DMZ – POLITIK ¦ Dr. Reinhard Straumann ¦
KOMMENTAR
Wer erinnert sich noch an den grossartigen Kinofilm von 1975, mit dem der Regisseur Milos Forman fünf Oscars – alle in den wichtigsten Kategorien – gewann? «Einer flog über das Kuckucksnest» hiess der Streifen, der auf einer Romanvorlage von Ken Kesey aus dem Jahr 1962 beruhte. Jack Nicholson gibt darin den Neuankömmling in einer geschlossenen psychiatrischen Anstalt, der sich partout dem dort herrschenden Hierarchie-, Massnahmen- und Ruhigstellungsterror nicht anpassen will, der andere Häftlinge (pardon: Patienten) mit seiner Unangepasstheit mitreisst und der so die ganze Innenwelt dieser Klinik in Aufruhr versetzt. Randie McMurphie, die von Nicholson gespielte Figur, muss seine Revolte teuer bezahlen: Als Zwangsmassnahme wird er einer Lobotomie unterzogen und ruhiggestellt. Für immer.
Die Welt als Irrenhaus zu sehen, ist eine beliebte Metapher in der Literatur, aus naheliegenden Gründen. Sebastian Brant machte mit seinem «Narrenschiff» 1494 einen frühen Anfang, und Friedrich Dürrenmatt setzte mit seinen «Physikern» 1962 den Deckel drauf, indem er die Patienten, seine Physiker, rational handelnde Personen sein liess, zur einzigen Irren in der Klinik aber die grössenwahnsinnige Chefärztin machte. «Eine Geschichte ist dann zu Ende gedacht, wenn sie die schlimmstmögliche Wendung genommen hat», kommentierte er.
Wie recht er doch hatte. Die Welt ist ein Irrenhaus, und die Irren sitzen in den Schaltzentralen. Wir haben einen amerikanischen Präsidenten, der mit Toten redet (Joe Biden hat letzthin behauptet, er habe kürzlich sowohl mit François Mitterrand – seit 28 Jahren mausetot – wie auch mit Helmut Kohl – desgleichen seit sieben Jahren – gesprochen). Er erkundigte sich ebenso öffentlich nach der Kongressabgeordneten Jackie Walorski, die vor zwei Jahren bei einem Verkehrsunfall ums Leben gekommen ist und an deren Abdankung er war. Dieser amerikanische Präsident ist 82 Jahre alt, und sein Irrsein manifestiert sich weniger in den seiner Demenz geschuldeten Aussetzern, sondern darin, dass er sich eine weitere Amtszeit (bis 86…) zutraut. Das gleiche betrifft seine Ärzte, die ihm den Freifahrschein ausstellen. Unter welchem Druck von welcher Seite stehen sie? Sein Konkurrent ums mächtigste Amt im Irrenhaus Welt, Donald Trump, ist drei Jahre weniger alt, und auch er ist zunehmend von Blackouts betroffen (neulich hatte er den Namen seiner Frau Melania nicht präsent und erkundigte sich nach einer gewissen «Mercedes»).
Europäischen Staatschefs geht es nicht viel besser, auch wenn sich hier die Aussetzer in anderer Form präsentieren. Emmanuel Macron redet vor wenigen Tagen einer Entsendung von NATO-Bodentruppen in die Ukraine das Wort. Bei einem 1977 Geborenen muss man keine Demenz vermuten, hier darf man ohne Scheu fragen: Hat der noch alle Tassen im Schrank? Ist der sich bewusst, welche Konsequenzen so etwas hätte? Desgleichen die deutschen Kriegsgurgeln aus den Ampel-Fraktionen, Pistorius, Hofreiter etc.? Und diejenigen aus der Unions-Opposition, Kiesewetter, Strack-Zimmermann und Konsorten? Offenbar würden sie keine Sekunde zögern, mit Russland einen Krieg anzufangen – im Gegenteil. Sie verhalten sich, als wären sie regelrecht geil darauf. Offenbar nehmen sie lieber einen Weltenbrand in Kauf als zuzugeben, dass der ganze Ukraine-Krieg ein fataler Fehler war, militärisch, wirtschaftlich, politisch. Lieber die Katastrophe akzeptieren als den Prestigeverlust. Sie verhalten sich wie trötzelnde Kindergärtner. Ihre letzte verbliebene Rationalität besteht darin, dass sie sich bewusst sind, nicht selbst an irgendeiner Front für ihre Kriegstreiberei gradestehen müssen. Dafür haben wir ja die Ukrainer.
Putins Reaktion (auch nicht sehr klug) kam postwendend: Nachdem er sich lange Zeit (seit seiner Begegnung mit Xi Jinping vor knapp einem Jahr) zurückgehalten hatte, winkt er jetzt wieder überdeutlich mit der Atom-Keule. Und man täusche sich nicht. Im Unterschied zu den westlichen Politikern hat Putin mit seinen Ankündigungen eine hohe Verlässlichkeit bewiesen. Der Umstand, dass er der Überschreitung vieler selbst definierter «roter Linien» seitens des Westens bis jetzt zugeschaut hat, lässt die westlichen (H)Ampelmänner offenbar an der Ernsthaftigkeit der Drohung zweifeln. Und sie ignorieren komplett, dass französische, deutsche, englische Waffenlieferungen als Kriegshandlungen Frankreichs, Deutschlands und Englands gelten, wenn französische, deutsche, englische Armeeangehörige diese Waffen programmieren (was derzeit Praxis ist). Kann man noch verantwortungsloser mit dem Feuer spielen?
Oder nehmen wir Vizekanzler und Wirtschaftsminister Habeck, der findet, die Wirtschaftslage sei gar nicht so dramatisch, nur die Zahlen seien schlecht. Oder die Betriebe stünden nicht vor dem Aus, sie könnten bloss die Rechnungen nicht mehr bezahlen. Oder gucken wir die geradezu exemplarisch unbedarfte Aussenministerin Baerbock an, die, statt sich – als oberste Diplomatin Deutschlands – um Frieden zu bemühen, wie ein Laufstegmodel in Highheels über Kriegsschauplätze stöckelt, weil das so effektvolle Fotos gibt.
Bei all dem ist zu sagen: Merkt denn diese ganze Bande nicht, dass sie von den USA zum Narren gehalten wird? Dass sie gar nicht den Interessen derjenigen Menschen dienen, denen sie verpflichtet wären (nämlich ihren Landsleuten und Wählerinnen und Wählern), sondern der amerikanischen Waffenindustrie und Investoren wie BlackRock?
Der Titel von Formans Film “One Flew Over the Cuckoo’s Nest” geht zurück auf einen amerikanischen Kinderreim: “Three geese in a flock. One flew east, And one flew west, And one flew over the cuckoo’s nest” (“Drei Gänse in einem Schwarm. Eine flog nach Osten, eine nach Westen, und eine flog über das Kuckukcsnest»). Dazu muss man wissen: Gänse lösen sich nie aus einem Schwarm, und der Kuckuck baut kein Nest. Die Insassen der Klinik im Film wissen das nicht. Es ist ihnen egal. McMurphie, der Filmheld, nimmt sich die Freiheit auszureissen. Er fliegt über das Kuckucksnest.
Wir brauchen mehr McMurphies auf dieser Welt. Sich nicht ruhig stellen zu lassen, ist zu einer Notwendigkeit des zivilen Selbstschutzes geworden. Die Bauern machen es vor. Den Irren in den Schaltzentralen dürfen wir diese Welt nicht länger überlassen.
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Seit 2020 können Sie in der „DMZ“ Woche für Woche die Kommentare von Dr. Reinhard Straumann verfolgen. Seine Themen reichen von Corona über amerikanische Außen- und schweizerische Innenpolitik bis hin zur Welt der Medien. Dabei geht Straumann stets über das hinaus, was in den kommerziellen Mainstream-Medien berichtet wird. Er liefert Hintergrundinformationen und bietet neue Einblicke, häufig mit Verweisen auf Literatur und Philosophie.
Dr. Reinhard Straumann ist Historiker und verfügt über das nötige Fachwissen. Als Schulleiter an einem kantonalen Gymnasium hat er sich zudem jahrzehntelang für die politische Bildung junger Menschen engagiert. Wir freuen uns, dass Reinhard Straumann regelmäßig zum Wochenende einen festen Platz in der DMZ unter dem Titel „Straumanns Fokus am Wochenende“ hat.
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