CH: Keine weiteren Aufträge der IV für die Gutachterstelle PMEDA

DMZ –  JUSTIZ / MM ¦ AA ¦                                   

 

Die Entscheidung der Invalidenversicherung (IV), keine medizinischen Gutachten mehr von der PMEDA-Gutachterstelle anzufordern, hat weitreichende Folgen. Damit folgt die IV den klaren Empfehlungen der Eidgenössischen Kommission für die Qualität bei der medizinischen Begutachtung (EKQMB), die gravierende Mängel in den ärztlichen Gutachten der PMEDA aufgedeckt hat.

 

PMEDA: Deutsche Ärzte erstellen Gutachten für die Schweizer IV

Die PMEDA, die bisher im Auftrag der IV bi- und polydisziplinäre Gutachten erstellte (Expertisen mit zwei oder mehr medizinischen Fachrichtungen), hat seit dem 1. Juli 2023 keine neuen Aufträge mehr angenommen und die bestehenden Verträge über die Gutachtertätigkeit gekündigt.

 

Strafanzeigen gegen Gutachter in Deutschland und der Schweiz

Die Zürcher Firma PMEDA AG beschäftigt deutsche Ärzte, die Gutachten für die Invalidenversicherung (IV) in der Schweiz erstellen. Diese Gutachten entscheiden darüber, wer Anspruch auf eine Invalidenrente hat und wer nicht. Bemerkenswert ist jedoch, dass diese Ärzte weder in der Schweiz wohnen noch dort eine Praxis betreiben. Der Leiter der Firma, der deutsche Neurologe Henning Mast und Mitglied der Erbengeneration der Jägermeister-Unternehmerfamilie, wurde in der Vergangenheit bereits wegen der Qualität der Gutachten und der Flugärzte-Praxis kritisiert.

 

Ermittlungen wegen Steuerbetrug und unrichtiger Gesundheitszeugnisse

Die deutschen Behörden sind mittlerweile aktiv geworden. Im April durchsuchten Steuerfahnder mindestens zehn Wohnungen und Geschäftsräume in ganz Deutschland wegen des Verdachts auf Steuerbetrug. Insgesamt ermittelt das Finanzamt Ulm gegen zwölf Personen, da es um beträchtliche Einkünfte geht. Den Ärzten drohen in Deutschland möglicherweise weitere strafrechtliche Verfahren aufgrund des Ausstellens unrichtiger Gesundheitszeugnisse.

Steuerbetrug: Schwere Vorwürfe gegen deutsche Ärzte (correctiv.org)

 

Mangelhafte Gutachten und fehlende Kontrolle

Auch in der Schweiz laufen Untersuchungen: Derzeit gibt es neun Strafanzeigen gegen Gutachter, da einige Gutachten bereits diagnostizierte Krankheitsbilder nicht abgeklärt haben und Untersuchungen in den Gutachten aufgetaucht sind, die nie durchgeführt wurden. Für die Betroffenen sind die Folgen katastrophal, da sie ohne IV-Rente vor finanziellen Schwierigkeiten stehen und gezwungen sein könnten, ihre Ersparnisse aufzubrauchen oder Schulden zu machen.

 

Fehlende Aufsicht und hoher Druck im Sozialsystem

Der Markt für Gutachterdienste im Wert von 100 Millionen Franken unterliegt keiner angemessenen Aufsicht. Die Kontrollmechanismen funktionieren nicht wie sie sollten, und der Druck, Kosten im Sozialsystem zu senken, ist hoch. Daher kommen Gutachten, die Ansprüche auf IV-Renten in Frage stellen, den Versicherungen gelegen. Dies wird von Martin Hablützel, einem Fachanwalt für Versicherungsrecht in Zürich, bestätigt: "Man hat ein System, das Missbrauch, wenn nicht sogar fördert, zumindest aber nicht verhindert."

 

Auftragsergebnisse und weitere Ermittlungen

Bei der Auswertung der PMEDA-Gutachten von 2013 bis 2020 stellte sich heraus, dass nur knapp 18 Prozent der Begutachteten als arbeitsunfähig eingestuft wurden und eine IV-Rente erhielten. Es wurde der Verdacht geäußert, dass PMEDA-Gutachter versuchen könnten, lukrative Aufträge so zu erhalten, dass sie zu Gunsten der Versicherten ausfallen und nicht zu Gunsten der Versicherung.

 

Aktuelle Entwicklungen

Das Bundesamt für Sozialversicherungen (BSV) hat die IV-Stellen angewiesen, bereits vorliegende Gutachten der PMEDA einer erneuten Qualitätskontrolle zu unterziehen, sofern im konkreten Fall noch kein rechtskräftiger Leistungsentscheid vorliegt. Rechtskräftige Leistungsentscheide bleiben unberührt.

Bisher hat die EKQMB nicht im Detail mitgeteilt, welche Anforderungs- und Qualitätskriterien (gemäß Art. 7p Abs. 1 Bst. a ATSV) anzuwenden sind und welche formellen und inhaltlichen Mängel sie in den Gutachten der PMEDA festgestellt hat. Sobald das BSV diese Informationen erhält, wird es die IV-Stellen und Regionalärztlichen Dienste (RAD) entsprechend instruieren. Wenn ein Gutachten den Kriterien der EKQMB entspricht, kann die IV-Stelle die Verfügung erlassen; anderenfalls wird die IV-Stelle eine erneute Begutachtung anordnen müssen.

 

Derzeit sind bei der PMEDA noch Aufträge über 16 bi- und 55 polydisziplinäre Gutachten ausstehend, die vor dem 1. Juli vergeben wurden. Auch diese müssen einer gründlichen Überprüfung unterzogen werden, sobald sie der IV-Stelle vorliegen.

 

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