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Straumanns Fokus am Wochenende - Treten an Ort mit erhöhter Kadenz

DMZ – POLITIK ¦ Dr. Reinhard Straumann ¦                    

KOMMENTAR

 

Knappe zwei Monate sind es her seit meinem letzten «Fokus». Der Lauf der Dinge bestätigt, wie sinnvoll das Verstummen war. Ich hätte auch eine Auszeit von einem Jahr nehmen können: Nix passiert auf dieser Welt, was ihrem Lauf die Richtung der Vernunft gäbe. Die Beharrlichkeit, mit welcher uns unsere politischen Leithammel zum Abgrund führen, ist das herausragende Kennzeichen der Gegenwart. Blödblökende Lämmer sind wir, die ihnen folgen. Wir stehen an der Kante, es braucht nur noch einen Schritt.

 

Während der erwähnten Periode von zwei Monaten haben 40'000 ukrainische junge Männer ihr Leben gelassen und, nehmen wir an: ebenso viele auf russischer Seite. Wofür? Für einen Krieg, der – wie sämtliche Experten einräumen – von keiner Seite gewonnen werden kann. Aber mit boshafter Sturheit wird er weitergeführt. Wofür? Damit die westliche Welt den Interessen der amerikanischen Innenpolitik dienen kann. Dänemark und die Niederlande haben die letzten Hemmungen abgestreift und liefern neuerdings F-16-Kampfjets. Wofür? Für den Preis eines anerkennenden Schulterklopfens von Uncle Sam. Dieser tritt auf in Gestalt von Old Joe Biden, der seinerseits exakt ein Ziel verfolgt: nächstes Jahr wiedergewählt zu werden.

 

Wofür? Dafür, dass die westliche Welt weiterhin von einem Greis geführt wird, der die Senilitätsgrenze erreicht hat. Weil seine Politik den grossen amerikanischen Lobbies dient (als da wären: die Öl- und die Waffenbranche), sind diese bereit, ihm den Wahlkampf zu finanzieren. Also liefert Old Joe, und wir Europäer sind dumm genug, diese Politik zu unserer eigenen zu machen.

 

Obwohl Deutschland sich in Sachen Kampfjets vorläufig zurückhält (stattdessen aber die Lieferung von Marschflugkörpern erwägt), ist die Regierung der Bundesrepublik diejenige, die sich für den Marsch zum Abgrund die Siebenmeilenstiefel montiert hat. Kaum je war in der Geschichte zu beobachten, wie sich eine Regierung dermassen zum Nachteil ihrer eigenen Bevölkerung verschworen hat. Die Industrienation Deutschland hat eine Regierung, die im Kollektiv ignoriert, dass die Wirtschaft respektive das Wohlergehen ihres Landes nur gedeihen kann, wenn Energie zu günstigen Tarifen zur Verfügung steht. Diese Energie lieferte Russland zu besten Konditionen. Aber Deutschland darf nicht nur das Angebot nicht mehr nutzen, nein, Deutschland steht (in Gestalt des Kanzlers Scholz) säuerlich lächelnd daneben, wenn der amerikanische Präsident der Weltöffentlichkeit eröffnet, die USA würden zeitnah die Pipeline, durch die das günstige russische Gas strömte, kappen. So geschehen am 7. Februar 2022. Fünf Monate später lag Nordstream in Trümmern.

 

Hätte je ein amerikanischer Präsident das mit Willy Brandt machen können? Mit Helmut Schmidt? Nie im Leben. Helmut Schmidt festigte (auch dank seiner persönlichen Nähe zu Giscard d’Estaing) die Freundschaft mit Frankreich und stärkte Europa, und Willy Brandt, vor ihm, war der Architekt einer Ostpolitik, die auf Versöhnung und Ausgleich mit dem Osten, mit Polen und Russland, setzte.

 

Brandt und Schmidt hätten Nachfolger gebraucht, die ihrer würdig gewesen wären. Deutschland fand sie nicht. Stattdessen stellte sich die Bundesrepublik mehr und mehr einer amerikanischen Politik zur Verfügung, die seither vor allem auf einen Fokus fixiert war: darauf, die Synergie der deutschen Industrie mit russischem Gas und Öl zu sabotieren (George Friedman 2015: «Seit über 100 Jahren ist es das Ziel der amerikanischen Politik, das Zusammengehen der deutschen Industrie mit russischen Rohstoffen zu verhindern»). Denn würde dies geschehen, so erhielte Europa eine Machtstellung, der keine amerikanische Aussenpolitik, so aggressiv sie sich auch gebärdete (Vietnam, Afghanistan, Irak, Syrien, Libyen etc.), gewachsen wäre. Mit verschlagener Raffinesse haben deshalb die USA den Spaltpilz zwischen den deutschen Freunden und russischen Feinden gezüchtet. Er bestand (und besteht) darin, der Ukraine vorzugaukeln, sie sei in der NATO willkommen.

 

Nichts ist verlogener als das. Nichts interessiert die Amerikaner weniger als das Wohlergehen der Ukraine. Aber die (unterminierte!) Einladung an die Ukraine zu einem NATO-Beitritt reichte, um Putin aus der Reserve zu locken. Putin, der sich in den Anfängen seiner Regierungszeit noch dem Westen vorsichtig-offen gezeigt hatte, bewies wunschgemäss, dass er auch anders kann.

 

Neuestens hat er seine Visitenkarte am vergangenen Dienstag abgegeben, als er dem gescheiterten Putschisten Prigoschin in dessen Privatjet eine Bombe unter den Hintern legte. Wie das tapfere Schneiderlein atomisierte er damit gleich die ganze Wagner-Führungsclique. Wie die so blöd sein konnten, sich alle gemeinsam in ein Flugzeug zu setzen, bleibt ihr Geheimnis. Die westliche Presse aber stürzt sich auf dieses Ereignis, um uns kund zu tun, es sei abermals ein Zeichen, was für ein menschenverachtender Machtmensch Putin sei.

 

Ist er auch, unbestritten. Daraus aber die Rechtfertigung abzuleiten, der Krieg sei nötig, um der Demokratie zum Endsieg zu verhelfen, ist höherer Blödsinn. Kein westlicher Politiker, der nicht wüsste, wie verlogen diese Argumentation ist. Die deutschsprachigen Qualitätsmedien, die sich so viel auf ihre historischen Vertiefungen zugutehalten, ignorieren weiterhin die Vorgeschichte der Katastrophe der Gegenwart. Sie versuchen, uns mit der Propaganda bei Laune zu halten, Putin sei der Teufel, Putin sei am Ende. In Tat und Wahrheit dienen diese Fake-news nur der Fortdauer eines Kriegs im Sinne amerikanischer Interessen. Wir treten an Ort, und zwar bei erhöhter Kadenz zwecks Verschleuderung von noch mehr Ressourcen. Auch dies dient Amerika, aber es schadet der Welt.

 

 

 

 

 

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Seit 2020 finden Sie, liebe Leserin, lieber Leser, in der «DMZ» Woche für Woche einen Kommentar von Dr. Reinhard Straumann. Mal betrifft es Corona, mal die amerikanische Außen-, mal die schweizerische Innenpolitik, mal die Welt der Medien… Immer bemüht sich Straumann, zu den aktuellen Geschehnissen Hintergründe zu liefern, die in den kommerziellen Medien des Mainstream nicht genannt werden, oder mit Querverweisen in die Literatur und Philosophie neue Einblicke zu schaffen. Als ausgebildeter Historiker ist Dr. Reinhard Straumann dafür bestens kompetent, und als Schulleiter an einem kantonalen Gymnasium hat er sich jahrzehntelang für die politische Bildung junger Menschen eingesetzt. Wir freuen uns jetzt, jeweils zum Wochenende Reinhard Straumann an dieser Stelle künftig unter dem Titel «Straumanns Fokus am Wochenende» in der DMZ Mittelländischen Zeitung einen festen Platz einzuräumen.  


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