DMZ – POLITIK ¦ Dr. Reinhard Straumann ¦
KOMMENTAR
Tucker Carlson, 55jährig, akademisch gebildeter Historiker, hochdekorierter amerikanischer Journalist und Publizist, der von 2016 bis 2023 allabendlich eine Talkshow moderierte, die seinen Namen trug («Tucker Carlson tonight»), ehe er beim produzierenden Sender FOX wegen kritischer Äusserungen zum Ukraine-Krieg in Ungnade fiel, hatte die Unverfrorenheit, das Meinungsmonopol der Main-Stream-Medien der gesamten westlichen Welt zur Disposition zu stellen. Wie macht man so etwas? Ganz einfach: Man gibt jemandem das Wort, der gemäß ebenderselben westlichen Presse keinesfalls zu Wort kommen dürfte.
Carlson interviewte Wladimir Putin. Er tat das letzte Woche, nachdem amerikanische Geheimdienste ihn drei Jahre lang systematisch gehindert hatten, ebendieses Projekt zu realisieren. Rausgeschmissen bei FOX und tätig nur noch in eigener Verantwortung, erreichte er jetzt die Zusage des Kreml, reiste nach Moskau, führte das Interview und stellte es bei Elon Musks «X» (vormals Twitter) ein – nachdem Musk die Erklärung abgegeben hatte, die Veröffentlichung des Gesprächs unzensiert und in voller Länge zu garantieren.
Man begreift die Panik der westlichen Meinungskontrolleure: Was macht es für einen Sinn, über Jahre hinaus die Ausstrahlung von Russia Today (und aller anderen russischen Medien) zu blockieren, wenn sich am Ende der oberste Chef des englischsprachigen Russland-Senders ungehindert äussern darf? Offenbar tendiert in der westlichen Politik das Vertrauen in die Mündigkeit der Bürgerinnen und Bürger gegen Null. Bereits die Ankündigung des Interviews und seiner Veröffentlichung löste Heulen und Zähneklappern aus.
Weshalb die plötzliche Schnappatmung? Die Begründung ist einfach. Die fatale Allianz westlicher Politik und westlicher Medien, deren transatlantische Netzwerke (wie die «Atlantik-Brücke» oder die «Bilderberger») seit dem amerikanischen Putsch in der Ukraine 2014 Hochkonjunktur haben, hat es systematisch möglich gemacht, den Bürger zu entmündigen. Statt dass man ihn seine eigene Meinung fassen lässt, gibt man ihm sie ein wie weiland die Katholiken mit dem Katechismus. Statt dass die grossen Verlagshäuser und ihre Organe der Politik auf die Finger schauen, reproduzieren sie folgsam, was aus Washington und Berlin verlautet. Die Medien begannen, ihre Rolle zu verwechseln. Sie kommentieren nicht mehr die Politik, sondern sie versuchen, selbst Politik zu machen, indem sie den entmündigten Bürger zum «richtigen» Glauben führen.
Exakt dies verweigerte Tucker Carlson: Er gab den Menschen die Chance, denjenigen im Originalton zu hören, der bei uns seit zwei Jahren verteufelt wird. Carlson wollte der permanenten Entmündigung des Menschen Einhalt gebieten. Er wollte Putins Verteufelung entlarven als das, was sie ist: als westliche Propaganda zum Zweck, einen Krieg in Gang zu halten, dem jeglicher gesunde Menschenverstand längst die Alimentierung mit Waffen und Geld entzogen hätte. (Um keine Missverständnisse aufkommen zu lassen: Wenn wir hier gegen den Krieg in der Ukraine anschreiben, hat das nicht das Geringste damit zu tun, dass wir sehr wohl Bescheid wissen über die inneren Verhältnisse in Russland. Das jüngste, unfassbare Verbrechen an Nawalny spricht Bände. Jeder Vorwurf der Putin-Versteherei erübrigt sich.)
Das Interview dauerte zwei Stunden und sieben Minuten. Es wurde in Mitteleuropa am 12. Februar um 0:00 Uhr veröffentlicht. Die ersten Kommentare erschienen in schweizerischen und bundesdeutschen Zeitungen um sechs Uhr früh. Hatten die Journalisten das Interview bis dahin gänzlich zur Kenntnis genommen und es differenziert beurteilt? Oder veröffentlichten sie in ihren Schmähkommentaren – eine andere Tendenz fand sich nirgends – einfach ihre vorgefassten Meinungen? Haben sie sich tatsächlich um die zwei einzigen Dinge von Belang gekümmert? Erstens: Was hat Carlson gefragt? Und zweitens: Was hat Putin gesagt?
Erstens: Die Aussagen unserer Welterklärer, Carlson «fungierte mehrheitlich als nicht besonders gut informierter Stichwortgeber» (NZZ) oder seine Fragen seien «wie bestellt gewesen» (Tamedia-Zeitungen) sind eine schlichte Unterstellung. Im Gegenteil. Carlson widersprach Putin vielfach und getraute sich, die Freilassung eines in Russland inhaftierten amerikanischen Journalisten zu fordern. Das Interview war geradezu eine wohltuende Abweichung von den Loyalitätsbekundungen, die wir umgekehrt in westdeutschen Talkshows immer wieder erleben.
Zweitens: Was Putin wirklich denkt, wissen wir nach diesem Interview ebenso wenig, wie wir eine Ahnung haben, was Scholz wirklich meint, wenn er über den Krieg schwafelt oder über Nordstream phantasiert, oder was Habeck wirklich meint, wenn er über die deutsche Konjunktur dilettiert. Aber wir haben zur Kenntnis genommen, dass Putin ein hoch kundiger, Staatschef ist mit einem intellektuellen Durchblick und historischen Sachverstand, der meilenweit über den Sphären fliegt, in denen ein Olaf Scholz dümpelt (an den dementen Biden wollen wir aus Gründen des Anstands hier gar nicht erinnern… und erst recht nicht an eine Banausin vom Schlage der deutschen Außenministerin). Nie würde Putin gegenüber einem hochrangigen Politiker aus dem Ausland ausfällig werden, was ihm selbst x-fach widerfahren ist. Wohl wahr: Putin ist – wie seine westlichen Kollegen… – nicht frei von Geschichtsrevisionismus. Und es trifft zu, dass er Dinge äußerte, die wir von ihm schon gehört hatten. Aber er brachte sie mit einem Hintergrundwissen und in einer Differenziertheit vor, dem sich der unvoreingenommene Zuhörer nicht entziehen konnte.
Weshalb auch? Sollten wir uns dazu verpflichtet fühlen? Und wenn ja: weshalb? Glaubt jemand tatsächlich, dass uns unsere westlichen Führungsgestalten eher die lautere Wahrheit einschenken als der Kreml-Chef? Tucker Carlsons Aktion, uns punktuell ein Stück Mündigkeit zurück zu geben, lässt uns an dieser Frage (ver-)zweifeln.
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Seit 2020 können Sie in der „DMZ“ Woche für Woche die Kommentare von Dr. Reinhard Straumann verfolgen. Seine Themen reichen von Corona über amerikanische Außen- und schweizerische Innenpolitik bis hin zur Welt der Medien. Dabei geht Straumann stets über das hinaus, was in den kommerziellen Mainstream-Medien berichtet wird. Er liefert Hintergrundinformationen und bietet neue Einblicke, häufig mit Verweisen auf Literatur und Philosophie.
Dr. Reinhard Straumann ist Historiker und verfügt über das nötige Fachwissen. Als Schulleiter an einem kantonalen Gymnasium hat er sich zudem jahrzehntelang für die politische Bildung junger Menschen engagiert. Wir freuen uns, dass Reinhard Straumann regelmäßig zum Wochenende einen festen Platz in der DMZ unter dem Titel „Straumanns Fokus am Wochenende“ hat.
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