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Energiepreiskrise – zuerst verstehen, dann handeln

DMZ –  POLITIK ¦ Dirk Specht ¦              

KOMMENTAR

 

Unter diesem Titel versuche ich am 31. Januar in einem für nur eine knappe Stunde angesetzten Vortrag von der geopolitische bis zur kommunalen Energiepolitik den Bogen zu spannen. Mehr als 30 Folien, von denen jede einzelne eine Stunde zu besprechen wäre, können nur im Hubschrauberflug besprochen werden. Dennoch ist es notwendig, für das Verständnis der Lage diesen Bogen mit allen Details zu spannen.

 

Wesentliche Erkenntnisse sind die dramatische Importabhängigkeit Europas und Deutschlands, die seit dem zweiten Weltkrieg keine Mitgestaltung der Europäer erlaubt. Preisschwankungen mit allen Ursachen können nur ertragen werden und die Wertschöpfung aus Energie findet weitgehend woanders statt. Wenigstens bei den Ölpreisen kaufen die Europäer symmetrisch ein, beim Erdgas, einem für Deutschland besonders wichtigen Energieträgern ist das vorbei. Im Schnitt 100 Milliarden, zuletzt deutlich mehr, verlassen unsere Volkswirtschaft, kosten Kaufkraft und bringen Sorgen um die Wettbewerbsfähigkeit.

 

Das Bild wird uns noch eine Weile beschäftigen, es ist keineswegs vorbei, aber es ist trotzdem bereits von gestern, denn die Chancen und Herausforderungen der Zukunft sind ganz andere.

 

Der „Gamechanger“ sind die dramatisch gesunkenen und weiter sinkenden Gestehungskosten für Erneuerbare Energien, die der Wettbewerbsfaktor der Zukunft werden. Bereits ab 2015 absehbar und spätestens ab 2019 geht die Schere zu allen anderen Energieerzeugungsformen weiter auf. Das wird sich fortsetzen. Während die Ausbauraten weltweit exponentiell zunehmen, führt Europa und insbesondere Deutschland eine verzögernde Grundsatzdebatte.

 

Die Welt hat erkannt, dass jeder Ausbau sofort die Gesamtsystemkosten reduziert und genau so wird gehandelt: Ausbau der Erzeugung, Ausbau der Netze, beginnende Erschließung von Speichern, abwartende Haltung der später mal notwendigen Kraftwerksreserven. Denn: Diese Reserven sind ja da und Stand heute wird die „letzte Meile“ (noch) sehr teuer. Je nach Lage können 80% bis 90% Erneuerbare auf Ebene der Gesamtenergie sofort ökonomisch und ökologisch gewinnbringend ausgebaut werden.

 

Die Welt beschäftigt sich damit, Deutschland streitet über die letzten 10%, die irgendwann in 24 bis 30 Jahren anstehen. Mit dann verfügbaren Technologien, die man heute teilweise kennt, teilweise aber erst ahnt und deren zukünftiger Preis gar nicht sinnvoll bestimmbar ist, vor allem aber heute gar nicht bestimmt werden muss. Dafür sind Forschungsförderungen sinnvoll, es sollten Märkte geschaffen werden, aber mehr nicht. Auch das passiert weltweit, von Start-Ups in den USA bis zu privaten, aber staatliche geförderten und gesteuerten Tech-Unternehmen in China sowie der sehr agilen Szene in Asien. Deutschland diskutiert heute Kraftwerke, deren Bedarf sogar unklar ist, streitet über Kosten, die irgendwann entstehen – und kürzt die Förderung für Grundlagenforschung im Batteriebereich.

 

Dabei sind die Trends vollkommen klar. Der exponentielle Ausbau Erneuerbarer findet überall statt, die politische Debatte über Kernenergie ist in den Daten nicht erkennbar. Man mag sie führen, kein Problem, aber lähmen darf sie nicht, denn erkennbar spielt sie real keine Rolle. Dabei nimmt die Dynamik in China, in Asien und als Reaktion darauf in den USA zu. Es ist sogar absehbar, dass auch ein Präsident Trump sich zwar von der „Klimapolitik“ distanzieren, diese tiefe Logik der Industriepolitik aber fortsetzen wird. Die gewaltigen Investments weltweit treffen in Deutschland auf eine „Kosten“-Diskussion, die nicht mal den Unterschied zu Investitionen wahrt.

 

Dabei geht es um weit mehr als nur die Energieerzeugung. Die logische Folge ist eine Welle der Elektrifizierung, die von industriellen Herstellungsprozessen bis zu den Endprodukten reicht. Das wird weit mehr Branchen verändern als nur die Energie und es wird gerade die Industrienation Deutschland besonders herausfordern. Wir sollten das rasch als Chance erkennen und nicht wie bei der Digitalisierung Risiken, Ängste und Bedenken walten lassen – sowie über „Kosten“ für Infrastrukturen streiten, was uns bis heute belastet.

 

Im Ergebnis wird nicht mehr der Preis für Primärenergie wie in unserer heutigen Importbilanz dominieren, sondern der von Nutzenergie. Primär-, End- und Nutzenergie sowie die dabei relevanten Wirkungsgrade werden nun nicht nur Ingenieure, sondern auch Ökonomen beschäftigen. Es geht zukünftig nicht mehr darum, das Barrel Öl wettbewerbsfähig zu erwerben, sondern den Preis für die KWh am Antriebsrad, für die KWh Raumwärme oder Prozesswärme, den Strom aus der Steckdose zu optimieren.

 

Vor allem: Diese Preise werden global dramatisch sinken! Die Europäer orientieren sich noch viel zu stark an den bekannten Preisniveaus für ihre Primärenergie. Das ist nicht der Wettbewerbsfaktor von morgen, wir müssen in Nutzenergie denken und die technischen Potenziale, diese viel günstiger zu gestalten, heben. DAS ist die Wettbewerbssituation der kommenden Jahrzehnte!

 

Dafür ist Europa und Deutschland speziell bezüglich der Markt-Strukturen, der Regulierung und der Energiepolitik denkbar schlecht aufgestellt. Wir haben ein Markt-Design, das ausgerechnet den Gaspreis zu einem dominierenden Faktor der Strompreise macht. Der zweite Faktor, die zunehmend günstiger werdenden Erneuerbaren, kann das nur teilweise kompensieren. Zwar sind durch die Beruhigung des Gaspreises und den weiteren Einfluss Erneuerbarer inzwischen wieder Strompreise von ca. 6 Cent erreicht, aber selbst das ist noch etwas höher als zu früheren Zeiten und es reicht schlicht nicht, denn die globalen Preise werden deutlich niedriger – und dieses Markt-Design lässt nicht erkennen, dass die sinkenden Gestehungskosten ankommen. Leider hat die EU mit einer sogenannten „Reform“ letztlich nur bestätigt, dass dieses Design Bestand haben soll. Es wird lediglich um einen Abschöpfungsmechanismus zugunsten der Staatshaushalte ergänzt.

 

Ein deutsche Besonderheit ist die Politik hoher Strompreise, was in Europa sehr unterschiedlich gehandhabt wird. Für den Industriestandort und auch für unsere politisch/gesellschaftliche Situation darf das in Frage gestellt werden. Tatsächlich betrug in Deutschland lange Zeit der eigentliche Herstellungspreis für Strom weniger als ein Fünftel des Endpreises. Vorübergehend hat der Staat sich in der Preiskrise etwas zurück gezogen, so dass die Herstellung dominierend wurde. Mit den nun sinkenden Preisen im Großhandel wird sich aber das alte Bild wieder einstellen. Der neue Preistreiber werden vermutlich die Netzentgelte sein, da Deutschland sich schon immer entschieden hat, die Investitionen der Infrastruktur zu Kosten des Verbrauchers zu machen. Da diese Infrastrukturen zwischen 30 und 50 Jahre Abschreibung erfahren und bis zu 100 Jahre nutzbar sind, ist das eine fragliche Verteilung von Nutzen und Lasten. Zudem führen die nun durch die Medienchöre geisternden „Kosten“ im dreistelligen Milliardenbereich zu eine destruktiven Debatte, die weitgehend übersieht, dass es sich hierbei um Kapital handelt, das eine hervorragende volkswirtschaftliche Dividende verspricht.

 

Die Kritik ist natürlich berechtigt, wenn es der Politik nicht gelingt, diese Dividende fair zu verteilen – leider ist aber genau das nicht Thema, sondern die fatale Idee, man könne sich auch das besser gleich „sparen“.

 

Der Ausweg ist für den Einzelnen, den privaten Haushalt, das Unternehmen oder die Kommune momentan aufgrund der Dominanz von EU- und nationaler Energiepolitik nur im Bereich der Eigenproduktion und Selbstnutzung zu finden. Hier gibt es aber sehr große Chancen und zwar gerade deshalb, weil diese moderne Technologie so gute Leistungswerte bringt und weltweit, also auch lokal in Deutschland, nutzbar ist. Hier geht es aber darum, nicht zu klein zu denken.

 

Bürgerparks, Genossenschaften, kleine Projekte sind zwar ein Fortschritt, erschließen aber zu wenig. Zu kleine Projekte sind von der Finanzierung bis zum technologischen Overhead weniger wirtschaftlich, sie speisen zudem oft ins öffentliche Netz ein und bringen lokal ein paar Erträge aus dem Stromhandel – oft nur für wenige Beteiligte. Technologisch gilt es zudem, viel mehr zu erreichen, denn die Kopplung von Verbrauchsprofilen sowie die Sektorkopplung Strom+Wärme führen auf Gesamtsystemebene zu viel ertragreicheren Ergebnissen. Solche Konzepte skalieren auch technologisch, bei der Finanzierung und bei der lokalen Wertschöpfung für sehr viele Akteure.

 

Daher sind dezentrale Energiekonzepte für größere Räume unter Aufbau von Direktversorgungsstrukturen, intelligenten Netzen sowie Sektorkopplung Strom+Wärme anzustreben. Wenn so etwas lokal konsequent umgesetzt wird, kann man sich aus den Rathäusern, Unternehmen und Privathaushalten die globale Energiepolitik gelassen im Fernsehen anschauen – oder besser noch gleich das Programm wechseln, denn außer Desinformationen und Inkompetenz wird da selten etwas geboten.

 

Hier findet sich der komplette Vortrag: 2023.01.31 – Vechta.Votrag.Dirk.Specht

Wer noch Gelegenheit findet, am 31. in Vechta teilzunehmen, kann sich hier anmelden. Es sind sehr viele spannende Beiträge von interessanten Leuten geplant: https://symposium-et.de/


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