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Straumanns Fokus am Wochenende - Deutsche Selbstverstümmelung

DMZ – POLITIK ¦ Dr. Reinhard Straumann ¦                    

KOMMENTAR

 

Denk ich an Deutschland in der Nacht, bin ich um den Schlaf gebracht. Vor 180 Jahren, im Winter 1843, unternahm Heinrich Heine, ein im reaktionären Deutschland steckbrieflich gesuchter liberaler Schriftsteller, von Paris aus eine Reise nach Hamburg. Er wollte seine 72jährige Mutter besuchen sowie seinen Verleger, welchem Heines spitze Feder Probleme machte. Die Reise gab Gelegenheit zu einer satirischen Reflexion über den politischen Zustand Deutschlands. Heine, der in Napoleon den Heilsbringer eines modernen, liberalen Europas sah, schrieb sich seinen Spott in einem von Ironie triefenden Versepos von der Seele. Unter dem Titel “Deutschland, ein Wintermärchen” veröffentlicht, wurde es alsogleich vom preussischen König Friedrich Wilhelm IV. auf den Index gesetzt.

 

Denke ich heute an Deutschland, auch tagsüber, dann will mir Heines Eröffnungsvers aus dem “Wintermärchen” nicht aus dem Kopf. Deutschland, das sich vor nicht allzu langer Zeit noch im Sommermärchen wähnte, ist zum Sanierungsfall geworden. Seitdem sich die Bundesregierung mit Beginn des Ukraine-Kriegs bedingungslos auf die Seite der USA gestellt hat, taumelt die Nation von der Not ins Elend. Mutwillig hat man sich einen Katalog von Problemen an die Brust gezerrt, dem keine Regierung dieser Welt gewachsen wäre.

 

Deutschland hat sich einen Krieg zu eigen gemacht, mit dem man im Grunde nichts am Hut hätte. Wider jede Vernunft sprach die Aussenministerin in die Kameras, was die Amerikaner selbst nie sagen durften: dass Russland zu ruinieren sei. Obwohl man zuvor mit Russland in bestem Einvernehmen stand. Deutschland war in Sachen Erdgas Handelspartner zu Bedingungen, die der deutschen Industrie Wachstum und Wohlstand verliehen hatten. Aber jetzt zerstört Kanzler Scholz die Ostpolitik Willy Brandts, ebenfalls eines Sozialdemokraten, die eine friedliche Aussöhnung mit Russland möglich gemacht und Europa Sicherheit gegeben hatte. Statt im Spannungsfeld zwischen den USA und Russland die Balance zu halten, warf sich Deutschland einseitig den Amerikanern an die Brust. In ihrer Nibelungentreue küsst die Regierung ihren amerikanischen Kollegen die Füsse, wohlwissend, dass exakt diese es waren, die mit der Zerstörung der Gas-Pipelines den wirtschaftlichen Abstieg Deutschlands in Auftrag gegeben hatten. Ein abhängiges Deutschland lässt sich eben besser am Gängelband führen als ein eigenständiges. Die deutsche Regierung scheint das nicht zu beirren; sie lächelt das weg.

 

Die Ampel hat durch ihre Mutlosigkeit zwei Katastrophen in Kauf genommen. Erstens: Sie nickte den voraussehbaren Absturz der eigenen Volkswirtschaft ab. Eine Exportnation wie Deutschland ist auf Gedeih und Verderb von günstiger Energie abhängig, aber der Wirtschaftsminister verzichtet darauf, schwafelt von Opferbereitschaft und kauft teures und umweltschädigendes Fracking-Gas in den USA. Immerhin muss man zugeben: Auch Erdgas kauft er, wo er es kriegt... zum Beispiel in Golfstaaten, wo wenig menschenrechtskonforme Zustände herrschen, oder beim Handelspartner Indien, der es (ausgerechnet...) aus Russland bezogen hatte. Aber Deutschland bezahlt lieber einen Zwischenhändler mehr, als einen Irrtum einzugestehen.

 

Die Aussenministerin, die am Sonntag in Kiew der Ukraine Unterstützung ad infinitum zusagte (“solange ihr uns braucht”), gab am Mittwoch in der texanischen Hauptstadt Austin zum Besten, Texas sei als Standort für Unternehmungen im Cleantech-Bereich von höchster Bedeutung, und zwar auch für solche aus Deutschland. Eigentlich würde man meinen, die Aussen- und Wirtschaftspolitik eines Landes sollte sich bemühen, die entsprechenden Technologien zu Hause zu fördern. Nicht so Deutschland: Weil die amerikanischen Freunde nicht vergrault werden dürfen, findet Baerbock deren Subventionspolitik gut, sogar wenn diese deutsche Firmen in die USA absaugt. Frohgemut sägt die deutsche Regierung am Ast, auf dem sie sitzt. Und alles bei dem Reformstau, den Mutti Merkel in 16 Jahren angehäuft hatte. Leider hat man jetzt nur noch Geld für die Rüstung und für die Ukraine (und für die Rüstung der Ukraine), aber keines für die Bildung, für die Kinder-Grundsicherung, für den öffentlichen Verkehr, für den Ausbau der Informatik und gegen die Verarmung weiter Bevölkerungskreise.

 

Weil eine solche Politik keinem Menschen mit normalem Verstand plausibel gemacht werden kann, musste man sich ausgleichend auf eine zweite Katastrophe einlassen, nämlich auf jene der Lüge. Die Schamlosigkeit ist bodenlos, mit welcher in Deutschland durch die Scholz’, Habecks, Baerbocks, Linders, Faesers etc. unter Mitwirkung der grossen Medienhäuser (private wie öffentlich-rechtliche) die Öffentlichkeit angelogen wird. Die Basis des Lügenkonstrukts ist die Inanspruchnahme einer Schimäre westlicher Moral für das eigene Tun: Putin ist der Aggressor, wir stehen den angegriffenen Opfern bei, ergo handeln wir alternativlos im Rahmen dessen, was man von anständigen Menschen erwarten darf. Wie wenn alle Genannten nicht exakt wüssten, dass die USA es waren, die die Spannungen mit Russland geschürt hatten, indem sie der Ukraine eine NATO-Mitgliedschaft in Aussicht stellten und eine pro-amerikanische Regierung in Kiew an die Macht putschten. Wie wenn sie nicht wüssten, wie durch und durch korrupt die Ukraine ist, wo angeblich die Demokratie verteidigt wird. Wie wenn sie nicht wüssten, dass seit 2014 in der Ostukraine russischstämmige Bevölkerungsteile drangsaliert und entwürdigt werden. Wie wenn sie nicht ahnten, dass die Ukraine den Krieg niemals gewinnen kann.

 

Und wie wenn sie nicht genau erkannt hätten, dass ihre eigene, gegen alle Widerstände vorangetriebene Politik eine Politik der nationalen Selbstverstümmelung ist. Aber man spielt die Karte der Moral, stellt sich stur und wartet auf Zeichen und Wunder. Sehenden Auges geht man den Wahlsiegen der AfD entgegen, der man nichts entgegenzustellen hat als den Versuch, die Wähler mittels der Vogelscheuche des Rechtsextremismus zu vergraulen. Es ist die reine Hilflosigkeit wie alles, was diese Regierung seit Kriegsbeginn unternimmt. Dabei wäre es doch ganz einfach: Habe Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen. Sagte einst Immanuel Kant, der grosse deutsche Philosoph der Aufklärung.

 

 

 

 

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Seit 2020 können Sie in der „DMZ“ Woche für Woche die Kommentare von Dr. Reinhard Straumann verfolgen. Seine Themen reichen von Corona über amerikanische Außen- und schweizerische Innenpolitik bis hin zur Welt der Medien. Dabei geht Straumann stets über das hinaus, was in den kommerziellen Mainstream-Medien berichtet wird. Er liefert Hintergrundinformationen und bietet neue Einblicke, häufig mit Verweisen auf Literatur und Philosophie.

 

Dr. Reinhard Straumann ist Historiker und verfügt über das nötige Fachwissen. Als Schulleiter an einem kantonalen Gymnasium hat er sich zudem jahrzehntelang für die politische Bildung junger Menschen engagiert. Wir freuen uns, dass Reinhard Straumann regelmäßig zum Wochenende einen festen Platz in der DMZ Mittelländischen Zeitung unter dem Titel „Straumanns Fokus am Wochenende“ haben wird.

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