmen, deren Marktkapitalisierung und Finanzkraft die Größenordnung von ganzen Volkswirtschaften Europas erreicht. Teilweise werden Kostenvorteile zu brutalen Preiskämpfen und Ausweitungen von Marktanteilen genutzt (BYD, Tesla, PV- und Batterie-Industrie Chinas).

 

Europäische Hersteller sitzen „plötzlich“ auf veralteten Produkten und noch viel schlimmer zahlen sie den Preis für zu kleines Denken, das tief in ihren Gesellschaften und deren Politik verankert ist. Sie sind Zwerge mit angeblich gut geführten Büchern.

 

„Sparen“ ist der Sammelbegriff für diese höchst dramatischen, weil tief strukturellen Defizite. Der intellektuell in den 80ern stehen gebliebene und leider gänzlich überforderte Konservatismus ist die Hauptursache. Eben jene Denkrichtung, die sich nun fast schon logisch aus der geistigen Überforderung in den Populismus flüchtet.

 

Diese strategischen und strukturellen Mängel müssen wohl von Innovationsverweigerung, Investitionsrückstand, sogenanntem „Sparen“ bis zum grundsätzlich angstdominierten Umgang mit Risiken, der leider denselben Umgang mit Chancen erzwingt, erst vollständig platzen, bevor irgendwas wirklich besser werden kann.

 

Bis dahin sind wahlweise Grüne, Linke, Flüchtlinge oder abgeschaltete Kernkraftwerke an allen schuld. Wer dabei die Parallelen zum Untergang Weimars übersieht, sollte sich nicht mit der Losung zufrieden geben, dass Geschichte sich nicht wiederholt. Sie kennt leider Muster für Systemversagen, die sich sehr wohl wiederholen. Konservative Politik und die Eliten der Wirtschaft sollten insbesondere Populismus mehr fürchten als alles andere. Es ist ein süßes Gift, da es in intellektuell überforderten Gesellschaften den einfachen Weg zur Macht ermöglicht. Aber den Geist, der damit geweckt wird, den Geist der dystopischen Wahrnehmungsverweigerung, den darf man nicht zulassen, der mündete stets in Katastrophen.

 

Viele meinten, den nutzen und wieder einfangen zu können. Gelungen ist es nie.


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